Halbierung des Stickstoff-Grenzwertes gefordert: Legen WHO und EU bald ganz Deutschland lahm?

Die seit 1999 geltenden EU-Grenzwerte für Stickoxid-Emissionen sind jüngst in die Kritik geraten, weil sie unter anderem unter Pneumologen als willkürlich und überhöht gelten. Die WHO meint hingegen, sie seien immer noch nicht niedrig genug – und machen sich für eine weitere Halbierung stark.
Von 29. Januar 2019

Erst letzte Woche hatten mehr als 100 Wissenschaftler der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), der Deutschen Lungenstiftung und des Verbandes Pneumologischer Kliniken grundlegende Zweifel an der Eignung von Feinstaub und Stickstoffverbindungen geäußert, die Gesundheit zu gefährden.

Eine wissenschaftliche Rechtfertigung für die derzeit geltenden Stickoxid-Grenzwerte der EU, auf die sich beispielsweise Klagen der „Deutschen Umwelthilfe“ (DUH) auf Fahrverbote stützen, sei deshalb nicht zu erkennen.

Statt 67 künftig mehr als 300 Städte betroffen?

Demgegenüber reichen einigen Öko-Lobbyisten selbst die bestehenden Werte, auf deren Basis bereits in mehreren Städten Fahrverbote für Dieselfahrzeuge verordnet worden waren, nicht aus. Wie „FOCUS online“ berichtet, wollen sie die Stickoxid-Grenzwerte für die Außenluft noch einmal auf 20 Mikrogramm pro Kubikmeter halbieren. Seit 1999 gilt EU-weit der Grenzwert von 40 Mikrogramm. Die Folge wäre, dass in mehr als 300 Städten Fahrverbote wahrscheinlich würden – und wohl auch vor Benzinern nicht mehr haltmachten. Bereits 2017 soll an 21 Prozent der Messstandorte dieser Wert überschritten gewesen sein.

Focus online stützt sich bei seiner Darstellung auf Quellen aus dem Umweltbundesamt. Diesem zufolge sei ein Projekt der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter dem Titel „Health risks of air pollution in Europe“ bereits 2018 zu dem Ergebnis gekommen, dass mit „gesundheitsrelevanten Wirkungen von NO2“ bereits ab einer langfristigen durchschnittlichen Exposition von 20 µg/Kubikmeter gerechnet werden müsse. Für die ökologistische Gemeinde in Politik, Medien und vorpolitischem Raum geradezu eine Maßvorlage.

Unter jenen 67 Städten, die dem Umweltbundesamt zufolge bereits im Jahr 2017 im Jahresmittel mehr als 40 Mikrogramm an NO2-Emissionen zu verzeichnen hatten, befinden sich nicht nur zahlreiche Landeshauptstädte und Industriestädte, sondern auch Mittel- und Kleinstädte wie Backnang, Hürth oder Pleidelsheim.

Oldenburg und Hamburg als Schauplätze ungeklärter Emissionserhöhungen

Eine Halbierung der Grenzwerte würde hingegen deren Überschreitung zur Regel machen – so hatten 2017 nur 193 von 528 Messstationen oder 37 Prozent im Jahresmittel die 20-Mikrogramm-Schwelle unterschritten. Bei 335 Stationen oder 63 Prozent war dies hingegen nicht der Fall. Die nach Meinung von Beobachtern durchaus überschreitungsaffinen Standorte deutscher Messstationen könnten die Situation weiter verschärfen. 

Sogar Städte wie Friedrichshafen, Heidelberg oder Bayreuth, die bislang kaum als Paradebeispiele für schlechte Luftqualität galten, würden mit Stand des Jahres 2017 die anvisierten Grenzwerte überschreiten – mit allen nachteiligen Folgen für den Individualverkehr. Zum Vergleich: In den USA, wo Kalifornien und einige weitere Bundesstaaten strengere Regelungen zur NO2-Belastung als die bundesweit geltenden 103 µg/m³ getroffen haben, nämlich einen Grenzwert von 57 µg/m³, müssten in den betroffenen Staaten nur acht deutsche Städte Konsequenzen ziehen. 

Was die Situation weiter verkomplizieren könnte, ist der Umstand, dass in manchen Kleinstädten wie Oldenburg in der Vergangenheit sogar an Tagen Grenzwertüberschreitungen festgestellt wurden, an denen – etwa am Tag eines Marathons – überhaupt kein Autoverkehr an der Messstation zu verzeichnen war. In Hamburg war an bereits gesperrten Straßen sogar ein Anstieg der gemessenen Werte festzustellen. 

Dies legt den Schluss nahe, dass – unabhängig von der Frage, ob Stickstoffoxide in den Konzentrationen, über die gesprochen wird, tatsächlich die Gesundheit beeinflussen – unabhängig vom Diesel noch zahlreiche weitere Faktoren die Höhe des NO2-Ausstoßes bestimmen. 

Ökologistischer Marsch in die Friedhofsruhe?

Dieser Gedanke kam offenbar auch schon Regierungssprecher Steffen Seibert, als dieser, wie Focus online aus der Bundespressekonferenz zitiert, im Oktober 2018 auf die Frage, ob alle Städte mit Überschreitungen künftig die Grenzwerte einhalten würden, antwortete:

„Das wird gar nicht passieren können, weil in den meistbelasteten Städten beispielsweise der Straßenverkehr nur eine von mehreren Schadstoffemissionsquellen ist. In Hafenstädten muss man erst einmal die Situation mit den Schiffen in den Griff bekommen, um wirklich unter diese Grenzwerte zu kommen. […] In den stark belasteten Städten wird man aber auch noch an ganz andere Aspekte denken müssen als  in Anführungszeichen nur an den Straßenverkehr.“

Focus online zieht daraus den Schluss, dass die Diesel-Fahrverbote erst der Anfang sein könnten. Insbesondere vor dem Hintergrund einer möglichen weiteren Halbierung würde es auch generelle Fahrverbote geben müssen, die auch Benziner einschließen. Auch das sei jedoch nicht das Ende vom Lied: Es werde vielmehr, so der Focus, „erheblich größere Einschränkungen der individuellen, aber auch der kollektiven Mobilität geben müssen“.

Am Ende könnten auch Häfen, Bahnhöfe oder Linien des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs betroffen sein. Ob auf diese Weise die Grenzwerte flächendeckend eingehalten werden können, bleibt ungewiss – ebenso wie die Frage, welchen Preis an Wohlstand und Lebensqualität dafür zu bezahlen wäre.



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