DFB-Botschafter Hartwig: «Ich verstehe die Menschen nicht»

Rassismus im Fußball ist und bleibt ein Thema. DFB Botschafter Jimmy Hartwig kann keinen grundlegenden Wandel erkennen.
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Der 66 Jahre alte Ex-Nationalspieler Jimmy Hartwig ist DFB-Botschafter für Fair Play.Foto: Soeren Stache/dpa/dpa
Epoch Times20. Mai 2021

Plakate und Aufschriften auf Trikots gegen Rassismus im Fußball sind für DFB-Botschafter Jimmy Hartwig wichtige Gesten. „Das alleine reicht noch nicht“, sagt der 66 Jahre alte Ex-Nationalspieler aber im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Erwin Kostedde wird am Freitag 75 Jahre alt: Er war der erste schwarze Spieler in der deutschen Nationalmannschaft, hat aber nur drei Länderspiele bestritten. Rassismus begleitete seine Karriere und sein Leben. Er hat darunter gelitten und wurde einer der besten Stürmer Deutschlands. Wie beurteilen Sie ihn und seine Laufbahn?

Jimmy Hartwig: Er war ein exzellenter Fußballer, der es anders hätte machen können, wenn man ihn richtig in die Nationalmannschaft aufgenommen hätte. Aus dem Umfeld, von einigen Fans und Zuschauern, gab es vor seinem ersten Länderspiel schlimme Anfeindungen. Da müsste sich jeder einzelne von damals noch mal Gedanken machen, was sie mit Kostedde getan haben. Es müssten zum 75. Geburtstag ein paar Entschuldigungs-Telegramme kommen. Erwin Kostedde ist der Held meiner frühesten Fußball-Anfänge.

Der Rassismus hat bei ihm tiefe Spuren hinterlassen, vor allem ein ihm zu Unrecht angehängter Raubüberfall.

Hartwig: Er ist ein gebrochener Mann. Die Beleidigungen in seinem Leben haben ihn mitgenommen. Das bleibt ein Leben lang hängen, das hat er nicht verkraftet. Erwin Kostedde war nie einer, der hoppla hopp im Vordergrund stehen wollte, sondern wollte von jedem gemocht werden.

Erwin Kostedde hat in der Bundesliga unter anderem bei Kickers Offenbach, dem MSV Duisburg oder Werder Bremen sowie in Belgien gespielt. Dass er so eine Karriere gemacht hat, trotz rassistischer Anfeindungen: Verlangt das mehr als Anerkennung?

Hartwig: Da sollten sich einige junge Spieler, die meinen, wenn sie den Ball 40 Mal hochhalten können, in die Nationalmannschaft zu müssen, ein Beispiel dran nehmen. Erwin Kostedde sollte man sich als Vorbild nehmen. Wenn man einen Willen und ein Herz hat, kann man alles erreichen, da braucht man nicht die Mutter, die einem den Koffer nachträgt, und Manager.

Sie waren das Vorbild von Erwin Kostedde. Er hat ihren unbeschwerten, teils humorvollen Umgang mit Rassismus geschätzt.

Hartwig: Er hat zu mir gesagt, dass er gerne so gewesen wäre wie ich, mit so viel Rückgrat. Dabei war er mein größtes Vorbild.

Erwin Kostedde hat gesagt: Die Haut, die trennt bis heute. Hat es nach Ihrer Ansicht auch einen Wandel in puncto Rassismus zum Besseren gegeben?

Hartwig: Nein, man sieht ja gerade, was mit den Israelis passiert, wie sie von einem zugegeben kleinen Teil der Demonstranten beschimpft werden auf der Straße. Man glaubt, die Menschen fallen ins Mittelalter zurück. Wie kann man die Freiheit, die wir seit mehr als 75 Jahren in Deutschland haben, so mit Füßen treten? Ich verstehe die Menschen nicht, damit meine ich natürlich nicht alle.

Sie haben mal gesagt, der Rassismus ist unterschwelliger geworden. Wie meinten Sie das?

Hartwig: Es sind Beleidigungen, die tiefer gehen.

Die Bundesliga ist eine Multikulti-Gesellschaft geworden – mit vielen schwarzen Spielern. Hat sich dadurch nichts verändert?

Hartwig: Glauben Sie mir, in einigen Mannschaften gibt es immer noch einige wenige Wirrköpfe, die gegen die schwarzen Jungs sind.

Es gibt Aktionen von Mitspielern und Zuschauern, wenn schwarze Spieler rassistisch beleidigt werden. Ist so eine Solidarität auch ein Signal an die Gesellschaft: Stopp, das ist nicht tragbar?

Hartwig: Das ist ein Mehr an Miteinander. Ich proklamiere immer wieder: Wenn ihr merkt, dass andere Fans Affenlaute von sich geben, müsst ihr, die schweigende Mehrheit der Zuschauer, aufstehen und euch dagegenstellen. Solche Vorfälle gibt es nicht nur in der Bundesliga. Rassismus gibt es auch in der Fußball-C-Klasse.

Was haben Sie mit ihrer Arbeit als DFB-Botschafter für Fair Play mit Ihrem Engagement bewirken können? Was haben Sie noch vor?

Hartwig: Ich bin unterwegs bei den Landesverbänden, kenne mich im Fußball und mit den Formalien aus. Einen dunkelhäutigen Fußballer, einen Jimmy Hartwig, der beim DFB alle Höhen und Tiefen mitgemacht hat und seit acht Jahren gegen Rassismus kämpft, für das Amt des DFB-Präsidenten vorzuschlagen, das wäre mal ein Statement.

Meinen Sie das ernst?

Hartwig: Nein, nicht ganz im Ernst (lacht). Ich habe in den Landesverbänden Menschen, die sagen, du machst einen geilen Job im Fußballverband und klopfen mir auf die Schulter. Darauf bin ich stolz, das macht mir Mut für die Zukunft.

Der Posten ist frei. Fritz Keller ist als DFB-Präsident zurückgetreten.

Hartwig: Ich habe Tränen geweint, als der Mann gehen musste. Er hat einen Fehler gemacht, darüber braucht man nicht zu diskutieren. So eine Äußerung geht nicht. Man müsste die Hintergründe kennen, warum es passiert ist. Ich bin durch die Hölle in meinem Leben gegangen. Ich weiß, wo die Fallen stehen.

Der DFB, die UEFA, die FIFA beziehen klar Stellung gegen Rassismus. Viele Kampagnen wurden initiiert: Hat das etwas bewirkt?

Hartwig: Es geht auch um mehr Vielfalt im Fußball. Auf dem Platz haben wir die, aber in den Präsidien und Vorständen des DFB und der DFB-Landesverbände gibt es einfach noch zu wenige Menschen mit einem Migrationshintergrund. Wir starten am 1. Juni mit fussball+, einem Leadership Programm für Menschen mit einer familiären Migrationsgeschichte. Da packen wir sehr konkret an.

Bewirken Kampagnen gegen Rassismus etwas?

Hartwig: Die ganzen Plakate, die geklebt werden, und die Spieler mit Aufschriften auf den Trikots: Das sind wichtige Gesten. Das alleine reicht noch nicht. Auch bei dem Thema müssen wir am Ball bleiben.

ZUR PERSON: Der 66 Jahre alte Ex-Nationalspieler Jimmy Hartwig ist DFB-Botschafter für Fair Play. Im Profifußball spielte er unter anderem für den 1. FC Köln, den Hamburger SV und 1860 München. (dpa)



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