Die Türkei und der Garten Eden

Ein biblisches Juwel, das im 21. Jahrhundert unter einem Stausee verschwinden soll: Die Türkei plant mit dem Ilisu-Staudamm am Fluss Tigris die Vernichtung von jahrtausendealtem Kulturland.
Titelbild
Zeitzeugen - die über 900 Jahre alten Brückenpfeiler im Tigris prägen noch heute die Landschaft um die historische Stadt Hasankeyf. (John Wreford)
Von 17. September 2008

Noch schlängelt er sich wie eh und je zwischen atemberaubenden Felsformationen durch fruchtbare Täler. Bis Anfang der 90er Jahre dürfte es hier noch Tiger gegeben haben, obwohl der kaspische Tiger seit 1970 offiziell für ausgestorben gilt. Und vor 2.000 Jahren, als das Gebiet stärker bewaldet war, lebten Elefanten am Fluss. Löwen sind im Raum Tigris Euphrat 1879 ausgestorben, Hyänen und Leoparden gibt es heute noch. „Man weiß überhaupt nicht, wo sie sind und wie viele es sind“, sagt Ulrich Eichelmann von ECA (Export Credit Agency)-Watch Österreich. Er erzählt gleich zwei Geschichten. Einmal die einer 10.000-jährigen Kultur, und eine andere, die erst 50 Jahre alt ist, aber für die Bewohner der südtürkischen Stadt Hasankeyf schon viel zu lange andauert.

Es geht um den Ilisu-Staudamm, ein Mammutprojekt am Tigris, 65 Kilometer vor der Grenze zu Syrien und dem Irak. Kosten: zwei Milliarden Euro. Der Damm soll 135 Meter hoch und eine gigantische Fläche von 313 Quadratkilometern einstauen. Ein großer Teil von Hasankeyf mit seiner nachweislich 10.000 Jahre alten Kultur würde ebenso in den Fluten versinken, wie vormals zwei 5.000 Jahre alte Städte am Euphrat, als man dort eine ganze Reihe von Stammdämmen gebaut hat.

„Hände weg von Hasankeyf.“ 2007 organisierten die türkische Umweltorganisation Doga Dernegi und das Magazin Atlas eine Protestreise von Istanbul nach Hasankeyf. (Doga Dernegi)
„Hände weg von Hasankeyf.“ 2007 organisierten die türkische Umweltorganisation Doga Dernegi und das Magazin Atlas eine Protestreise von Istanbul nach Hasankeyf. (Doga Dernegi)

Prominenter Widerstand

Doch Hasankeyf könnte zu einem Glücksfall werden. International und in der Türkei selber wächst der Widerstand gegen das Projekt. Zahlreiche Künstler etwa organisieren sich, darunter der bekannte Popstar Tarkan, der im Oktober in Berlin ein Konzert gibt und ein Lied über Hasankeyf im Repertoire hat. „Hasankeyf kennt jeder in der Türkei“, sagt Eichelmann. „Das wäre, als würde man sagen, wir fluten Heidelberg. Auch wenn man positiv zu Wasserkraft steht, sagen sie, aber nicht Hasankeyf.“

Eichelmann ist Koordinator des Projektes „Stop Ilisu – Rettet Hasankeyf“, für das Ende der 90er Jahre der Verein ECA-Watch Österreich gegründet wurde. „Da ist das zum ersten mal richtig hochgegangen. Damals sollte das Österreich noch bauen in Verbindung mit englischen, italienischen und schwedischen Firmen“, sagt Eichelmann. Anfang 2000 verließen jedoch die Engländer, Italiener und Schweden das Projekt.

