Die Barra-Connection: Wer das Geld mit Olympia macht

Titelbild
Die Poolanlagen des Olympiadorfes. Nach Olympia sollen die Wohnungen an zahlungskräftige Käufer verkauft werden.Foto: Georg Ismar/dpa
Epoch Times23. Juni 2016
Wind peitscht durch die neue Hochhaussiedlung. Hier schlafen während der Olympischen Spiele die besten Sportler der Welt. Am Eingang steht ein Aufsteller aus Plexiglas, darauf der Schriftzug „Carvalho Hosken S/A“.

„Das soll verhüllt werden“, sagt Domingo Nunes und kämpft mit seinem Zollstock gegen die Windböen. Den Namen Carvalho Hosken soll bitteschön keiner zu sehen bekommen, wenn die Sommerspiele am 5. August in Rio de Janeiro starten. Der 91 Jahre alte Mann, der hinter dem Firmennamen steckt, könnte zum Gewinner der Wettkämpfe schlechthin werden; der Milliardär erwartet dicke Profite. Aber er hält sich derzeit lieber im Hintergrund.

Statt seines Namens wird im August das Logo von „Rio 2016“ die etwa 10 000 Athleten an der „Ilha Pura“, der „reinen Insel“, begrüßen. So heißt die Wohnanlage, die nun erst einmal als Olympiadorf genutzt wird. Die Adresse: Avenida Salvador Allende Nr. 3200, Stadtteil Barra de Tijuca, Rio de Janeiro.

Dabei ist Barra eigentlich kein Stadtteil. Das Gebiet wirkt eher wie eine eigene Stadt, mit mehr als 300 000 Einwohnern. Hier leben die Wohlhabenden. Barra de Tijuca ist ein ganz anderes Rio, als es Touristen kennen. Vieles wirkt neu, geschäftig, amerikanisch.

Dass die Olympia-Macher die Wettkämpfer gerade in Barra einquartieren, ist eine Geschichte für sich. Eine Geschichte über den Nutzen von Olympia und über fragwürdige Deals. Auch der umtriebige Bürgermeister der 6,5-Millionen-Stadt, Eduardo Paes, spielt darin eine Rolle. Kritiker werfen ihm vor, im Gegenzug für hohe Geldspenden das Baurecht geändert zu haben. Und mit Steuergeldern Privatgeschäfte mit dem Olympischen Dorf zu unterstützen – was er bestreitet.

In den Wohnblocks soll nach Olympia vor allem die weiße Mittel- und Oberschicht einziehen. 3604 Apartments gibt es im Komplex „Ilha Pura“. Hinter den Firmennamen Carvalho Hosken steht Carlos Carvalho, eben jener 91-Jährige, der die Hochhäuser in einem Konsortium mit dem Baukonzern Odebrecht hochziehen ließ.

BAULÖWE ALS PATRON VON BARRA

Carvalho gilt als „Patrón von Barra“, als Mitschöpfer des Stadtteils, der an die US-Stadt Miami erinnert. Vor einem Komplex mit 18 Kinos steht die Nachbildung der Freiheitsstatue aus New York. Sie sieht kitschig aus, passt aber zur amerikanischen Anmutung hier.

Zehn Millionen Quadratmeter Land bezeichnet Carvalho hier als seines, oft bebaut mit Hochhausblöcken. Der Stadtteil ist mit sein Werk. Carvalho gilt als Visionär mit Gespür fürs Geschäft. Erst hatte der Unternehmer viel in zwei Strandvierteln, in Copacabana und in Leblon, gebaut. Dann verlegte er sein Geschäftsfeld nach Westen, wissend, dass sich die Stadt ausdehnen wird. Nun liegt das Olympiadorf 35 Kilometer entfernt von Copacabana mit seinem Traumstrand.

