Löw doch Reformer – Neuer mit Titelhunger

Vor einem Jahr lag Fußball-Deutschland am Boden. Der WM-K.o. in Russland traf den vierfachen Champion ins Mark. Der Neuanfang lief erstmal zäh, nun gibt es sogar schon wieder Titelhoffnungen.
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Fassungslos: Bundestrainer Joachim Löw nach dem WM-Aus in Russland.Foto: Andreas Gebert/dpa
Epoch Times26. Juni 2019

Der 27. Juni 2018 ist der Tiefpunkt der deutschen WM-Geschichte. Das 0:2 gegen Südkorea in Kasan besiegelt das erste Vorrunden-Aus einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft nach einer total verkorksten WM-Mission des Titelverteidigers in Russland.

Genau ein Jahr später hat Bundestrainer Joachim Löw nach einigen Anlaufschwierigkeiten und heiß diskutierten Personalentscheidungen die größten Probleme erst einmal gelöst und einen Stimmungsumschwung eingeleitet. Ein runderneuertes DFB-Team nimmt die ersten Hürden Richtung EM 2020. Kapitän Manuel Neuer spricht sogar von neuen Titel-Hoffnungen: „Wir wollen im nächsten Sommer angreifen!“

Ein Streifzug durch ein schwieriges Länderspieljahr:

DAS DEBAKEL: Das Unvorstellbare wird Wirklichkeit. Titelverteidiger Deutschland scheitert in der WM-Gruppenphase. 0:2 gegen Südkorea in Kasan. Tränen und Fassungslosigkeit – und bei Joachim Löw auch ganz viel Leere. Es ist nach einer Vorbereitung mit vielen Hindernissen, dem Fehlstart gegen Mexiko (0:1) und dem Last-Minute-Hoffnungsmacher gegen Schweden (2:1) das traurige deutsche Ende einer missratenen WM.

„Ich bin auch geschockt, dass wir es nicht fertig gebracht haben, Südkorea zu schlagen“, sagt Löw. „Der Schmerz hält mich noch gefangen“, sagte der Bundestrainer einen Tag später nach der Landung in Frankfurt. Er kündigt „tiefgreifende Maßnahmen“ an.

Wiederum vier Tage später ist schon mal klar: Er selbst macht weiter. „Ich möchte mit ganzem Einsatz den Neuaufbau gestalten“, wird Löw in einer Verbandsmitteilung zitiert. Der DFB hat keine Alternative.

DIE DEBATTEN: Löw verspricht eine intensive Aufarbeitung in der Sommerpause – und verabschiedet sich in den Urlaub. Er wird noch einmal in einem Freiburger Café gesichtet. Sonst lässt er Fußball-Deutschland mit allen Debatten allein. Diskutiert wird emotional über die WM-Konsequenzen.

Schnell bekommt das sportliche Scheitern eine politische Dimension. Mesut Özil wird zum Sündenbock. Das Schweigen zu seinen Fotos mit dem von ihm verehrten türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan verursacht Unverständnis und provoziert Verunglimpfungen vom rechten Rand. DFB-Präsident Reinhard Grindel und Teammanager Oliver Bierhoff heizen die Debatte durch missverständliche Aussagen an.

Dennoch rechnet man beim DFB mit einer einlenkenden Erklärung Özils und einer Fortsetzung der Nationalmannschaftskarriere. Es kommt aber ganz anders. In einer Social-Media-Tirade rechnet der gekränkte Star gut drei Wochen nach dem WM-Aus mit dem Verband und besonders mit Grindel ab. Der Rassismus-Vorwurf wiegt schwer. Sportliche Themen und andere Personalien geraten in den Hintergrund.

DER NEUANFANG: Die Fans müssen sich ohnehin gedulden. Erst neun Wochen nach dem WM-Aus präsentiert Löw Ende August seinen Plan für den Neuanfang. Er räumt persönliche Fehler ein, doch die Konsequenzen sind bescheiden. Außer Özil und dem freiwillig zurückgetretenen Mario Gomez hat nur Sami Khedira keine Zukunft mehr im DFB-Trikot.

In seinem Stab wird Co-Trainer Thomas Schneider in die Scouting-Abteilung versetzt. Im Team hinter dem Team, dem aufgeblähten Betreuerstab, gibt es auch keine Zäsur. Zu einem radikalen Neuanfang fehlt Löw offenbar der Mut. „Wir brauchen eine Achse, an denen sich die anderen orientieren“, sagt er.

DER RÜCKSCHLAG: Verläuft der Saisonanfang mit einem 0:0 gegen Weltmeister Frankreich und einem 2:1 gegen Peru im September noch achtbar, kommt im Oktober der nächste Nackenschlag. Beim 0:3 in Holland wird Deutschland vom Erzrivalen in der Schlussphase vorgeführt. Jetzt erkennt auch Löw, dass er handeln muss. Drei Tage später lässt er gegen Frankreich mit Serge Gnabry, Timo Werner und Leroy Sané erstmals den Turbo-Sturm los.

Thomas Müller ist nur noch Zwei-Minuten-Joker. Der verletzte Jérôme Boateng wird nicht vermisst. Der Umbruch nimmt trotz einer unglücklichen 1:2-Niederlage erste Formen an.

DER ABSTIEG: Deutschland ist nur noch zweitklassig. In der neuen Nations League steht der Abstieg in die B-Klasse schon vor dem 2:2 gegen Holland im November in Gelsenkirchen fest. Es ist das 100. Länderspiel von Müller und – wie für Mats Hummels – das letzte des Ur-Bayern. Das soll sich aber erst vier Monate später herausstellen.

DIE ZÄSUR: Noch im Dezember wiederholt Löw im ZDF-Sportstudio seine Devise, dass beim Neuanfang auch bewährte Kräfte nötig sind. Torwart Neuer bekommt eine Nummer-1-Garantie bis zur EM 2020. Doch eine Aussage klingt im Nachhinein wie eine Drohung: „Am Ende zählt immer die Leistung. Ich bin kein Hellseher und weiß, was in drei, vier Monaten sein wird. Daher lässt man sich alle Möglichkeiten offen. Ich plane mit allen Möglichkeiten, ich plane mit allen Guten, Hummels, Boateng, Müller, die für Deutschland spielen können, wenn sie die Form haben, die sie zuletzt nicht hatten.“

94 Tage später wird das Weltmeister-Trio von 2014 von Löw für immer aussortiert. In persönlichen Gesprächen überbringt er den Spielern die Nachricht in München. Mehr als für die sportliche Entscheidung wird er für seinen Umgang mit den verdienten Akteuren kritisiert. Die Welle der Empörung ist riesig. „Das Spiel ist noch nicht aus“, antwortet der enttäuschte Müller in einer Video-Botschaft.

DIE MUTMACHER: Löw geht mit der Zäsur „all in“. Eine Woche nach der Ausmusterung der drei Münchner gewinnt das nun maßgeblich verjüngte DFB-Team mit einer mutigen Taktik zum Auftakt der EM-Qualifikation mit 3:2 in Amsterdam gegen Holland. Eine demütigende Niederlage wie fünf Monate zuvor an gleicher Stelle hätte den Bundestrainer womöglich doch noch den Job kosten können. Auch ohne den erkrankten Löw folgen im Juni zwei Siege in Weißrussland (2:0) und Estland (8:0). Die nächste Generation um Sané, Gnabry sowie die nun in der Verantwortung stehenden Confed-Cup-Sieger Joshua Kimmich, Niklas Süle oder Leon Goretzka ist Richtung EM 2020 in der Spur. (dpa)



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