Kampf ums Wasser

Wer profitiert vom Staudammbau? Wahrscheinlich die Industriezentren, denn Ilisu ist als Speicherkraftwerk konzipiert und produziert Spitzenstrom, der am teuersten verkauft werden kann. Wird Strom benötigt, öffnen sich die Schleusen und das Wasser rauscht in einer Flutwelle heraus. Mit Sicherheit spielt auch der Kampf ums Wasser eine Rolle. Die vielen Stauseen im Euphrat ermöglichen es jetzt schon, die Wassermenge, die  Syrien, Irak und teilweise den Iran erreicht, massivst zu regulieren. Der Irak protestiert bis heute gegen Ilisu und hätte laut Völkerrecht von Anfang an an dem Projekt beteiligt werden müssen.

Der Ilisu-Staudamm würde den Tigris und seine Zuflüsse über eine Länge von 400 Kilometern aufstauen. (Gernot Schwendinger)
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'/>Der Ilisu-Staudamm würde den Tigris und seine Zuflüsse über eine Länge von 400 Kilometern aufstauen. (Gernot Schwendinger)

Es ist nachgewiesen, dass viel weniger und schmutzigeres Wasser vom Euphrat den Irak und Syrien erreicht, als vor dem Bau der dortigen Staudämme. Das wird auch bei Ilisu zum Problem werden. Normalerweise fließen 100 bis 300 Kubikmeter, mit Ilisu wird eine Mindestwassermenge von gerade mal 60 Kubikmeter pro Sekunde garantiert. Die Abwässer aus der Landwirtschaft und den Städten – vor allem aus dem zunehmenden Baumwollanbau, reichern sich prozentual dazu an. „Das kann man jetzt schon sehen, der Tigris wird dann ganz braun. Das hat überhaupt keiner untersucht“, sagt Eichelmann.

Bei den Kläranlagen, die in Diyarbakir, Batman und Siirt gebaut werden sollen, wird auf die dritte Ausbaustufe verzichtet, eine Billigvariante. Das führt dazu, dass der Reinigungseffekt nicht so hoch ist wie geplant. Flüsse – wenn sie intakt sind – haben eine hohe Selbstreinigungskraft. In einem Stausee „steht“ das Gewässer und der Sauerstoffgehalt ist vermindert. Der obere Teil des Stausees erwärmt sich, während, wie die Eidgenössische Technische Hochschule von Zürich (ETH) und amerikanische Experten festgestellt haben, das Wasser unterhalb der Staumauer um 10 Grad kälter, stärker verschmutzt und extrem sauerstoffarm ist. Eine ökologische Katastrophe für den Fischbestand. Kaum eine Art könnte sich auf die tägliche Flut und den Schmutz einstellen. Trotz der enormen Tragweite der Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen, wurde keine Umweltverträglichkeitsstudie (UVP) durchgeführt. Sie ist in Europa Standart bei jedem kleineren Staudamm.

Euphrat-Weichschildkröte. Wahrscheinlich kommt  sie weltweit nur noch am Tigris vor, da der Euphrat mit Staudämmen durchzogen ist. Sie ist kaum erforscht. Man weiß nicht, wo sie ihre Eier legt. Gibt es sie häufig, nicht häufig? (U.Eichelmann)
Euphrat-Weichschildkröte. Wahrscheinlich kommt sie weltweit nur noch am Tigris vor, da der Euphrat mit Staudämmen durchzogen ist. Sie ist kaum erforscht. Man weiß nicht, wo sie ihre Eier legt. Gibt es sie häufig, nicht häufig? (U.Eichelmann)

Neues Triumvirat

Im Herbst 2004 startete die Türkei einen neuen Anlauf zur Finanzierung von Ilisu. Zur österreichischen Firma, vormals VA TechHydro, jetzt Andritz AG, gesellte sich die deutsche Firma Züblin (mittlerweile STRABAG) und die Schweizer Alstom. Sie beantragten Haftung bei den Exportkreditagenturen (ECAs) von Deutschland, Österreich und der Schweiz, die dem Projekt prinzipiell zustimmten, sich aber wegen des internationalen Drucks ein Türchen offen hielten, indem sie die Haftung an 153 Auflagen knüpften. Zu deren Überwachung wurde von den drei Staaten ein Expertenkomitee eingerichtet. Solche Komitees werden von ECA-Watch kritisch gesehen, da die eingesetzten Experten in der Regel recht Staudamm-freundlich eingestellt sind und Gutachten „pro“ Staudamm schreiben. Umso größer die Überraschung als der erste Expertenbericht im Februar 2008 veröffentlicht wurde. Er bestätigte, die Türkei  habe nicht eine der Auflagen erfüllt hatte.