Nach einer „reinen Insel“, „Ilha Pura“, sieht es in diesem Sportler-Dorf nicht aus. Auf einem Werbeplakat hält zwar ein Mann eine Frau im Arm, romantisch blicken sie auf eine große Wasserfläche. Doch das Gelände gleicht eher einer Betonwüste, dominiert von 31 Hochhäusern mit jeweils 17 Stockwerken. Über eine vierspurige Schnellstraße kann man entfernt die Lagune Jacarepaguá sehen, die aber meist verdreckt ist. An ihr liegt der Olympiapark, das sportliche Zentrum der Spiele mit den meisten Wettkampfstätten.

Gibt man „Ilha Pura“ dagegen im Internet ein, geht es sehr wohl hinein in Traumwelten: Das Geschäft der Firma Carvalho Hosken und des Partnerunternehmens Odebrecht für die Zeit nach Olympia läuft. Da ist zum Beispiel der Komplex Saint Michel mit fünf Hochhäusern – benannt nach den französischen Regionen Bordeaux, Bourgogne, Provence, Alsace (Elsass) und Champagne. 160 bis 131 Quadratmeter große Apartments. Natürlich gehört ein Pool zum Haus. Preis: 1,52 Millionen Reais (380 000 Euro) für 160 Quadratmeter.

Für europäische Verhältnisse noch günstig. Aber auch angesichts der Lage, weit weg vom Zentrum Rio de Janeiros, ein stolzer Preis.

Doch erst einmal kommt Olympia. Zur „Ilha Pura“ gehört ein weitläufiges Entrée, viel Holz, eine Theke. Dahinter ein missmutiger Wachmann in schwarzer Bomberjacke. „Das Sagen hat jetzt hier das Internationale Olympische Komitee“, sagt er. Mit dem Organisationskomitee in Rio hat man sich um die Herrichtung des Dorfes für die Athleten gekümmert.

19 000 BETTEN UND 3600 SOFAS FÜRS SPORTLER-DORF

Nicht nur Sportler, auch Trainer und Betreuer werden hier wohnen. Es ist eine große Logistikaufgabe: 19 000 Betten, 10 650 Schränke, 11 152 Klimaanlagen, 3604 Sofas, 120 580 Handtücher. In der Tiefgarage stapeln sich Hunderte Kartons für Klimaanlagen – und die Matratzen für die Olympiateilnehmer. Doch die Besichtigung eines Appartements im Komplex Saint Michel zeigt: Während draußen Pools, Fahrradwege und Tennisplätze in der Sonne glänzen, das Olympische Dorf ansprechend wirkt, ist es innen ernüchternd einfach.

In einer Musterwohnung stehen schmale Betten mit Eisengittern. Statt Kleiderschränken gibt es mit Reißverschlüssen versehene Plastikboxen. Für die Inneneinrichtung sind die nationalen Organisatoren zuständig, die wegen einer tiefen Rezession unter Geldmangel leiden.

Während der Olympia-Wochen sollen in Saint Michel die Brasilianer und Briten wohnen, die Deutschen in einem anderen Komplex. Nach den Spielen kommt alles raus, dann werden die Häuser auf Luxus getrimmt. Kinos, Saunen, Fitnessstudios sollen in den Komplexen Standard sein.

„Ab Juni 2017 ist alles bezugsfertig“, sagt der Vermarkter voraus. Der Verkauf laufe gut. Das Luxuskonzept unterscheidet Rio zum Beispiel von den Spielen in London 2012. Dort bescherte das Olympische Dorf im East End den Bürgern mit weniger dicken Geldbeuteln nach den Spielen neue Wohnungen.

Carlos Carvalho dagegen setzt schon länger auf seine Vision eines weißen Rios. Mit weniger Kriminalität als bisher, ohne Favelas, also Armensiedlungen, die durch den Zuzug schwarzer Tagelöhner entstanden waren. Um 1900 startete diese Entwicklung – rund 20 Prozent der Bewohner Rios leben heute in den Favelas.

Die Favela Vila Autódromo am Olympiapark war bisher eine der wenigen Armensiedlungen mitten im Herzen Barras. Einfache Arbeiter lebten dort, mit legalen Besitztiteln. Sie wurde – bis auf ein paar Häuser mit besonders kämpferischen Bewohnern – plattgemacht. Die Menschen wurden in Billig-Apartments verpflanzt. Der Unternehmer Carvalho hatte sich dafür stark gemacht.

