Was unsere Universitäten zu lehren vergaßen

Interview mit dem Gründer des Barefoot College für Arme in Indien
Titelbild
Sanjit "Bunker" Roy bei der Preisverleihung der "100 Most Influential People" des Time Magazine am 4. Mai 2010 in New York.Foto: Jemal Countess/Getty Images for Time Inc
Epoch Times11. September 2009

Eigentlich hätte aus Sanjit „Bunker“ Roy ein Mitglied des indischen Establishment werden sollen. Im Jahr 1945 in eine reiche Familie geboren, schlug er nach dem Besuch mehrerer Elite-Schulen jedoch eine gänzlich andere Laufbahn ein. Zum Entsetzen seiner Familie ging er im Jahr 1965 in die tiefste indische Provinz, um dabei zu helfen, Brunnen zu graben. Nach fünf Jahren entschloss er sich dann, diesen Menschen, die, wie er sagt „unglaubliche Werte“ besaßen, noch mehr zu helfen, indem er für sie eine Ausbildungsstätte schuf: das bis heute existierende „Barefoot College“ in der Mitte von Niemandsland in Radschastan, Indien. Dort werden die Studenten seit nunmehr 38 Jahren zu Ärzten, Solartechnikern und Ingenieuren ausgebildet, doch ohne Zuhilfenahme von Schrift. Wir hatten die Gelegenheit, mit Sanjit Bunker Roy beim Global Economic Symposium in Plön zu sprechen, wo er als Vortragender und Diskutant zu Gast war.

Epoch Times: Wenn Sie sich selbst beschreiben müssten, was würden Sie von sich sagen?

Sanjit Bunker Roy: Meine eigentliche Ausbildung fing erst an, als ich 1967 zum ersten Mal in Indien in die Dörfer ging. Meine Herkunft ist im Wesentlichen von der Stadt geprägt. Ich sollte Diplomat oder Arzt oder Rechtsanwalt werden – herkömmliche Berufe, die Menschen ausüben. Als ich mein Leben in einem Dorf führte, waren meine Eltern sehr bestürzt. Sie wussten nicht, was ich tat. Ich grub fünf Jahre lang Brunnen als ungelernter Arbeiter. Und dort traf ich sehr, sehr außergewöhnliche Menschen in absoluter Armut, die aber so unglaubliche Werte hatten, dass man sie weder in Universitäten noch in Hochschulen auf der ganzen Welt lernen kann – Mitgefühl, Bescheidenheit und die Bereitschaft zu lernen und zuzuhören.

Das fehlt hier übrigens, nebenbei bemerkt. In dieser Konferenz (Anmerkung der dem Global Economic Symposium in Schloss Plön) gibt es kein Mitgefühl, keine Bescheidenheit und keine Bereitschaft zu lernen – Weil man häufig nur eine Vorstellung von dem hat, was wir tun müssen. Es ist eine andere Welt da draußen, die sich sehr von dieser Vorstellung unterscheidet.

Als ich fünf Jahre lang als ungelernter Arbeiter Brunnen grub, sah ich dort bei den Menschen solch unglaubliche Kenntnisse und Fähigkeiten, die nur noch nicht erkannt und noch nicht anerkannt sind. Die nirgendwo in der Welt erfasst werden, weil wir nicht glauben, dass diese Kenntnisse und Fähigkeiten erstrebenswert sind. Sie werden als irrelevant betrachtet. Darum habe ich das Barefoot College gegründet.

Epoch Times: Dort wird man nicht zu Kopfarbeitern ausgebildet?

Roy: Reine Kopfarbeit hätte für diese Menschen keinen Nutzen.

Epoch Times: Weshalb ist das so?

