Weltbevölkerungsbericht offenbart: 140 Millionen weniger Frauen weltweit – Söhne bevorzugt

Beschuldigung von Hexerei, Brandmarken oder Brustwarzenbügeln. Was sich wie Praktiken aus dem Mittelalter anhört, sind weitverbreitete Techniken, mit den Frauen und Mädchen noch immer gequält werden. Das geht aus dem aktuellen Weltbevölkerungsbericht hervor.
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Mädchen oder Junge? Ein Ultraschallbild kann in der heutigen Zeit über Tod oder Leben eines noch nicht geborenen Kindes entscheiden.Foto: iStock
Von 8. Juli 2020

„Die Corona-Pandemie macht unsere Arbeit schwieriger, aber auch notwendiger, da Mädchen jetzt besonders gefährdet sind“, sagt Dr. Natalia Kanem, Exekutivdirektorin des Weltbevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA). Man dürfe nicht aufhören, bis die Rechte, Entscheidungen und Körper aller Mädchen voll und ganz ihnen selbst gehören. Denn schädliche Praktiken würden bei Mädchen ein tiefes und anhaltendes Trauma verursachen. „Sie werden ihres Rechts beraubt, ihr volles Potenzial auszuschöpfen.“

Bevorzugung von Söhnen, Genitalverstümmelungen, Kinderheirat – jene drei Praktiken sind laut Weltbevölkerungsbericht 2020 die meistverbreiteten, die Mädchen und Frauen schaden und an Gleichstellung hindern. Die demografische Auswertung ist immens: Weltweit fehlen 140 Millionen Frauen. Dieser Umstand ist nicht nur auf die pränatale, sondern auch auf postnatale Geschlechterselektion zurückzuführen.

Durch die Bevorzugung der Söhne vor den Töchtern werden laut Weltbevölkerungsbericht 2020 negative Einstellungen über den Wert von Frauen und Mädchen in der Gesellschaft verfestigt und die Benachteiligung von Frauen fortgeschrieben. Söhne würden auf vielerlei Art und Weise bevorzugt. Eine besonders drastische Form dieser Bevorzugung sei die Geschlechtsselektion, unter anderem durch die Tötung weiblicher Föten. Die Gründe dafür liegen laut Bericht weitgehend in negativen Klischeevorstellungen über die Geschlechterrollen.

Durch die Bevorzugung von Söhnen wird die Gesundheit von Frauen noch weiter beeinträchtigt, weil sie bis zur Geburt eines Sohnes unter Umständen mehrere Schwangerschaften durchstehen müssen. Dabei verschlechtere sich die Gesundheit vieler Frauen, die keinen Zugang zu adäquater Ernährung und vor- oder nachgeburtlicher Betreuung haben. Im Zusammenhang mit ihren Schwangerschaften haben sie mit emotionalem und psychischem Stress zu kämpfen, weil sie die Vorstellung verinnerlicht haben, dass ihr Selbstwert und ihre soziale Wertschätzung nicht nur allgemein von der Geburt eines Kindes, sondern im Besonderen von der Geburt eines Sohnes abhängen.

„Wenn Jungen mehr wertgeschätzt werden als Mädchen, ist der Druck, einen Sohn zu bekommen, groß“, heißt es weiter in dem Bericht. In manchen Gesellschaften sei die Bevorzugung von Söhnen gegenüber Töchtern so stark ausgeprägt, dass Paare sich bemühen, die Geburt eines Mädchens zu vermeiden.

Schädliche Praktiken laut Menschenrechtsabkommen

Weltweit sind derzeit 200 Millionen Mädchen und Frauen von Genitalverstümmelungen betroffen. In diesem Jahr sind laut UNFPA 4,1 Millionen weitere Mädchen und Frauen dadurch bedroht.

Als Praktiken, die gemäß internationalen Menschenrechtsabkommen als schädlich gelten, sind in dem Weltbevölkerungsbericht 2020 unter anderem aufgeführt:

  • Beschuldigung der Hexerei
  • Binden, Brandmarken, das Beibringen von Narben oder Stammeszeichen
  • Körpermodifikationen wie Tellerlippen und Halsverlängerung
  • Brustbügeln
  • Frühverheiratung
  • Inzest
  • Kindestötung
  • Unterernährung oder Mästen von Mädchen
  • Jungfräulichkeitstest
  • weibliche Genitalverstümmelung

Für die Eheschließung habe die weibliche Jungfräulichkeit eine derart überragende Bedeutung, dass Frauen und Mädchen in vielen Ländern Jungfräulichkeitstests unterzogen werden – einer invasiven vaginalen Untersuchung, bei der nach dem Jungfernhäutchen getastet wird. „Doch auch diese Praxis ist als Menschenrechtsverletzung geächtet.“