VERRÄTERISCHES INTERVIEW

Rund ein Jahr vor den Spielen gab er dazu dem britischen Sender BBC und der Zeitung „Guardian“ ein sehr offenes Interview. Mit Blick auf die Vila Autódromo, deren Bewohner teils mit Polizeigewalt aus ihren Häusern geholt wurden, sagte er: „Sie werden jetzt ihrem Standard entsprechend wohnen. Sie müssen gehen.“ In den Randbezirken gebe es genug Platz, das Zentrum gehöre der Elite. Die Reaktionen darauf waren, milde ausgedrückt, nicht positiv.

Eine aktuelle Anfrage an seine PR-Beraterin Bruna Coutinho für ein Interview wird dagegen abgeblockt. Es sollte um Carvalhos Geschäfte, seine Geldzuwendungen an den Bürgermeister, seine Vision von Barra gehen. Die Antwort: Leider nein. „In der Zeit der Olympischen Spiele werden solche Anfragen vom Bürgermeister Rio de Janeiros bearbeitet.“ Sieht wie ein Maulkorb aus.

Denn auch Bürgermeister Eduardo Paes hatte damals wenig amüsiert reagiert: „Ich habe eine gute Beziehung zu ihm, aber das bedeutet nicht, dass ich immer seiner Meinung bin. Was er gesagt hat, ist ein Skandal.“ Als Politiker muss er wissen, dass die Aussagen Carvalhos in einer Stadt mit einem großen Gefälle zwischen Arm und Reich sozialer Sprengstoff waren. Und für die Spiele, die bei den Menschen wenig Euphorie erzeugen, nicht förderlich.

Bürgermeister Paes preist die Spiele, die knapp zehn Milliarden Euro kosten, gerne als Geschenk an die Bewohner. Doch das große Geschäft damit machen wenige Leute. Eher solche wie Carlos Carvalho, die noch reicher werden. Ein Index des Wirtschaftsdienstes Bloomberg schätzt dessen Vermögen auf 4,2 Milliarden Dollar (3,7 Milliarden Euro) und sieht ihn als 13-reichsten Brasilianer.

Der studierte Ingenieur und Vater von vier Kindern lässt zu seinem Erfolgsgeheimnis erklären, er sei unermüdlich. Auch mit über 90 Jahren arbeite er montags bis freitags von 7 bis 19 Uhr. Er hat schon in den 1970er Jahren auf die Entwicklung Barras gesetzt. Der Zuzug ließ seine Kassen klingen. Die Quadratmeterpreise sind lange stark gestiegen. Nach Barra wird für Olympia nun auch eine neue Metrolinie gebaut, die fast 2,5 Milliarden Euro kosten wird. Hinzu kommen neue Schnellbuslinien.

Man hätte auch einen ärmeren Teil Rios zum Herzstück der Spiele machen können. Eine benachteiligte Region entwickeln, Spiele fürs Volk. So jedoch findet Olympia in der Welt der Wohlhabenden statt.

BÜRGERMEISTER MIT NÄHE ZU BARRA

Bürgermeister Paes, nie um einen flotten Spruch verlegen, ist Teil der Barra-Connection. Der 46-Jährige, der den Dauer-Optimisten gibt, startete in diesem Teil Rios 1993 als Unterpräfekt seine Karriere. Interessant: Im Jahr 2012 spendete Carvalho 650 000 Reais (165 000 Euro) für die Wiederwahlkampagne von Paes und seiner Partei PMDB.

Kritiker fragen: Ging da alles mit rechten Dingen zu? So ein Kritiker ist der Anwalt Jean Carlos Novaes. Einen Kilometer entfernt vom Olympischen Dorf, Treffen in einem Hotel am Olympiapark mit dem Juristen. Alles sehr lichtdurchflutet, in drei Stunden Gespräch kommt gerade einmal ein Gast zur Rezeption. In der Bar neben: niemand. Es muss sich noch zeigen, ob es nach Olympia in Barra wirklich einen solchen Zulauf an Gästen gibt, dass diese Hotels besser laufen.

