Zweifel am rechtmäßigen Ablauf der türkischen Wahlen

Die Wahlbeobachter des Europarates und der OSZE haben starke Zweifel an der Rechtmäßigkeit der türkischen Wahlen vom 1. November. Sie sprechen von manipulierten Wahlen.
Titelbild
Der Leiter der Republikanischen Volkspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu (L) bei der Stimmabgabe am 1. November 2015 in der TürkeiFoto: ADEM ALTAN/AFP/Getty Images
Epoch Times6. November 2015

Wie das voltairnet berichtet, gibt es im Europarat und der OSZE starke Kritik an der Rechtmäßigkeit der türkischen Wahlen vom 1. November.

Die Wahlbeobachter sprechen von stark manipulierten Wahlen – jedoch wagte es bisher fast keiner, die Parlamentswahl in Zweifel zu ziehen, da die Türkei NATO-Mitglied ist. Der Schweizer SP-Nationalrat Andreas Gross, der als Wahlbeobachter des Europarats in der Türkei anwesend war, hat im Schweizer Tagesanzeiger als erster Politiker Kritik geäußert.  Andras Gross war Leiter der Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.

Von einer «Fairness des Prozesses» könne nicht die Rede sein, sagte Gross im Deutschlandradio Kultur. Und: "Der Wahlkampf war leider durch Ungerechtigkeit und bis zu einem gewissen Grad von Angst getrübt."

"Die Gewalttätigkeiten im Süd-Osten des Landes, mit kurdischer Mehrheit, haben die Wahl stark belastet und die letzten Angriffe und Verhaftungen von Kandidaten und Aktivisten, hauptsächlich von der HDP, sind beunruhigend, weil sie ihre Fähigkeit, Kampagne zu machen, behindert haben", sagte Margareta Cederfelt, Leiterin der Delegation der Parlamentarischen Versammlung der OSZE.

„Damit eine Wahl wahrhaft demokratisch ist, müssen die Kandidaten das Gefühl haben, dass sie Kampagnen machen können und die Wähler das Gefühl haben, dass sie sicher zu den Urnen kommen können.“

Das voltairnet zählt folgende Wahlmanipulationen auf:

– Viele Bürger konnten sich nicht an den Wahlen beteiligen, unter dem Vorwand, dass sie nicht ihre Wehrpflicht abgeschlossen hatten oder weil sie für ein Delikt einer langen Liste verurteilt wurden, das auch manchmal wenig bedeutend war.

– Wehrpflichtigen des Kontingents, den Studenten der Militärschulen und Bürgern in Untersuchungshaft war das Wahlrecht entzogen worden.

– Oppositionelle Medien sind mundtot gemacht worden: die großen Tageszeitungen Hurriyet und Sabah sowie das ATV-Fernsehen wurden von Schlägern der regierenden Partei angegriffen. Gezielte Untersuchungen betrafen Journalisten und Medienorganisationen, denen vorgeworfen wurde, den Terrorismus zu unterstützen oder verleumderisch gegen Präsident Erdoğan gesprochen zu haben; Websites wurden blockiert; Digitale Dienstanbieter haben aus ihrem Angebot mehrere Fernsehsender entfernt; drei der fünf nationalen Fernsehkanäle, einschließlich des öffentlich-rechtlichen Kanals waren in ihren Programmen eindeutig zugunsten der herrschenden Partei eingestellt; die anderen nationalen Fernsehen, Bugün TV und Kanalturk, wurden von der Polizei geschlossen.

– Ein ausländischer Staat, Saudi Arabien, gab 7 Milliarden (!) ’Geschenke’ aus, um die Wähler zu ’überzeugen’, Präsident Erdoğan zu unterstützen.

– 128 politische Büros der Linkspartei (HDP) wurden von Schlägern der Partei des Präsidenten Erdoğan angegriffen. Viele Kandidaten und ihre Teams sind verprügelt worden. Mehr als 300 kurdische Geschäfte wurden geplündert. Dutzende Kandidaten der HDP wurden festgenommen und während der Kampagne in Untersuchungshaft gesetzt.

– Mehr als 2.000 Gegner sind während des Wahlkampfes getötet worden, entweder durch Attentate oder wegen der Unterdrückung der PKK durch die Regierung. Mehrere Dörfer im Südosten des Landes wurden durch Panzer der Armee teilweise zerstört.

– Internationale Beobachter wurden gebeten, die Räumlichkeiten in sieben Wahllokale zu verlassen, und den von politischen Parteien akkreditierten Bürger-Beobachtern wurde der Zugang zu einigen Wahllokalen verboten.

– Die Minimum-Schwelle von 10 % Stimmen, damit eine Liste ins Parlaments kommen kann, begrenzt den politischen Pluralismus und das System, das die Anzahl der Sitze pro Wahlkreis ermittelt, führt zu sehr erheblichen Unterschieden hinsichtlich der Zahl der Wähler pro Sitz; es bevorzugt in unverschämter Weise die AKP.