Roy: Wir sind drauf gekommen, dass der Zugang von gewöhnlichen Hochschulen hier nicht taugt. Es sollte ein Zugang sein, der menschlicher, praktischer, zugänglicher, kommunikativer und respektvoller ist. Menschliche Qualitäten sollten wichtiger sein als ein Titel. Unsere ganze Arbeit am Barefoot College besteht darin, diejenigen aufzunehmen, die die Welt als Aussteiger, Abweichler und Schwächlinge bezeichnet, Menschen, die von der Gesellschaft abgelehnt werden – und sie an die Hochschule zu bringen. Der einzige Grund, warum sie an unsere Hochschule kommen, ist, dass sie sehr arm sind. Und dass sie nicht formal ausgebildet wurden. Diese Menschen bilden wir zu Ärzten, Lehrern, Ingenieuren, Solaringenieuren, Kommunikatoren, Designern, Architekten, Zahnärzten und Pathologen aus. Und genau das tue ich seit 38 Jahren.

Epoch Times: Während Sie sprachen, fiel mir gerade ein: Wenn es um Menschen geht, die hohe Werte und hohe Fähigkeiten haben, die überhaupt nicht anerkannt werden – es gibt da eine chinesische Weisheit, wonach die Armen auch ihre Verantwortung haben bestimmte Werte zu erhalten, was ihrer sozialen Rolle entspräche, und die Reichen eine größere Verantwortung für das Wohl der Gesamtheit haben.

Der Gründer des "Barefoot-College" auf Schloss Plön mit ETD-Chefredakteur Florian Godovits beim Global Economic Symposium 2009.Der Gründer des "Barefoot-College" auf Schloss Plön mit ETD-Chefredakteur Florian Godovits beim Global Economic Symposium 2009.Foto: The Epoch Times

Roy: Aber die Reichen haben nicht das Mitgefühl, die Geduld und die Toleranz, um verstehen zu können, dass sie oft moralisch unterlegen sind. Nur weil man nicht lesen und nicht schreiben kann, heißt das nicht, dass man nicht kommunizieren kann; das ist kein Grund, kein Zahnarzt oder Architekt zu werden.

Epoch Times: Sie möchten vor allem die Lebensqualität dieser Menschen verbessern und nicht hauptsächlich ihr Einkommen. Ist das richtig?

Roy: Die Lebensqualität ist am Wichtigsten. Der Weltbankpräsident McNamara fragte 1978 jemanden: „Welches Lebensziel hast du?“ Einer der Armen dachte einen Moment nach und sagte: „Ich wäre sehr glücklich, wenn ich täglich zwei anständige Mahlzeiten bekäme“. Es ist eine Schande. Es ist eine Schande, dass all die reichen Leute hier…so viel Nahrung und so viel Geld verschwenden; dass so viele Millionen Menschen nicht einmal zwei anständige Mahlzeiten pro Tag bekommen können. Das ist ein Dilemma. Das ist die Herausforderung…das ist auch heute noch so. 300-400 Millionen Menschen alleine in Indien bekommen keine zwei anständigen Mahlzeiten pro Tag.

Die Lebensqualität ist sehr wichtig. Ihnen Arbeit zu geben ist sehr wichtig. Ihnen Fachkenntnisse und Grundkenntnisse im Dorf selbst zu vermitteln – um sie im Dorf zu behalten -, damit sie nicht auswandern. Allein durch die Tatsache, dass wir ausgebildete Analphabeten, Halb-Analphabeten sowie Männer und Frauen haben, die Ärzte, Lehrer und Ingenieure werden wollen, wurde verhindert, dass Tausende vom Land in die Städte auswanderten.

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Epoch Times: Wo liegt eigentlich das Barefoot College?

Roy: Das Barefoot-College liegt in einem kleinen Dorf inmitten einer indischen Wüste in Radschastan. Es ist eine Hochschule, die für die Armen gebaut wurde, von ihnen gebaut wurde und auch von ihnen geleitet wird. Und unter arm verstehe ich Menschen mit einem Einkommen von weniger als einem Dollar pro Tag. Es ist ein Ort zum Lernen und Umlernen. Es ist ein Ort, an dem man es nach einem Fehlschlag weiterversucht. Die Aussicht auf einen Abschluss und ein Zeugnis sollten durch die Gemeinschaft selbst und nicht durch ein College, das einem ein Stück Papier gibt, ermöglicht werden.

