Vettel: Ausrasten wird heute nicht mehr verziehen

Mit Sebastian Vettel ist es im Formel-1-Wagen auch schon durchgegangen. Die Balance zwischen Selbstkontrolle, Gelassenheit und nötiger Aggression ist nicht leicht. In einem dpa-Interview spricht Vettel unter anderem über Glückshormone und Überregulierung.
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Gewann vier Mal die Formel-1-Weltmeisterschaft: Sebastian Vettel.Foto: Claude Paris/AP/dpa
Epoch Times25. Mai 2018

Sebastian Vettel würde etwas weniger Regulierung in der Formel 1 begrüßen. Ausraster, die früher auch mal Kultstatus erreichten, werden heutzutage nach Auffassung des viermaligen Weltmeisters aus Heppenheim nicht mehr verziehen.

„Heute wird einem gar nicht mehr die Möglichkeit gegeben, so etwas auszuleben. Nicht, dass es richtig oder falsch ist. Ich glaube, heute wird es zu sehr zerrissen und hochgepusht“, sagt Vettel in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Sie fahren zu Trainingszwecken auch viel Fahrrad. Ist Ihnen auf einer Tour schon mal richtig die Puste ausgegangen?

Sebastian Vettel: Mir ist schon öfter die Puste ausgegangen. Leider schaffe ich es weniger häufig, als ich es möchte, große Touren zu machen und einfach mal gewisse Pässe abzufahren, von denen man liest. Ich wohne in der Schweiz, wo es viele von diesen schönen Straßen gibt. Ich kann mich aber an eine Tour erinnern, als ich mit Timo (Glock, ehemaliger Rennfahrerkollege) unterwegs war. Keiner von uns hat zugeben wollen, dass die Puste ausgegangen ist, hinten raus waren meine Beine schwer. Mit der Puste hab ich generell weniger Probleme, aber eben die Beine…

Haben Sie Momente, ob beim Laufen oder Radfahren, in denen man getragen von einer gewissen Euphorie sich selbst auch mal überschätzt?

Vettel: Der Großteil, wenn ich laufe oder Rad fahre, ist ja gesteuert. Mit einem gewissen Ziel, was das Training angeht. Da ist wenig Platz für Euphorie. Bei den Touren, die man dann mal macht, passiert es schon eher mal. Aber es ist ja auch etwas Schönes, sich ans Limit zu pushen und auch darüber hinaus zu gehen und zu merken, das war zu viel, jetzt geht nichts mehr.

Sport treiben heißt auch Glückshormone produzieren. Können Sie das noch so richtig genießen fern der Öffentlichkeit?

Vettel: Ja, absolut, auch wenn das Adrenalin ein ganz anderes ist. So wie bei der Formel 1 hätte ich das vielleicht bei einer Abfahrt, wenn ich die viel aggressiver fahren würde. Ich bin auch schon mit Jungs gefahren, die teilweise noch aktiv sind, und wenn die erzählen, wie sie da runterfahren und ich es auch so machen würde, hätte ich mindestens genauso viel, wenn nicht sogar noch mehr Adrenalin, weil ich keine Ahnung hätte, wie ich um die Kurve komme.

Sie sagten, Sie haben auch beim Training immer ein Ziel. Wie wichtig ist für Sie diese Selbstkontrolle?

Vettel: Wichtig. Die Frage ist ja immer, was man erreichen will. Aber ich glaube, man darf es auch nicht zu extrem und engstirnig sehen. Gerade bei uns wird viel über das Gewicht, die Fitness generell und die spezifische Fitness gesprochen. Ich glaube, dass wir mehr als Allrounder einzustufen sind. Bei uns wäre es am besten, wenn wir viel im Auto fahren und damit trainieren könnten, das ist aber begrenzt, also versucht man, sich anderweitig fitzuhalten. Ein Mittelding ist wichtig. Ich halte nichts davon, wenn man sich wie in einem Regime enge Grenzen setzt. Jeder muss für sich herausfinden, was die richtige Mischung ist. Für mich ist ein Zwischending, einerseits das Leben genießen und nicht zu sehr einschränken zu lassen, andererseits aber auch diszipliniert an die Sache heranzugehen.

Muss man sich im Rennauto auch mal das Recht herausnehmen, ausrasten zu können?

Vettel: Ich weiß nicht. Ich glaube, das Ausrasten wird in unserer heutigen Zeit nicht mehr verziehen. Was früher normal war und heute rückblickend als Kult gilt, wenn ich mal an Fußballer denke, die nach dem Spiel verständlicherweise die Nerven verloren haben, ist heute eben nicht mehr normal. Heute wird einem gar nicht mehr die Möglichkeit gegeben, so etwas auszuleben. Nicht, dass es richtig oder falsch ist. Ich glaube, heute wird es zu sehr zerrissen und hochgepusht. Emotionen, was ja Ausraster sind, gibt es gute, wenn man gewinnt und auf dem Podium steht und sich freut. Es gibt aber auch schlechte, wenn gerade alles in die verkehrte Richtung läuft. Dann müsste man denken, es seien auch dann entsprechende Reaktionen angebracht. Anscheinend passen sie aber nicht mehr in unsere Zeit.

