IAAF-Councilmitglied Digel: «Die Daten sind alarmierend»

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Helmut Digel äußert sich kurz vor WM-Beginn zur aktuellen Problematik.Foto: Axel Heimken/dpa
Epoch Times18. August 2015
Helmut Digel ist seit mehr als 20 Jahren deutsches Mitglied im Council des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF. Vor Beginn der WM vom 22. bis 30. August in Peking kamen neue Doping-Vorwürfe gegen die IAAF, die in einer ARD-Dokumentation erhoben wurden, höchst ungelegen.

„Wenn kurz vor der WM unsere Sportart mit Doping in Verbindung gebracht wird, ist das ein Schatten“, sagte Digel im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Wie die ARD über eine IAAF-Liste mit Blutdopingdaten von rund 5000 Athleten berichtete, findet er „empörend“. Die Daten selbst seien aber „alarmierend“.

Auf dem IAAF-Kongress am 19. August wird ein neuer Präsident gewählt. Kandidaten sind die früheren Weltklasseathleten Sergej Bubka und Sebastian Coe. Wer wird Nachfolger des Senegalesen Lamine Diack?

Helmut Digel: Beide haben sehr gute Chancen. Bubka hat überraschend konkrete und praxisnahe Projekte offeriert. Sie haben die Entwicklungsländer im Blick und wie man kleinere Nationen mit ihren zum Teil desolaten Leichtathletik-Strukturen an die besseren Länder heranführen kann. Coe hat auch den Entwicklungshilfebereich forciert. Das wird der Schlüssel zum Erfolg sein, weil die kleinen Länder die Mehrheit der Stimmen haben. Und die werden dem die Unterstützung geben, der bereit ist, am meisten für sie zu tun. Was ihre Führungsqualitäten angeht, hat Coe einen Vorteil. Als Organisator der Olympischen Spiele in London hat er gezeigt, mit einem professionellen Team arbeiten und sich selbst zurücknehmen zu können.

Es gibt Doping-Vorwürfe gegen die IAAF, die in einer ARD-Dokumentation erhoben wurden. Die IAAF soll dopingverdächtige Blutproben vertuscht haben. Fällt dadurch ein Schatten auf die WM?

Digel: Ja, ohne Zweifel. Wenn kurz vor der WM unsere Sportart mit Doping in Verbindung gebracht wird, ist das ein Schatten. Ich bin aber in vielerlei Hinsicht empört über die ARD, weil ich glaube, das, was in der Berichterstattung über die IAAF Blutdatenbank gemacht wurde, journalistisch nicht akzeptabel ist. Die ARD-Dokumentationen haben dennoch ihre Verdienste, weil sie mit ihrer Berichterstattung auf umfassende Doping-Probleme in Russland und Kenia aufmerksam gemacht haben.

Es gibt deshalb Untersuchungen der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA und der Ethikkommission der IAAF.

Digel: Der Auftrag erfolgte bereits vor einem Jahr. Diese Kommissionen müssten nun endlich darüber Bericht erstatten, was sie bis heute nicht getan haben. Was geschieht mit diesen Verbänden oder mit einem russischen Sportminister Mutko, der Äußerungen macht, die nicht nachzuvollziehen sind? Der so tut, als wäre alles eine deutsche Erfindung. Kenia und Russland gehören auf den Prüfstand.

Die ARD und die „Sunday Times“ haben eine IAAF-Liste mit 12 000 Bluttest-Resultaten von 5000 Läufern ausgewertet. Demnach sollen ein Drittel aller Medaillen bei WM und Olympischen Spielen von 2001 bis 2012 von Athleten mit dopingverdächtigen Werten gewonnen worden sein.

Digel: Ich habe hierzu meine Empörung zum Ausdruck gebracht. Wir sind nahezu der einzige Verband, der mit eigenen Mitteln so eine Blutdatenbank aufgebaut hat. Fragen sie mal den Weltschwimmverband FINA, fragen sie mal die anderen 27 Sommersportverbände, ob sie so eine Datenbank haben. Diese Datenbank enthält personalisierte Daten, ist absolut vertraulich und unterliegt dem Arztgeheimnis.

Und warum gibt es diese Daten überhaupt?

