Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Streit um Atomausstieg nach Fukushima ist weitreichend

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zum beschleunigten Atomausstieg nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima nicht nur eine wichtige Entscheidung zur Kompetenz des Gesetzgebers bei der Bewertung von Hochrisikotechnologien getroffen. Die Richter haben am Fall der Kernkraftwerksbetreiber zugleich dargelegt, unter welchen Umständen Unternehmen bei enteignungsähnlichen Eingriffen Anspruch auf Entschädigung haben.
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SymbolbildFoto: ULI DECK/AFP/Getty Images
Epoch Times7. Dezember 2016

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zum beschleunigten Atomausstieg nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima nicht nur eine wichtige Entscheidung zur Kompetenz des Gesetzgebers bei der Bewertung von Hochrisikotechnologien getroffen. Die Richter haben am Fall der Kernkraftwerksbetreiber zugleich dargelegt, unter welchen Umständen Unternehmen bei enteignungsähnlichen Eingriffen Anspruch auf Entschädigung haben.

Um was wurde vor Gericht gestritten?

Die klagenden Kernkraftwerksbetreiber Eon, RWE und Vattenfall forderten 20 Milliarden Euro Schadenersatz für den zweiten Atomausstiegsbeschluss: Die Bundesregierung hatte den 2002 beschlossen Atomausstieg Ende 2010 zunächst aufgehoben und die Laufzeiten der Meiler um durchschnittlich zwölf Jahre verlängert. Nur rund sieben Monate später nahm sie nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima die Laufzeitverlängerungen von durchschnittlich zwölf Jahren wieder zurück und verfügte die sofortige Abschaltung von acht Atommeilern. Dafür müsse Schadenersatz gezahlt werden, fanden die Kläger.

Greift das Gericht den vorgezogenen Atomausstieg an?

Nein, im Gegenteil: Die Verfassungshüter billigten den weiten Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers zur Schadensbegrenzung bei Hochrisikotechnologien. Im Urteil heißt es dazu: „Der Gesetzgeber durfte auch ohne neue Gefährdungserkenntnisse den Reaktorunfall in Fukushima als Anlass nehmen, zum Schutze der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt den Ausstieg aus der Kernenergie zu beschleunigen.“ Dabei dürfe er den Schaden von Hochrisikotechnologien „politisch bewerten“ und dabei die „öffentlichen Akzeptanz“ dieser Technologie auch dann beachten, wenn neue Gefährdungen nicht erkennbar sind.

Hat das Urteil Auswirkung auf andere Technologien?

Möglicherweise. Umstritten ist etwa auch das Risiko für Mensch und Umwelt bei der Produktion gentechnisch veränderter Pflanzen. Auch hier könnte dann gelten, was das Gericht zu Kernkraftwerken entschieden hat: Deren Eigentum sei „in besonderer Weise sozial gebunden“, weil es der „öffentlichen Versorgung“ diene. Der Staat sei auch verpflichtet, die „natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen“. An einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung bestehe zudem „grundsätzlich kein Eigentum“.

Wieso haben Kraftwerksbetreiber trotzdem Anspruch auf Entschädigung?

Mit dem beschleunigten Atomausstieg kassierte die Bundesregierung zugleich Reststrommengen, die den Unternehmen beim Ausstieg von 2002 verbindlich zugebilligt worden waren. Diese Strommengen waren als Kompensation für die Begrenzung von Kraftwerkslaufzeiten vergeben worden. Deshalb besteht laut Urteil weiterhin das Recht zu ihrer Nutzung.

Welche Betreiber profitieren davon?

Der Entscheidung zufolge können zwei der vier Kraftwerksbetreiber, Eon und EnBW, die 2002 zugebilligten Reststrommengen ihrer stillgelegten Meiler ohne Schaden konzernintern auf andere verteilen. Anspruch haben wegen besonderer Umstände aber Vattenfall für den Reaktor Krümmel und RWE für Mülheim-Kärlich.

In welchem Umfang kann Schadenersatz gefordert werden?

Das Gericht beziffert den Ausfall für Krümmel und Mülheim-Kärlich auf insgesamt rund 8,5 Reaktorjahre. Bei der Verhandlung hatten die Akw-Betreiber ihren Profit auf rund eine Million Euro am Tag beziffert. Weil die Meiler aber zeitweise etwa wegen Wartungsarbeiten abgeschaltet werden, rechnet Atomexperte Heinz Smital mit einem Schadenersatz von insgesamt nicht mehr als 2,5 Milliarden Euro. Dieser Betrag könnte noch schrumpfen, weil die Bundesregierung laut Urteil keinen „vollen Wertersatz“ leisten muss. Zudem könnte sie die Übertragung der Strommengen auf andere konzerneigene Meiler zulassen oder ihren Verkauf an andere Betreiber billigen.

(afp)



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