Wir glauben, dass Mark Twain Recht hatte, als er sagte: „Lass niemals zu, dass die Schule deine Bildung stört“. Die Schule lehrt dich lesen und schreiben. Bildung solltest du von deiner Familie, deiner Gemeinschaft und deiner Umgebung bekommen. Deshalb ist es eine Beleidigung zu sagen, dass dieser Mensch nicht gebildet ist. Es gibt niemanden, der ungebildet ist. Wir sprechen über einen nicht ausgebildeten Menschen; er muss nicht ungebildet sein.

Kein Mitgefühl, keine Bescheidenheit und keine Bereitschaft zu lernen" - Sanjit "Bunker" Roy über die Teilnehmer am "Global Economic Symposium 2009", einer der weltweit größten Zusammenkünfte von Wirtschaftsexperten.Kein Mitgefühl, keine Bescheidenheit und keine Bereitschaft zu lernen" – Sanjit "Bunker" Roy über die Teilnehmer am "Global Economic Symposium 2009", einer der weltweit größten Zusammenkünfte von Wirtschaftsexperten.Foto: The Epoch Times

Epoch Times: Viele Menschen stimmen nicht mit ihrem Weltbild überein.

Roy: Spielt keine Rolle. Ich bekomme unerwartete Unterstützung. Der Prince of Wales ist eine große Hilfe. Er war schon zweimal im Barefoot-College. Er ist eine großartige Hilfe. Aber es spielt auch keine wirkliche Rolle, ob man Hilfe bekommt. Wichtig ist, den Menschen, die am Boden liegen, eine Möglichkeit aufzuzeigen und sie selbst entscheiden zu lassen.

Epoch Times: Wieviele Menschen haben bisher das Barefoot College besucht?

Roy: Tausende. Am Wichtigsten ist, dass das Konzept des Barefoot-College nicht auf Indien beschränkt bleibt. Wir sind in Afrika groß eingestiegen. Bis zum nächsten Jahr haben wir den gesamten Kontinent Afrika abgedeckt und sind in jedes Dorf gegangen. Ich war in etwa 20 Ländern Afrikas und in Dörfern, wo wir Analphabeten und ländliche Patentanten mitgenommen haben….Afrikanerinnen. Wir brachten sie zum Barefoot-College. Analphabeten auf dem Land – sie haben in ihrem Leben nie das Dorf verlassen. Wir haben sie nach Indien geflogen. Und nur, indem sie ihre Hände benutzten, wurden sie in sechs Monaten zu Solaringenieuren ausgebildet. Und sie gingen zurück, um ihr eigenes Dorf mit Strom aus Solarenergie zu versorgen.

Epoch Times: Und wie finanziert sich das Barefoot-College?

Roy: Wir bekommen etwas Geld von der indischen Regierung sowie von holländischen und französischen Stiftungen und privaten Familienstiftungen. Und wir erhalten etwas Geld für die Dienstleistungen, die wir dem Land zur Verfügung stellen.

Epoch Times: Möchten Sie das Konzept des Barefoot-College auch in die entwickelten Länder bringen?

Roy: Nein, weil entwickelte Länder von Titeln sowie auf Papier geschriebenen Qualifikationen und Abschlüssen so besessen sind, dass sie niemanden beachten, der keinen schriftlich nachweisbaren Abschluss vorlegt.

Epoch Times: Sie haben die Entwicklung in Afrika angesprochen.