 

„Die Weltbank hätte dieses Projekt niemals gefördert“

Intakte Natur und riesige Artenvielfalt. Hier der Botanfluss, der in den Tigris mündet und ebenfalls aufgestaut würde. (Ulrich Eichelmann) 
Intakte Natur und riesige Artenvielfalt. Hier der Botanfluss, der in den Tigris mündet und ebenfalls aufgestaut würde. (Ulrich Eichelmann)

Nach aufgeregten Verhandlungen und der Zusage der Türkei zur Besserung fuhren die Experten von Mai bis Juni wieder in die Türkei. Wieder das gleiche Ergebnis. Die Türkei hatte wieder nichts gemacht. „Noch schlimmer“, sagt Eichelmann, „sie hat versucht, die Europäer zu täuschen, indem sie einige Auflagen als erfüllt gemeldet hat. Und als die Experten hinkommen, ist nichts da.“ Zudem gab es mit Michael Cernea, Weltbankberater und anerkannter Menschenrechts- und Umsiedlungsexperte, wohl einen Mann, der sich nicht korrumpieren ließ. Cernea schrieb im zweiten Expertenbericht, der Anfang September herauskam, „die Weltbank hätte das Projekt niemals gefördert“.  Es drohe Verarmung, Verelendung und Isolation der Menschen. Konkret betroffen von einer Umsiedlung wären nach Angaben der Experten 55.000 bis 65.000 Menschen, die derzeit am Tigris und seinen Zuflüssen leben, Sie sind vorrangig kurdischer Abstammung.

Laut Eichelmann hat die Türkei nicht den Willen und nicht das Know how, die Menschen umsiedeln zu können. „Sie hat den Unterschied zwischen Enteignung und Umsiedlung gar nicht verstanden.“ Außerdem fühle sich die Türkei im Krieg mit den Kurden. Wie soll sie jetzt mit ihren „Feinden“ so kulant umgehen, dass sie ihnen Umsiedlungspläne erstellt? Die Leute werden quasi vertrieben und bekommen ein wenig Geld für ihr Hab und Gut. Weil sie von Landwirtschaft, Fischfang und Tourismus leben, und finden nur schwer wieder eine Arbeit. Sie ziehen in Großstädte wie Diyarbakir oder Mardin und vergrößern weiter die Slums.

Die Felsenhöhlen in Hasankeyf sind Jahrtausende alt. Noch in den 60er Jahren wurden sie von Einheimischen bewohnt. Der Damm würde einen Großteil dieses kulturellen Erbes unter Wasser setzen. 23 verschiedene Kulturen, beziehungsweise Völker, haben sich in Hasankeyf verewigt, angefangen von 5.000 bis 6.000 vor Christus. Würde man nur die Ruinen ausgraben, die im zukünftigen Stausee liegen, brauchte es 30 bis 40 Jahre intensiver Arbeit. (Ulrich Eichelmann)
Die Felsenhöhlen in Hasankeyf sind Jahrtausende alt. Noch in den 60er Jahren wurden sie von Einheimischen bewohnt. Der Damm würde einen Großteil dieses kulturellen Erbes unter Wasser setzen. 23 verschiedene Kulturen, beziehungsweise Völker, haben sich in Hasankeyf verewigt, angefangen von 5.000 bis 6.000 vor Christus. Würde man nur die Ruinen ausgraben, die im zukünftigen Stausee liegen, brauchte es 30 bis 40 Jahre intensiver Arbeit. (Ulrich Eichelmann)

Ilisu rettet Hasankeyf?

