Uni-Studie zu Fairness im Fußball

„Zentraler Faktor für das Gerechtigkeitserleben im Fußball ist der Schiedsrichter“
Titelbild
Eine faire Geste von Oliver Kahn (l.) beim WM-Spiel Deutschland – Argentinien, als er Jens Lehman versöhnlich die Hand reicht. (Bongarts/Getty Images)
Epoch Times22. Februar 2008

Fairness oder Unfairness von Fußballspielern kann durch das sogenannte Gerechtigkeitsmotiv und durch Gerechtigkeitserfahrungen mit den Schiedsrichtern erklärt werden. Andere Faktoren, zum Beispiel das Leistungsmotiv und die Tabellenposition, sind weniger entscheidend. Dies fanden Psychologen der Bereiche Pädagogik und Sport der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in einer gemeinsamen Studie heraus. Sie empfehlen, intuitive Prozesse stärker in die Schiedsrichter-Ausbildung zu integrieren.

Fair-Play-Aktion des DFB

„Fair ist mehr“ heißt die Fair-Play-Aktion des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Faires Verhalten wird mit Preisen belohnt. Ausgezeichnet wurden zuletzt beispielsweise Torhüter, die gestanden, den Ball erst hinter der Linie abgewehrt zu haben, und Spieler, die – anders als dereinst Maradona – das eigene Handspiel dem Schiedsrichter anzeigten. Positive Beispiele, aber wohl auch eher seltene Fälle. „Für Sachsen-Anhalt lässt sich sagen: Die Zahl der Sportgerichtsverhandlungen wegen grob unsportlichen Verhaltens hat in den letzten fünf Jahren enorm zugenommen“, berichtet Mario Herrmann. Der 27-jährige Merseburger, seit zehn Jahren beim SV Merseburg und Übungsleiter von Nachwuchsfußballern, fragte sich, wovon denn eigentlich faires Verhalten abhängt. Der Psychologie-Student schrieb an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) seine Diplomarbeit dazu. Zusammen mit seinen Betreuern baute er die Erkenntnisse anschließend aus. Entstanden ist eine Publikation unter dem Titel „Fairness im Fußball“, erschienen in der Zeitschrift für Sportpsychologie.

„Wir konnten gemeinsam zeigen, dass die Theorie des Gerechtigkeitsmotivs, die beispielsweise im Schulbereich bereits etabliert ist, auch im Fußball angewandt werden kann“, konstatiert Claudia Dalbert. „Menschen orientieren sich in ihrem Verhalten häufig an Maßstäben der Gerechtigkeit, sie leiden unter Ungerechtigkeiten, sie fordern Gerechtigkeit ein.“ Die entsprechenden Prozesse laufen im Gehirn auf einer expliziten und einer impliziten Ebene ab. „Einmal kann man sich vornehmen, gerecht zu handeln, es ist einem wichtig. Auf der anderen Seite gibt es unbewusste Prozesse, da regiert die Intuition. Entscheidend ist hierfür, ob sich jemand selbst gerecht behandelt fühlt.“ Oliver Stoll, Sportpsychologe an der MLU, sieht für seinen Forschungsbereich ganz neue Impulse, denn: „Unter diesem Aspekt hat das in der Sportpsychologie noch niemand bearbeitet.“

117 Fußballspieler aus 14 Vereinen haben die halleschen Wissenschaftler befragt, von der Kreis- bis zur Verbandsliga. Die Aussagen, zu denen die Spieler sich äußerten, bezogen sich sowohl auf die Bereitschaft zu unfairen Aktionen wie Fouls und Schwalben, als auch Handlungsberichte über Regelverstöße in der Vergangenheit. Eine Rolle spielte auch die Bereitschaft zu informeller Fairness, also fairen Gesten. Als objektiven Indikator zogen die Forscher die Statistik über die tatsächlichen, geahndeten Regelverstöße der betreffenden Spieler in der vorangegangenen Saison heran, indem sie ihre gelben, gelb-roten und roten Karten erfassten.