Roy: Die Zukunft Afrikas hängt von der Stärkung des Süd-Süd-Verhältnisses und nicht von der des Nord-Süd-Verhältnisses ab. Ich glaube, die große Zukunft hängt ab vom Austausch von Wissen und Fachkenntnissen zwischen den Gemeinschaften in Afrika und dem Süden. Es gibt viel voneinander zu lernen. Die Kultur ist fast die gleiche. Es ist eine zwanglose Kultur, es ist eine bäuerliche Kultur. Es ist eine Kultur, die genau richtig ist für langsames Lernen, und unser Schwerpunkt liegt mehr in der Ausbildung von Frauen als von Männern. Ich glaube, Männer sollte man nicht ausbilden. Wenn man einen Mann ausbildet, dann bleibt er nicht im Dorf. Er wird eine Arbeit in der Stadt bekommen. Frauen bleiben immer da, gehen nie weg und bitten auch nicht um ein Zeugnis. Sie wollen nur in einem Dorf leben und arbeiten und ihren Gemeinden Dienstleistungen zur Verfügung stellen. Wir fanden fantastische Frauen, einfach unglaubliche Frauen, mit soviel Geduld. Diese Solarenergie ist die höchstentwickelte Technologie der Welt. Und trotzdem lernen sie sie nur mit ihren Händen. Sie verwenden überhaupt nicht das geschriebene Wort, nur ihre Hände, ihre Augen und…Und sie wissen nach sechs Monaten mehr über Solarenergie, als jeder andere mit Universitätsabschluss. Sie können Solarenergiemodule installieren, herstellen und warten.

Epoch Times: Erstaunlich.

Roy: Ich denke, die Großmütter der Welt sind gerade dabei, die Welt in einen besseren Ort zu verwandeln. Die Großmütter im Westen sind sehr alt. Wenn man hier über Großmütter spricht, dann über 60-70jährige. In Afrika ist man schon mit 40 Großmutter – zwischen 40 und 50 Jahren sind sie schon alte Frauen. Deshalb ist es eine große Veränderung, die sich gerade vollzieht. Und das Beste ist, dass die indische Regierung Geld zahlt, damit Frauen aus Afrika kommen, ihnen die Flugreise bezahlt und sie hierher und wieder zurückschickt.

Epoch Times: Und was erwarten Sie sich von Konferenzen wie dieser?

Roy: Ich wünsche mir, dass die Menschen, die an dieser Konferenz teilnehmen, mehr mit den sehr armen, ländlichen Gemeinschaften reden und sehen wie sie leben, und welche Kenntnisse sie haben. Menschen sind von anderen Menschen abhängig, um ihre Probleme zu lösen, und sie selbst haben die Fähigkeit, die Welt zu verändern. Heutzutage gibt es nicht genug Menschen, die so etwas tun.

Ein Beispiel: Ich wollte einige Frauen aus Afghanistan herausbringen. Sie sagten, dass ich scherze. Sie würden niemals ihren Platz verlassen. Ich sagte ich würde auch ihre Ehemänner mitnehmen. So kam es, dass 2005 zehn Frauen, Männer und Frauen aus Afghanistan ans Barefoot-College nach Indien kamen. Zum ersten Mal in der Geschichte verließen sie ihr Land. In sechs Monaten wurden sie zu Solaringenieuren ausgebildet, kamen zurück und versorgten 2005 ihre Dörfer in Afghanistan zum ersten Mal mit Strom aus Solarenergie. Ich habe das in einem Film dokumentiert, der jetzt gerade in Hollywood gezeigt wird.

Epoch Times: Wie heißt der Film?

Roy: „Die gewöhnlichen Helden von Afghanistan“. Und in dem Film sagte ich: Man weiß, wie viel es mich kostete zehn Männer und Frauen nach Indien zu bringen, sie sechs Monate lang auszubilden, 150 Solarmodule zu kaufen, zu transportieren, zu versichern und sie in fünf Dörfern installieren zu lassen. Die Kosten der ganzen Operation entsprechen den Kosten eines UNO-Beraters, der sich ein Jahr in Kabul aufhält. Er sagte: „Ich kann dies nirgends erkennen.“ Ich fragte warum. Dies sind die Kosten für einen UN-Berater für ein Jahr. Ich kann fünf Dörfer mit Strom aus Solarenergie versorgen. Und es gibt 700 UN-Berater, die sich in Afghanistan aufhalten. Sie hassten mich … Ich gehe nach dem Prinzip vor: Ich beschäme Dich, damit du handelst. Das ist alles.

Epoch Times: Danke für das Gespräch.

 

Das Interview führte Florian Godovits.

Update 24. Mai 2010



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