Glücksfall Sturm – Eishockey am Scheideweg

«Der Hype ist ziemlich groß, auch um meine Person.» So beschreibt Eishockey-Bundestrainer Sturm die Stimmung nach dem Gewinn der Olympia-Silbermedaille. Jetzt steht die nächste Herausforderung an. Nebenbei soll er dabei seinem problemgeplagten Sport helfen.
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Bester Laune: Eishockey-Bundestrainer Marco Strum.Foto: Peter Kneffel/dpa
Epoch Times27. April 2018

Immer lächeln, das schafft auch Sunnyboy Marco Sturm nicht. Wenn etwas nicht so läuft, wie es seiner Meinung nach sollte, entschwindet die sonst so einnehmende Freundlichkeit aus dem Gesicht des Eishockey-Bundestrainers.

Für einen Moment verfinstert sich die Miene. Sturm presst kurze Ansagen hervor. „Auf geht’s, boys“, brüllt er im Training im Wellblechpalast von Berlin-Hohenschönhausen. Dazu knallt der Schläger aufs Eis. Die Aufmerksamkeit der Spieler war nicht so, wie sie sein sollte. Nun hat er sie.

Seit Mitte April wird die Anspannung größer. Wenn draußen die Temperaturen steigen und nicht mehr so recht zum Eishockey passen, ist Vorbereitungszeit auf die jährliche Weltmeisterschaft im Mai. In diesem Jahr dürfte das Interesse an der WM vom 4. bis 20. Mai in Dänemark so hoch sein wie seit Jahren nicht mehr.

„Es wäre natürlich besser, wenn wir bei der WM gut abschneiden“, sagt Sturm. Denn diese WM ist enorm wichtig, nicht nur für ihn. Zugespitzt kann man sagen, es geht um die Zukunft des deutschen Eishockeys. Zumindest um die Frage: Kann der Deutsche Eishockey-Bund – kurz DEB – den Gewinn der olympischen Silbermedaille vom Februar zu einem Aufschwung nutzen, der nachwirkt? Oder verpufft der Boom?

„Jetzt ist Zeit, sich zu besinnen und auf dem Boden zu bleiben“, mahnt DEB-Chef Franz Reindl. „Genieße den Moment, hänge dir die Medaille um, aber es geht weiter. Das wird brutal schwer.“ Reindl hat das als Spieler vor über vier Jahrzehnten selbst erlebt. 1976 gewann er Olympia-Bronze. Auch Alois Schloder, damals Kapitän, kennt die Situation: „Die Erwartungen sind natürlich sehr hoch.“

Nach dem aktuellen Olympia-Erfolg traten drei der renommiertesten Namen zurück: Christian Ehrhoff (35), Marcel Goc (34) und Patrick Reimer (35). Und die Auswahl an guten, jungen deutschen Spielern ist begrenzt.

STURM TOURT DURCH DIE MEDIEN

„Im modernen Eishockey – egal in welcher Nation – dominieren die jungen Spieler durch Schnelligkeit, durch Technik. Da sind wir wirklich weit, weit hinterher“, merkt Sturm an.

Die Sensation von Südkorea schaffte der 39-Jährige mit zahlreichen Sportlern, die nicht viel jünger sind als er. Ein überragender Mannschaftsgeist trug sie zum Erfolg. Damit machten das Team und der Trainer Punkte in der Öffentlichkeit. „Der Hype ist ziemlich groß, auch um meine Person“, sagt Sturm. Der Bayer aus Dingolfing hat in seiner Spielerkarriere mehr Geld verdient als mancher Fußball-Star. Dennoch wirkt er bescheidener als die meisten anderen. „Man wird, egal wo man ist, in Deutschland mehr erkannt als früher“, erzählt er.

Seit Februar gab es für ihn keine Woche ohne Medienpräsenz. Während die Spieler nur drei Tage nach dem Olympia-Finale in der Deutschen Eishockey Liga ran mussten, wurde der Bundestrainer rumgereicht. Und Sturm ließ sich rumreichen. „Die Spieler waren sofort wieder bei den Vereinen. Die Vereine haben alles geblockt. Es hing deswegen alles an meiner Person“, begründet er seine Medienoffensive.