Nicht jeder, der sich fair verhalten will, tut es auch

Es zeigte sich: Die Wahrscheinlichkeit vieler Karten war bei Fußballspielern mit einer hohen Bereitschaft zur Fairness genauso groß wie bei solchen mit einer geringen Bereitschaft zur Fairness. Das kommentiert Claudia Dalbert trocken: „Es ist eben nicht so, dass sich die Menschen, die sich fair verhalten wollen, das auch immer tun.“ Das entscheidende Ergebnis der Studie sieht Dalbert denn auch woanders. „Wir in der Gerechtigkeitspsychologie wissen: Die Rückmeldung über meinen eigenen Wert hat eine große Bedeutung für mein Gerechtigkeitserleben. Gerade in Zwangsgemeinschaften ist das wichtig, und um eine solche handelt es sich auf dem Fußballplatz. Dort stehen 22 Spieler, die sich fragen: Werden wir alle gleich behandelt? Ähnlich geht es Schülern in einer Klasse. Dort ist die entscheidende Person der Lehrer. Wir konnten nun zeigen: Zentraler Faktor für das Gerechtigkeitserleben im Fußball ist der Schiedsrichter.“ Die Einschätzung der Gerechtigkeit des Referees sei die einzige Variable, die alle Dimensionen der Fairness der Spieler erkläre und die auch mit der Anzahl der Karten in Verbindung stehe. Leistungsmotiv und Tabellenposition, zwei Faktoren, die auch erfasst wurden, seien hingegen wenig relevant.

„Dass ein Schiedsrichter gerecht handeln muss, das wird natürlich vorausgesetzt, auch vom Deutschen Fußball-Bund. Die Frage ist nur, ob er sich über die psychologischen Auswirkungen seines Handelns wirklich bewusst ist“, sagt Oliver Stoll. „In der Schiedsrichter-Ausbildung wird bereits viel Psychologie vermittelt, dabei geht es aber vor allem um Stressbewältigung und das Regulieren von Emotionen auf dem Platz. Ich plädiere dafür, die Ausbildung um den Bereich der Gerechtigkeitswahrnehmung zu ergänzen. Denn deren zentrale Bedeutung haben wir herausgearbeitet.“

Ob der Schiedsrichter eine objektiv richtige Entscheidung trifft, sei genauso wenig allein entscheidend wie die berechtigte schlechte Note, die ein Lehrer vergibt, ergänzt Claudia Dalbert. „In der Schule ist beispielsweise wichtig, wie der Lehrer seine Entscheidungen vermittelt.“ Im Sport, erklärt Oliver Stoll, „kommen natürlich noch ganz andere Aspekte hinzu. Es gibt Zuschauer, es gibt den Unterschied zwischen Heim- und Auswärtsspiel. Es gibt Trainer, die von außen Einfluss nehmen. Kurzum: Wir haben ein paar Unbekannte in der Gleichung, die es im Schulsetting nicht gibt.“ Aber gerade darin liege nun die Herausforderung für weitere Forschungsprojekte.

Der frisch diplomierte Mario Herrmann kann sich vorstellen, die Herausforderung anzunehmen. „Zwar plane ich meine Promotion eher im Bereich Schulen, aber die Trainerposition würde ich zum Beispiel gern näher beleuchten. Schließlich bin ich selbst Trainer. Übrigens einer, der immer zur Fairness aufruft. Leider dient der Fußball viel zu oft als Plattform, um den Frust herauszulassen, den man im Alltag ansammelt.“ Dass es Fair Play-Preise als Anreiz gibt, hat eben seinen Grund. Ob ein solcher Preis aber wirklich die erwünschte Vorbildwirkung zeitigt, erscheint den halleschen Forschern zumindest fraglich. „Mit dem Gedanken des verdienstvollen Fair Play-Preises muss man sich natürlich erst einmal identifizieren“, sagt Claudia Dalbert. „Nur wenn ich selbst finde, dass das wichtig ist, richte ich mich danach. Das ist so ähnlich wie mit Preisen für gute akademische Lehre.“

(Quelle: Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg)



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