Auf der Webseite der Staudammbeführworter ist zu lesen: „Eine der Prioritäten des Ilisu-Konsortiums ist selbstverständlich die Bewahrung der Kulturgüter im Bereich des Damms.“ Dafür wolle man insgesamt 100 Millionen Dollar bereitstellen und 22 Monumente zuerst restaurieren und dann auf einen Berg über dem Stausee setzen. Im höhergelegenen Ortsteil von Hasankeyf, der nicht überflutet wird, sollen außerdem noch ein Archäologiepark und ein Museum gebaut werden.

Wie sich neuerdings aber abzeichnet, ist es womöglich technisch gar nicht möglich, die halb zerfallenen Bauwerke einfach ab- und an einem anderen Ort wieder aufzubauen. Ein anderes Szenario war deshalb, die Denkmäler einfach an Ort und Stelle zu belassen mit einer Schutzhülle aus Plexiglas zu überziehen. Nach der Flutung würden sie dann so unter Wasser konserviert.

„Faktum ist“, heißt es weiter auf der Webseite, „ohne diese Anstrengungen im Zuge des Ilisu-Projektes wäre Hasankeyf endgültig dem Verfall preisgegeben worden. Fast alle historischen Überreste können nun aber gerettet werden. Mehr als das: Sie werden langfristig gesichert und stellen damit das touristische Potenzial der Zukunft dar.“

UNESCO-Welterbe als Lösung

Noch ist das schlimmste Szenario für Hasankeyf – auch wenn dort schon die  Bagger rollen – nicht eingetroffen. Und die Staudamm-Widerständler basteln eifrig an einer Gegenvision zu Ilisu, der seit 50 Jahren wie ein Damokles-Schwert über der Region hängt, in die niemand investiert, weil sie ja untergehen könnte. Seither verfallen die Bauwerke, viele davon an die 900, Tausend Jahre alt.

{R:7}

Wenn alles klappt, sollen im September 2009 Studenten der Universität Wien nach Hasankeyf reisen und Ideen für den Ort entwickeln, zum Beispiel Höhlenhotels für Touristen. „Sie haben die Aufgabe, Hasankeyf ohne Staudamm so zu planen, dass die Menschen davon leben können. Das ist sozusagen Teil unserer Kampagne“. Eichelmann ist überzeugt, dass Hasankeyf finanziell überleben kann. Einerseits das biblische Zweistromland, zu dem die Europäer eine starke Bindung haben, dann die Kultur, die Natur. „Da passt irgendwie alles“, sagt er. Die Region könnte UNESCO-Welterbe werden.

Lange Zeit haben Kurdenkonflikt und Bürgerkrieg dagegen gesprochen, in das von Kurden beheimatete Hasankeyf zu fahren, auch die Infrastruktur war nicht ausgebaut. Mittlerweile kann man von Istanbul oder Ankara aus nach Batman fliegen. Von dort ist es noch eine halbe Stunde mit dem Bus, und sollte man dann in Hasankeyf wirklich übernachten können, wäre das ideal für den Tourismus. „Noch ist es erstmal so, dass das die Gegenvision ist, und noch rennen alle Offiziellen Richtung Stausee“, sagt Eichelmann.

Film zur Kampagne

„Und macht euch die Erde untertan“ von Christoph Walder thematisiert mit dem geplanten Staudamm Ilisu eines der umstrittendsten Bauvorhaben der Welt.
Hamburg: 18.09.08, 19.30 Uhr, Abaton-Kino, Allendeplatz 3
Bremen: 19.09.08, 20.30 Uhr, Kino 46, Waller Heerstrasse 46
München: 08.10.08, 20.00 Uhr, Atelier Filmtheater, Sonnenstr. 12  
www.stopilisu.com

Text erschienen in Epoch Times Deutschland Nr.38/08

 



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