Lena Goreliks literarische WM Schlagzeilen für Dienstag

Von 3. Juli 2006

Der Fußball ist Liebesgeschichte, Krieg und Religion in einem. Für die einen ist es vielleicht nur ein Spiel, für manch anderen auch eine Geldquelle, aber die Zeitungsmacher haben in ihm ihre Schlagzeilen-Muse entdeckt. Geistreich füllen sie die Spalten mit Liebesversen, Kriegsschlagzeilen und Bibelmetaphern, bis Zidane sich in einen edlen Ritter in schimmernder Rüstung verwandelt und die Olympischen die Brasilianer für ihre sportliche Arroganz bestrafen.

In England, so melden die Zeitungen, ist ganz offiziell der Liebesschmerz ausgerufen worden. Es ist eine Love Story, wie sie im Buche steht: Mit rosaroter Brille und Liebeshymnen schickten die Engländer ihre Spieler nach Deutschland. Auf dem Höhepunkt der Verliebtheit benahmen diese sich noch vor dem ersten Anpfiff wie die sicheren Weltmeister. Dann kam der Alltag: Die Engländer spielten mehr träge, als schön, gewannen in den letzten Minuten, als seien sie gelangweilt. Unzufriedenheit zeigte sich in der Nation, aber Glaube und Hoffnung blieben, die Engländer kämpften für diese Beziehung bis zum Schluss. Dann, am Samstag der Eklat: Das Aus – Schluss, Ende, vorbei. Nun ist Englands Herz gebrochen (»Mail on Sunday»), und wie immer in diesem Zustand scheint das Ende der Welt (»Sunday Express») nicht fern zu sein. Es endet alles in Tränen!» Zwischen diesen kriecht aber langsam auch die Wut hervor. Die Phase bricht an, in der man die Fotos der verflossenen Liebe zerfetzt, tränendurchnässte Trikots ganz hinten in die Schublade stopft. In dieser Wutphase darf man auch vom dummen Rooney» (»Sunday Express») sprechen.

Ganz anders die Franzosen: Diese spielen laut des niederländischen «Telegraf» neuerdings nicht mehr Fußball, sondern sie tanzen Samba auf dem Spielfeld. Währenddessen bringen die Brasilianer, die eigentlichen Samba-Künstler, die Schande des Jahrhunderts» (»El Periódico de Catalunya») über ihr Land. Da ist vom Fall der Götter die Rede (»Corriere della Sera»), was aber nicht weiter verwunderlich ist. Denn die Hände Gottes gehören ja nun offiziell Jens Lehmann (»Bild»). In der Zwischenzeit schreiben die tapferen Krieger aus Portugal Geschichte und landen dafür im Himmel.

Vier Spiele noch, dann ist die WM vorbei. Fünf Tage noch, dann gibt es in den Schlagzeilen keine gottgesandten Fußballspieler, keine Horrorshows beim Elfmeter, keine Peinlichkeiten des Jahrhunderts mehr. Dann ist der Alltag wieder da, und Frau Merkel und die ihren bekommen die erste Zeitungsseite zurück.

Morgen ist aber noch nicht so weit. Morgen werden die Zeitungen wieder von dichterischen Versen und innovativen Metaphern strotzen. Ich habe auch ein Paar:

A Star Is Born: Philipp Lahm und seine drei Wundertore gegen Italien.»

Gott schütze die Franzosen vor uns im Finale!»

Die deutsche Mannschaft: Geboren um zu spielen!»

Unsere große Liebe: Jens Lehmann!»

Züge und Flugzeuge nach Berlin ausgebucht! Autobahnen jetzt schon verstopft! Deutschland spielt im Finale!»

(Die deutsch-russische Autorin Lena Gorelik schildert während der WM ihre ganz subjektive Sicht auf das Großereignis. Die 25-Jährige wurde für ihren Debütroman «Meine weißen Nächte» mit dem bayerischen Kunstförderpreis 2005 ausgezeichnet. Im Herbst soll ihr nächster Roman veröffentlicht werden)



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