Gab es Fälle, in denen Sie sich mit eben diesem Wissen im Hinterkopf zurückgehalten haben?

Vettel: Das ist schwierig, denn die Leute sind ja nicht anders als sie früher waren. Es gehört in gewisser Weise dazu, die Frage ist nur wann. Ich glaube, heute kommt hinzu, dass man praktisch sofort die Möglichkeit hat, sich alles noch mal anzuschauen. Es wird ja alles von gefühlt 100 Kameraperspektiven festgehalten. Hier und da hat man noch mal eine andere Meinung. Ich finde es ein bisschen schade, dass wir etwas überreguliert sind, glaube aber nicht, dass die Formel 1 dabei eine Ausnahme bildet. Die Landschaft hat sich einfach ein bisschen verändert.

Was glauben Sie, wodurch diese Regulierung kommt? Durch Vereine, Teams, sprich Arbeitgeber, oder durch Sponsoren?

Vettel: Ich glaube nicht an Verschwörungen. Der Grund ist klar, es geht um sehr viel Geld. Man will den Sport fair machen und jedem die gleiche Chance geben. Gewisse Dinge sind aber nicht schwarz und weiß, man braucht Toleranz und Verständnis. Das ist dann natürlich schwer einzuordnen, weil schnell das Gefühl aufkommt, dass der eine damit durchgekommen ist und der andere nicht. Aber das alles auf Papier zu bringen, alles durch Regeln einzugrenzen, davon bin ich kein Fan. Man sollte gewisse Dinge eher laufen lassen.

Wie sehen Sie denn Ihre Aktionen wie beispielsweise Baku 2017, als Sie Lewis Hamilton wütend in den Wagen gefahren sind oder Mexiko 2016, als Sie zuerst Max Verstappen und dann auch noch Rennleiter Charlie Whiting übel beschimpft haben? Gehört sowas zu Ihnen auch als Typ?

Vettel: Ich musste danach mal die Frage beantworten, ob ich meine Aggressionen und mein Temperament nicht im Griff habe und ob ich eine Therapie bräuchte. Was passiert ist, ist passiert. War es richtig? Nein, es war falsch. Es war ein Fehler von mir. Hat es mir etwas gebracht? Nein, ich habe mir damit selbst ins Knie geschossen, denn ich hätte das Rennen sonst gewonnen. Also habe ich meine Schlüsse daraus gezogen. So viel wie die Leute reininterpretieren, steckt aber meist gar nicht dahinter. Vieles, was bei uns oder anderen Sportarten passiert, kommt noch aus dem Bauch. Und das ist gut so. Wenn alles aus dem Hirn und aus dem Computer kommen würde, würde das Element Mensch fehlen. Dann wäre es langweilig.

Sie wirken in dieser Saison gelassener, sagten, Sie würden über Kleinigkeiten eher mal hinwegsehen. Ist dieses Priorisieren, wie es auch Ihr Vorbild Michael Schumacher konsequent gemacht hat, der Weg zum erneuten Erfolg?

Vettel: Ich bin ja schon länger dabei und auch auf diesem Niveau. Es ist normal, dass es immer Situationen gibt, die einen mehr zur Weißglut bringen als andere. Ich glaube aber, dass man lernt, mit gewissen Dingen umzugehen. Man weiß, dass man sie nicht ändern kann. Beispiel: Blaue Flaggen beim Überrunden. Manche neigen dazu, eine Überraschung aus dem Hut zu ziehen. Niemand will natürlich überrundet werden, das ist nicht so toll. Ich kann da mitfühlen. Ich wurde auch in den ersten Jahren schon überrundet. Das ist frustrierend. Aber der, der überrundet, hat Priorität. Man kann sich jetzt jedes Mal wieder drüber aufregen, wenn sich jemand nicht daran hält. Im Endeffekt muss man auf sein eigenes Rennen schauen, weiter und durch. Vielleicht macht es auch das Alter, dass man entspannter wird.

ZUR PERSON: Sebastian Vettel ist 30 Jahre alt und der bisher zweiterfolgreichste deutsche Pilot in der Formel-1-Geschichte. Der gebürtige Heppenheimer strebt mit Ferrari seinen fünften WM-Titel in diesem Jahr an. Mit Red Bull gewann Vettel von 2010 bis einschließlich 2013 den Weltmeistertitel. (dpa)



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