Der Anwalt für Immobilienrecht ist so etwas wie ein Kronzeuge der Anklage. Er hat Hunderte Dokumente studiert. Sein Urteil ist eindeutig: „Carlos Carvalho ist der Hauptnutznießer des Olympia-Erbes.“ Er habe das Brachland vor vielen Jahren sehr günstig gekauft. „Es wurden dann die Regeln geändert, es war zuvor nur erlaubt, Gebäude mit maximal acht Stockwerken zu bauen.“ So sei der Wert des Geländes für Carvalho sprunghaft gestiegen. Bei der Ausschreibung für die Bauten sei von vornherein klar gewesen, dass das Konsortium Hosken/Odebrecht den Zuschlag bekomme, meint er.

Carvalhos Baupartner, der Konzern Odebrecht steht seit längerem im Fokus eines Brasilien erschütternden Skandals um hohe Schmiergeldzahlungen bei Auftragsvergaben. Ex-Chef Marcelo Odebrecht wurde im März zu 19 Jahren und 4 Monaten Gefängnis verurteilt. Es würde manche Experten nicht überraschen, wenn es auch in Sachen Olympia noch zu Korruptionsanklagen kommt.

EIN ANWALT SAMMELT INDIZIEN

Novaes jedenfalls möchte Bürgermeister Paes vor Gericht bringen. Denn da sei noch die Sache mit dem olympischen Golfplatz in einem Naturreservat. Dort baut ein zweiter Immobilien-Großunternehmer in Barra mit seinem Unternehmen Cyrela. Dank der Änderung strenger Umweltrichtlinien dürfe dort überhaupt gebaut werden, so Novaes.

Er sieht wegen der Finanzierung von Paes‘ Kampagnen Indizien für mögliche Korruption. Was der Bürgermeister mit Verweis auf die Legalität von Parteienspenden klar zurückweist. Paes werden Ambitionen auf die Präsidentschaftskandidatur 2018 nachgesagt. Auf Anfrage betont ein Sprecher, die Spiele würden dem Wohl der Stadt dienen, es habe keine Begünstigung oder gezielte Baurechtsänderungen für Carvalhos-Projekte gegeben.

Der Politiker betont immer wieder, dass in Rio im Rahmen des Programmms „Minha Casa, minha Vida“ 65 000 Sozialwohnungen geschaffen worden seien. Und zwar auch in Barra. Und dass gerade wegen der privaten Investitionen, die über die Hälfte der zehn Milliarden Gesamtkosten ausmachen, Olympia in Rio in einem verträglichen Finanzrahmen bleibe. Aber der Bundesstaat Rio de Janeiro hat kurz vor Olympia den finanziellen Notstand ausgerufen und braucht von der Regierung Nothilfen von bis zu 780 Millionen Euro.  

Vor dem Olympiadorf der Athleten steht Pedro Osari. Er hält einen Hammer in der Hand und blickt auf die Hochhäuser. Er wird sich hier nie eine Wohnung leisten können. Osari ist dafür da, dass die Fäkalien der Bewohner sauber abfließen. „Wir kümmern uns um die ganzen Abwasserleitungen, ein komplexes System“, sagt der 50-Jährige. Auf seinem grauen Overall ist das Emblem von Cedae zu sehen, der staatlichen Abwasserfirma Rio de Janeiros.

Für den Anwalt Novaes ist das ein weiteres Indiz für Filz: „Der Staat übernimmt alle Kosten für die gesamte Infrastruktur bei der Ilha Pura.“ Zudem habe Carvalho günstige Baukredite der staatlichen Bank Caixa Econômica Federal erhalten, betont er. Das Ganze sei von keinerlei Nutzen für die Allgemeinheit. Das Unternehmen Carvalho Hosken hingegen kann nach den Spielen werben, dass seine Wohnungen von Olympiasiegern eingewohnt seien. Aber bevor es so weit ist, ist der Name des Olympia-Gewinners erst einmal dezent verhüllt worden.

(dpa)

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