–  Das Verfassungsgericht hat gesagt, dass die Entscheidungen der Wahlkommission nicht überprüft werden könnten, auch wenn die Grundrechte und -Freiheiten verletzt wurden. Deshalb gibt es kein Gerichtsverfahren, weder über die Ungerechtigkeit der Kampagne, noch über die Beschränkungen des Rechts um zu kandidieren, noch über das im Gegensatz zu den internationalen Verpflichtungen der Türkei stehenden Wahlrecht, noch zur trügerischen Füllung der Urnen. Quelle: voltairenet.org

Aus einem Bericht von Wahlbeobachtern vor Ort

"In der Atatürk Ilkokulu in einem Dorf des Bezirks konnten wir draußen vor dem Wahllokal eine große Polizeipräsenz beobachten. Viele der Polizisten waren vermummt, weil, wie uns jemand erklärte, sie von der lokalen Bevölkerung nicht erkannt werden wollten."

"Während auf dem Land vor allem Militär und Dorfschützer (kurucu) in und vor den Lokalen präsent waren, waren in städtischen Lokalen Polizisten vor dem Gebäude zu beobachten. Wir haben nichts beobachten können, das auf Bedrohungen durch PKK-KämpferInnen hindeutet – im Gegenteil: Gerade der Vorfall im Dorf Acikyol, bei dem ein AKP-Politiker einen gewalttätigen Mob aus Unterstützern seiner Partei gegen eine HD2P-Vertreterin und einen Journalisten anführte, zeigt zumindest punktuelle Beeinträchtigung der Wahlen durch AKP-Mitglieder.

"Gegen 16:20 gingen wir zum Landratsamt in Bêgirî, um die Stimmenzählung zu beobachten. Nachdem man uns nicht hineinlassen wollte, legten wir ein Papier von MdB Ulla Jelpke (LINKE) vor, das einem Juristen vorgelegt wurde. Nach zehn Minuten wurden wir informiert, dass wir per Telefon benachrichtigt würden, ob eine Beobachtung möglich sei. Gegen 17:30, nachdem wir bereits zurück nach Wan fahren wollten, wurden wir angerufen und uns mitgeteilt, dass eine Person kommen könne. Nachdem wir vor dem Tor fragten, ob eine weitere Person eintreten könne, die das gleiche Papier vorlegte, war die endgültige Antwort jedoch, dass nun keiner von beiden hinein dürfe, weil es schon zu voll sei."

"Gleichzeitig kam ein neuer Bus voll Soldaten am Landratsamt an, ein Panzer postierte sich, und die Straße davor wurde mit Flatterband abgesperrt. Bei unserem ersten Besuch war der Zugang noch frei. Dies war eine Reaktion auf die Nachricht, dass die Wahllokale – nur im Osten der Türkei – eine Stunde früher schließen würden als im Westen. Somit wurde die Wahlbeteiligung kurzfristig beschnitten. Daher befürchtete die türkische Regierung möglicherweise Reaktionen der sich betrogen fühlenden Bevölkerung." Quelle: Berichte von Wahlbeobachtern 

Ein anderer Bericht zählt folgendes auf:

"Auffallend war die starke Präsenz von Polizei und Jandarma rund um die Wahllokale. Im Einzelnen haben wir beobachtet:

– Ausweiskontrollen an der Einfahrt zum Schulhof, z.B in der Hakkari Mehmet Akif Ersoy Schule / Technisches Gymnasium. Wählende mussten vor dem Betreten der Schule ihre Ausweise vorzeigen und wurden zum Teil auch durchsucht. Uns wurde ein Beschluss der obersten Wahlbehörde vom 23. Oktober 2015 vorgelegt, demzufolge verdachtunabhängige Personenkontrollen um bestimmte Schulen herum zulässig seien. Die Vertreter der HDP kannten diesen Beschluss nicht, er soll auch weder im Internet veröffentlicht, noch von den örtlichen staatlichen Verantwortlichen veranlasst seien. In dieser Schule trug einer der Zivilpolizisten offen einen Ring der ihn als Anhänger der MHP (Graue Wölfe) auswies.

– Wasserwerfer und mehrere gepanzerte Fahrzeuge standen direkt am Eingang zur obigen Schule.

– Jandarma und Dorfschützer standen mit Sturmgewehren direkt am Schuleingang. Auf dem Schulhof zwei gepanzerte Fahrzeuge, eines davon mit Maschinengewehr Tränengasabschusseinrichtungen bestückt (Schule in Kirikdag: Sehit Yarbay Mesut Kuru Grund- und Mittelschule).

– Polizisten direkt an den Türen von Wahllokalen, mit direktem Blick in die Wahllokale. Die Polizisten waren zum Teil offen bewaffnet (Pistolen). Der Abstand von 15 m zwischen dem Wahllokal und der Polizei, die das Wahlgesetz vorschreibt, wurden u.a. in der Atatürk Grund- und Hauptschule nicht eingehalten.

– Auf dem Flur des Anadolu Gymnasiums wurden wir (sowie WählerInnen im Hintergrund) von der Polizei gefilmt. Erst nach energischer Intervention durch Jan van Aken wurde diese Aufnahme von der Polizei wieder gelöscht.

– Teilweise wurden die Wahlen von VertreterInnen des hiesigen Menschenrechtsvereins IHD begleitet." Quelle: Berichte von Wahlbeobachtern (ks)

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