DIE OLYMPIA-SENSATION

Der 25. Februar 2018 dürfte in die deutschen Sportgeschichtsbücher eingehen. Sein Nationalteam spielte in Pyeongchang im Finale der Winterspiele gegen Russland. Eigentlich undenkbar. Dass Deutschland in dieser von Kanadiern, Skandinaviern und Osteuropäern dominierten Sportart um Gold kämpfte, hatte es nie zuvor gegeben.

Nach dem Einzug ins Endspiel durch einen Sieg über das Eishockey-Mutterland Kanada war der Strahlemann Sturm mit einem Mal kreidebleich gewesen. Er schien sich nur noch wankend auf schlotternden Knien halten zu können. Die Endspielteilnahme bedeutete den größten deutschen Eishockey-Erfolg. Und das nur knapp mit 3:4 verlorene Finale sahen, obwohl es um 5.10 Uhr deutscher Zeit angepfiffen wurde, mehr als drei Millionen TV-Zuschauer.

„Wann habe ich in meinem Alter in der Nacht Fernsehen geschaut? Bei der Mondlandung 1969, bei Muhammad Ali, wenn er geboxt hat, – und jetzt beim Eishockey“, sagt der 70-jährige Schloder. Ob die heutige Spieler-Generation so populär wird wie er, Reindl und vor allem Erich Kühnhackl (67) damals? Das muss sich noch zeigen.

CLUBS MELDEN NEUEN ANDRANG

Ein Boom ist an der Basis schon greifbar, Eishockey scheint wieder in. „Das ist unvorstellbar“, schwärmt Reindl. Sponsoren steigen ein, Eltern kommen mit Kindern zu den Clubs. „Von Schnupperkursen und Kids Days bekommen wir die Rückmeldung, dass das Interesse, aufs Eis zu gehen, viel, viel größer wird“, sagt der 63-Jährige stolz.

Es war seine Entscheidung gewesen, Sturm 2015 als Nachfolger des glücklosen Pat Cortina zum Bundestrainer und zum Generalmanager zu machen. Selbst Nationalspieler reagierten irritiert. Der damals 36 Jahre alte Sturm hatte zwar in der NHL eine tolle Karriere hingelegt und in der besten Liga der Welt 1006 Spiele absolviert – so viele wie kein anderer Deutscher. Trainererfahrung besaß er aber keine.

Als bodenständig, bescheiden, zielstrebig und willensstark wird Sturm in seiner Eishockey-Heimat beschrieben. Die Kaderschmiede Landshut ist klein, rund 70 000 Einwohner, man kennt sich. Sturm sitzt hier auch mal beim wöchentlichen Stammtisch mit alten Weggefährten.

STURM GILT ALS AMERIKANISCHER TYP

Bei den Spielern ist Sturms Ruf ebenfalls exzellent. Wenn der einstige NHL-Star ruft, kommen selbst die Besten aus Nordamerika umgehend. Mehrfach wird von einer „Wohlfühl-Atmosphäre“ beim Nationalteam berichtet. Zugleich übertrug Sturm seine Gier nach Erfolg und den Siegeswillen auf die Mannschaft. Nur mit dem Erreichen eines Viertelfinals ist niemand mehr zufrieden.

Sturms Art gilt als typisch amerikanisch. Es ist aber nicht so, dass der Bayer nach knapp 20 Jahren aus den USA verändert zurückkam. „Nee, der war schon immer so“, sagt der frühere Nationalmannschaftskollege Sven Felski (43).

Wie lange Sturm noch Bundestrainer bleibt, ist trotz eines Vertrags bis 2022 unklar. Daran, dass er irgendwann als Coach zurück will in die Top-Liga der Welt, hat er nie einen Zweifel gelassen: „Franz Reindl kennt das Geschäft. Er weiß ganz genau, wenn Erfolg da ist, ist das Geschäft so, dass der eine oder andere dann gefragt ist.“

Sein Weggang wäre für die Funktionäre ein herber Verlust. Für Reindl war die Personalie ein wichtiger Baustein in seinem Programm. 2014 hatte er das Amt als DEB-Boss übernommen – und damit viele Probleme. Unter Bundestrainer Cortina wollte kaum ein Spieler zum Nationalteam. Erstmals hatte Deutschland 2013 die Olympia-Qualifikation verpasst. Die einst populäre Sportart verlor an Reiz.