Jeden Tag werden laut Bericht weltweit hunderttausende Mädchen mit der Kenntnis und dem Einverständnis ihrer Familien, ihrer Freundinnen und Freunde und ihres sozialen Umfelds, physisch oder psychisch geschädigt. Dies erfolge manchmal durch die Verstümmelung ihrer Genitalien, was häufig als Initiationsritus an der Schwelle zwischen der Kindheit und einem Leben als erwachsene Frau rationalisiert wird, und manchmal durch die Weitergabe, den Verkauf oder Tausch eines Mädchens gegen Geld oder einen Wertgegenstand, oft als „Ehe“ beschönigt.

In Südasien müssten Mädchen „wegverheiratet“ werden, wofür eine kostspielige Mitgift aufgebracht werden muss. Infolgedessen wählen Familien verschiedene Methoden, um dafür zu sorgen, dass sie mindestens einen Sohn bekommen. Weltweit wird nach Angaben der UNO jedes fünfte Mädchen noch vor seinem 15. Lebensjahr verheiratet. Täglich werden rund um den Globus 33.000 Kinder verheiratet.

„Es herrscht die Überzeugung, dass ein Mädchen vor Vergewaltigung geschützt sei, wenn sie verheiratet ist“, heißt es in dem Weltbevölkerungsbericht 2020. Diese Überzeugung sei auch „eine Triebfeder“ für andere schädliche Praktiken, wie zum Beispiel das Brustbügeln, durch das ein Mädchen entstellt werde, um sie für potenzielle Angreifer unattraktiver zu machen.

Diskriminierung – ein Gesellschaftsproblem

„Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – und schädliche Praktiken – gedeihen auf dem Nährboden vorurteilsbeladener Normen und Klischees.“ Zu diesem Fazit kommt der Weltbevölkerungsbericht 2020.  Natürlich sei es wichtig, Menschen und Gemeinschaften weiterhin zur Veränderung ihrer Denk- und Handlungsweisen anzuhalten. Aber wenn sich Normen in größerem Maßstab wandeln sollen, dann brauche es eine grundsätzlich andere Machtverteilung in der Volkswirtschaft, in der Regierung, im Dienstleistungs- und Beschäftigungsbereich und so weiter.

Der gleichberechtigte Zugang zu Ressourcen, zu politischer Mitbestimmung und zu sozialer und wirtschaftlicher Sicherheit sei schon an und für sich ein erstrebenswertes Ziel – er könne aber auch überzeugende Argumente liefern, um schädliche Normen und Praktiken aufzugeben. Dies könnte zu einem Nachdenken darüber führen, wie der Staat Mädchen und Frauen durch politische Maß­nahmen besser schützen könnte.

Laut Weltbevölkerungsbericht 2020 gibt es keine „Wunderwaffe“, um schädliche Praktiken zu unterbinden. Es bedürfe vielmehr eines besseren Verständnisses dessen, was funktioniert – auch für spezifische Praktiken in sehr unterschiedlichen Gesellschaften. Klar sei, dass viel schnellere Fortschritte gemacht werden müssten, um schädliche Praktiken zu beenden.

Zehn-Jahres-Ziel mit Milliardenaufwand erreichbar

Es sei insoweit möglich, Frühverheiratungen und weibliche Genitalverstümmelung innerhalb von zehn Jahren zu beenden. Um dieses Ziel erreichen zu können, fordert der Bericht unter anderem, dass Programme gefördert werden müssten, die Mädchen darin unterstützen, Schulen bis zum Abschluss zu besuchen, statt früh verheiratet zu werden. So würden die Chancen von Mädchen erhöht, als Erwachsene ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften.

Dr. Maria Flachsbarth, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, betonte: „Es muss gelingen, Frauen und Mädchen verstärkt Bildung aller Stufen im Schul-, Berufsbildungs- und Hochschulbereich zu ermöglichen, damit sie selbstbestimmt ihr Recht auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe durchzusetzen können.“

Der UNFPA schätzt die Kosten, um die Genitalverstümmelung in den 31 Ländern mit den meisten Fällen in den nächsten zehn Jahren zu beenden, auf 2,4 Milliarden US Dollar (rund 2,1 Milliarden Euro). Um Kinderheirat weltweit ein Ende zu setzen, seien 35 Milliarden US Dollar (rund 31 Milliarden Euro) nötig.

Hier geht es zum vollständigen Weltbevölkerungsbericht 2020.

(mit Material von afp)

 



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