Digel: Wir haben diese Datenbank für zwei Zwecke: zum Zweck der Prävention und um Betrügern auf die Spur zu kommen. Wer uns den Vorwurf macht, wir würden etwas vertuschen, der hat das Problem nicht verstanden und ist ein Dummkopf. Hier gibt es nichts zu vertuschen. Die Daten müssen vertraulich bleiben, wenn diese Datenbank eine Funktion haben soll.

Aber ist das erschreckende Ergebnis der Auswertung falsch?

Digel: Nein, die Daten sind alarmierend. Wir alle wissen aber auch, dass man von hohen Blutwerten nicht direkt auf Doping schließen darf und kann. Das geht schlicht auch juristisch nicht. Wer also hohe Blutwerte als direkten Indikator für Betrug verwendet, der handelt gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse und politisch völlig verantwortungslos. Der Schaden für die Leichtathletik ist erheblich und stellt viele saubere Athleten unter Verdacht.

Ist die 16-jährige Ära Diack eine Ära der Stagnation gewesen?

Digel: Ich möchte nicht am Ende Dreck auf jemanden werfen. Ich scheide aus und habe vieles nicht erreicht, und das hängt auch mit der Person Diack zusammen. Aber er ist innerhalb der Sportpolitik eine große Persönlichkeit und hat enormen Einfluss im IOC gehabt. Er hat sportpolitisch einen Riesenerfolg aufzuweisen, weil er Afrika an die Welt herangeführt hat. Er ist darauf stolz, zurecht.

Diack hat einen Athletic’s World Plan zur Entwicklung der Leichtathletik auf den Weg gebracht und die Diamond League geschaffen! Beides funktioniert leidlich.

Digel: Das sind Pläne, manchmal auch nur Namensänderungen und viel Papier. Leider ist es in Weltsportverbänden so, dass derartige Zukunftspläne in der Realität nur bescheidene Erfolge aufzuweisen haben. Der Kern der Sportart selbst ändert sich dadurch nicht entscheidend. Das gilt auch für die Diamond League: Da hat man eine Vergrößerung erreicht, aber die Qualität der einzelnen Veranstaltungen hat sich dabei nicht verbessert. Insgesamt kann man nicht von einer Phase der Modernisierung der Leichtathletik sprechen.

Die WM ist das Premiumprodukt der IAAF, es verliert aber an Attraktivität. Muss eine radikale Reform des Formats her?

Digel: Die WM ist noch ein interessantes Produkt. 95 Prozent aller Einnahmen, die die IAAF erzielt, resultieren aus der WM – und die Fernsehquoten sind nach wie vor gut. Allerdings haben wir, wenn man die demografische Entwicklung verfolgt, die Jugend immer weniger an unserer Seite, das Publikum wird immer älter. Das lässt darauf hindeuten, dass das Programm, wie wir es präsentieren, nicht mehr zeitgemäß ist. Wir benötigen dringend eine Reform.

Die IAAF redet schon lange darüber, tut aber nichts…

Digel: Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Bob Hersh und mir hat ein Jahr an einem World Championships Renovation Project gearbeitet. Der Abschlussbericht wird in Peking dem IAAF-Council übergeben. In diesem 50-seitigen Papier werden gravierende Vorschläge zur Veränderung der WM vorgetragen. Wir brauchen kürzere Programme im Stadion, um wieder junge Leute an uns zu binden.

Ist die Präsentation der Wettbewerbe selbst noch zeitgemäß?

Digel: Die Präsentation der Spitzenleistungen gelingt uns meistens nur sehr amateurhaft. Nach wie vor sind viele Athleten herausragende Persönlichkeiten, und ihre Leistungen sind faszinierend. Daran liegt es nicht. Sie müssen aber bereit sein, einige Wettkampfregeln infrage zu stellen, die althergebracht sind. Zum Beispiel: Kürzere Pausen zwischen den Versuchen und weniger Versuche in Wettkämpfen. Was auf den Prüfstand gehört, ist der Stabhochsprung, der viel zu lange dauert. Das kommt in dem Papier zum Tragen. Es liegt nun am neuen Präsidenten, ob er bereit ist, diese Reform einzuleiten.

ZUR PERSON: Der Sportsoziologe Helmut Digel (71) war von 1993 bis 2001 Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Seit 1995 ist er Mitglied im Council des Weltverbandes IAAF, dessen Vizepräsident er von 2001 bis 2007 war. Nun zieht er sich aus der IAAF-Führung zurück.

(dpa)

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