Quälende Schadensanalyse: Vertrauensfrage für Löw und DFB

Im Sturm der öffentlichen Empörung prüft der DFB sein Vertrauen in Joachim Löw. Eine schonungslose Fehleranalyse des Bundestrainers soll nach dem 0:6 in Spanien den Weg in die Zukunft weisen. Aber hat Löw noch die Energie für eine erfolgreiche EM-Mission?
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Ist nach dem 0:6 in Spanien deutlich angezählt: Bundestrainer Joachim Löw.Foto: Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa/dpa
Epoch Times19. November 2020

In seiner badischen Rückzugsoase warten qualvolle Tage auf Joachim Löw. Mit einer detaillierten Aufarbeitung der 0:6-Schmach von Spanien und der zertrümmerten Neustart-Pläne soll der ausgelaugte Bundestrainer das Restvertrauen der DFB-Spitze sichern.

Verbandschef Fritz Keller mahnte den schwer angezählten Chefcoach, die Klatsche von Sevilla müsse „gründlich analysiert und die nötigen Folgerungen daraus gezogen werden“. Bis dahin arbeite Löw nur auf Bewährung, will die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ erfahren haben. Der 60-Jährige habe noch keinen „Freifahrtschein“ zur EM im nächsten Jahr.

Zwei Wochen gebe der Deutsche Fußball-Bund dem Bundestrainer und seinem Stab Zeit, um eine erste Schadensanalyse vorzulegen, berichtete der „Kicker“. Die Lehren sollten im größeren Kreis diskutiert werden, vermeldete die „FAZ“. Für den 4. Dezember ist die nächste Präsidiumssitzung anberaumt. Aber was dann? Ein Rauswurf des Weltmeister-Trainers von 2014 erscheint trotz des enormen öffentlichen Drucks ähnlich unwahrscheinlich wie ein Rücktritt von Löw, dem die versammelte DFB-Spitze der „Bild“ zufolge in der Nacht von Sevilla ihre Rückendeckung zusicherte.

Vieles deutet darauf hin, dass Löw am 7. Dezember als Bundestrainer die deutschen Lose für die WM-Qualifikation kommentieren wird und dann in die nächste lange Pause entschwindet. Erst Mitte März muss Deutschlands oberster Fußballlehrer seinen nächsten Länderspiel-Kader benennen, um dann zum letzten Mal vor dem EM-Trainingslager mit seinen Nationalspielern arbeiten können. „Es gibt keine Möglichkeit, mit den Spielern etwas zu machen“, beschrieb Löw seine Aussicht auf die kommenden vier Monate.

Angesichts der Bilder aus Spanien aber stellt sich die Fußball-Nation die Frage, ob Löw überhaupt noch die Energie und Innovationskraft aufbringt, die DFB-Auswahl zu einer erfolgreichen EM zu führen. Per Ferndiagnose konstatierte Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus Amtsmüdigkeit beim Bundestrainer. „Seine öffentlichen Statements und Erklärungen sind nicht mehr so klar, deutlich und souverän wie noch vor einigen Jahren. Und das spiegelt seine Mannschaft auf dem Feld wider“, schrieb Matthäus in seiner Sky-Kolumne.

Dass Löw beim 0:6 einmal mehr teils teilnahmslos wirkte und seiner Mannschaft während des Untergangs ein helfendes Coaching verwehrte, nahmen Beobachter als Beleg für die These vom verbrauchten Bundestrainer. In einer „Kicker“-Blitzumfrage sprachen sich 93,8 Prozent der Teilnehmer gegen Löw aus. Eine Erhebung von Forsa im Auftrag von RTL und ntv ermittelte eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die einen Rücktritt des Breisgauers für notwendig hält.

In der Branche aber erfuhr Löw auch Zuspruch. „Im Endeffekt standen da Spieler auf dem Platz, die sehr wohl eine gewisse Qualität und zum Teil auch große Erfahrung haben. Und wenn diese Jungs das nicht abrufen, muss man auch mal mit dem Finger auf sie zeigen und nicht nur auf Jogi Löw“, sagte Ex-Nationalspieler Stefan Effenberg dem Internetportal „Sport1“. Der frühere Bayern-Star Mehmet Scholl befand via „Bild“, Löw müsse „nun ausbaden, was seit Jahren in der Trainerausbildung und im Nachwuchs falsch läuft“.

Mehr Geduld und Sachlichkeit forderte Julian Nagelsmann. „Wir sollten mit dem Prunkstück des deutschen Fußballs menschlicher umgehen“, sagte der Coach von RB Leipzig, der selbst als möglicher Bundestrainer der Zukunft gehandelt wird. Der 33-Jährige aber kennt auch die Mechanismen des Geschäfts. Löw hat nach dem 0:6 kaum noch Kredit, die Nachfolge-Diskussion ist wieder voll entbrannt.

Der vertragslose Ralf Rangnick (62) drängt sich als Sofortlösung auf, auch wenn er selbst die Spekulationen als „Unsitte“ geißelte. Für einen Wechsel nach der EM wird Bayern-Erfolgstrainer Hansi Flick (55) als Wunschkandidat des DFB genannt, der 2014 Löws wichtigster Helfer beim WM-Triumph in Brasilien war. Auch Thomas Tuchel (47) könnte nach Ablauf seines Vertrags bei Paris Saint-Germain im nächsten Sommer zur Verfügung stehen. Fan-Liebling Jürgen Klopp (53) indes ist vorläufig wohl noch zu sehr in den FC Liverpool verliebt.

Doch ist der DFB überhaupt gewillt und in der Lage, einen Plan B für die Trainerfrage zu entwickeln? Der Verband taumelte in jüngerer Vergangenheit von einer Affäre in die nächste, zuletzt toste ein Machtkampf zwischen Verbandschef Keller und Generalsekretär Friedrich Curtius. DFB-Direktor Oliver Bierhoff, qua Amt für die Suche nach einem Löw-Nachfolger zuständig, ist ein enger Weggefährte des Bundestrainers und hat diesem eine Jobgarantie bis mindestens zur EM ausgestellt.

Die Folgen des kopflosen und blutleeren Auftritts in Spanien aber werden lange nachwirken. Der Druck auf Löw und den DFB ist enorm. Mit jedem starken Spiel des ausgemusterten Trios Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng wird auch die Endlos-Debatte um ihre Rückkehr lodern. Für die Suche nach Anführern und einem tragfähigen Defensivkonzept hat Löw drei Länderspiele im März und die Monate im Homeoffice Zeit. Sofern ihm der DFB nach der 0:6-Analyse nicht doch noch das Vertrauen entzieht. (dpa)



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