Reindl schob Reformen an und nannte den Prozess „Powerplay 26“. Ziel ist es, von 2026 an mit dem Nationalteam ganz oben um WM- und Olympia-Medaillen mitzuspielen. Ein ehrgeiziges Ziel, das oft belächelt wurde. Nun, da Sturm dem DEB acht Jahre früher Olympia-Silber beschert hat, lacht keiner mehr.

Bereits mit 18 Jahren wagte Ausnahmetalent Sturm als Spieler 1997 den Sprung in die NHL. „Ich war sehr diszipliniert, auch in meinen jungen Jahren. Ich wollte einfach die Chance nutzen“, sagt er.

Diesen Willen fordert er nun auch von seinem Team. „Er hat klare Vorstellungen. Demjenigen, der diese Richtung nicht konsequent mitgeht, dem wird das dann auch mal gezeigt“, sagt DEB-Sportdirektor Stefan Schaidnagel. Der Sportwissenschaftler kam 2015 einige Wochen nach Sturm zum DEB und krempelt den Verband mit ihm um. „Du brauchst so einen Erfolg, um die Massen zu bewegen“, meint der 37-Jährige zum Zuspruch in der Öffentlichkeit. „Der Marco ist ein absoluter Glückfall.“

Sturm und Schaidnagel – beiden war nach Olympia klar: Jetzt geht die Arbeit im Zuge von Reindls Reformen erst richtig los. Denn noch immer warten große Aufgaben. Etwa beim Nachwuchs.

EISHALLEN FEHLEN

„Wir haben von vorne bis hinten einfach Probleme“, sagt Sturm vor allem zum Jugendbereich. Seit 2015 werden die Talente beim DEB wesentlich gezielter gefördert. So sollen besser ausgebildete Spieler heranwachsen. Aber das dauert. Zudem bringt es wenig, wenn die Geförderten in der ersten Liga nur wenige Einsatzzeiten erhalten.

Daheim in Landshut kümmert sich Sturm auch selbst um die Jugend und übernimmt Trainingseinheiten. Sein Sohn Mason Joseph spielt dort. Dabei wird er mit einem weiteren Problem konfrontiert: Die Halle sieht noch aus wie zu seinen Jugendzeiten.

Heruntergekommene Bauten gibt es an vielen Standorten. In Landshut ist die Situation noch vergleichsweise gut. Im Sommer startet ein Umbau. Insgesamt 21 Millionen Euro soll die Sanierung kosten und bis 2021 abgeschlossen sein. Finanziert von der Kommune.

Zustand, aber auch die Zahl der Eisflächen in Deutschland sind ein Problem. Gerade jetzt, wo mehr Kinder und Jugendliche kommen. In Landshut etwa waren es nach Olympia in der EVL-Laufschule plötzlich rund 20 neue Kinder.

Ähnlich ist es in der Hauptstadt. „Aber wir haben zu wenig Eisflächen und damit auch zu wenig Eiszeiten. Wir sind zu 100 Prozent ausgelastet“, sagt Felski, Nachwuchsleiter bei den Eisbären Berlin. „Bundesweit haben wir zu wenig Möglichkeiten, den Sport ausüben zu können.“

SCHAFFT DER VERBAND DIE WENDE?

Um das Dilemma anzugehen, hat der DEB mit Baufirmen die Plattform „Eisflächen für Deutschland“ gegründet und betreibt Lobbyarbeit. Etwa beim Deutschen Städtetag. Reindls Ziel ist es, „in 4 Jahren 50 Eisflächen neu geschaffen oder saniert“ zu haben.

Sein Ex-Mitspieler Schloder ist skeptisch. „Die Kommunen sagen: Wir haben Kitas, Kultur, wir haben Flüchtlinge. Das wird sehr schwierig.“ 1976 erlebte Schloder mit, wie die Begeisterung über Bronze mit der Zeit verpuffte.

Reindls Leitsatz in solchen Fällen ist bislang immer gewesen: „Der Marco macht das schon.“ Das gilt auch diesmal. Fraglich ist eben nur, wie lang noch. Sturms Faible für Amerika gilt als ungebrochen. Die Familie hat ein Haus in Florida. Und sein Erfolg macht ihn als Trainer auch für die NHL interessant. (dpa)



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