Am Gängelband des Staates

Überall in Deutschland begegnet man den bizarren Auswüchsen der ausufernden Bürokratie. Unternehmer beklagen eine Kultur der Innovationsfeindlichkeit in den Behörden. Die Kosten sind enorm – und werfen die Wirtschaft zurück. Eine Analyse.
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Akten überall. Trotz Bürokratiebremse kostet das Bundesrecht die deutsche Wirtschaft jährlich immer mehr – 2017 waren es mehr als 45 Milliarden Euro, 2020 über 51 Milliarden.Foto:  Julian Stratenschulte/Symbol/dpa
Von 10. November 2022

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Die staatliche Regulierungswut kennt keine Grenzen. Neben der stetig steigenden Menge an Vorschriften sind es vor allem die langen Genehmigungsverfahren, der kaum zu durchdringende Dschungel an Zuständigkeiten und Berge von Papier, die Firmenchefs und Bürger hierzulande gleichermaßen zur Weißglut bringen. Manchen schnürt die Bürokratie förmlich die Luft ab.

2.331 Normen müssen Firmen allein auf Bundesebene beachten, zeigt eine Untersuchung des Wirtschaftsprüfers Deloitte aus dem Jahr 2019. Hinzu kommen Vorgaben der EU, von Aufsichtsbehörden und Gerichten sowie privatrechtliche Standards auf internationaler Ebene.

Händler etwa müssen seit dem 1. Januar 2020 mit elektronischen Kassensystemen ihren Kunden für jedes verkaufte Brötchen oder Croissant unaufgefordert einen Kassenbon aushändigen. Laut dem Normenkontrollrat Baden-Württemberg verbringen die Bäckereien Woche für Woche 12.5 Stunden im Schnitt allein mit der Erfüllung bürokratischer Pflichten.

Größere Firmen plagt demnächst eine zeitraubende Auflage, die sich hinter dem Wortungetüm „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ verbirgt. Es verpflichtet Unternehmen mit mindestens 3000 Beschäftigten ab dem kommenden Jahr, auf Missstände beim Einkauf von Material und Teilen aus dem Ausland zu reagieren. Dabei werden Fragen zu beantworten sein wie: Was wissen Sie über Ihre Lieferanten, Dienstleister und Subunternehmer? Wie kontrollieren Sie die Arbeitsbedingungen? Wie sehr beachten Sie die Umweltschutz-Belange? Der Bundesverband der Deutschen Industrie befürchtet bereits, dass die Richtlinie zu enormer Bürokratie und Rechtsunsicherheit bei Unternehmen führen wird, ohne dass sich daraus Verbesserungen für die Sicherung der Menschenrechte ergeben.

„Gift für einen wettbewerbsfähigen Standort“

Altenpfleger, Krankenpfleger sowie Ärzte fühlen sich derweil durch ausufernde Dokumentationspflichten und die Anforderungen einer ständig wachsenden Verwaltung immer stärker an ihrer eigentlichen Tätigkeit gehindert – zum Nachteil der Patienten.

Wie die Bundesbürger über die häufig willkürlich anmutende staatliche Gängelei denken, zeigt eine im September veröffentlichte Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach. Danach antwortete eine Mehrheit von 62 Prozent auf die Frage nach der Leistungsfähigkeit der Verwaltung mit „eher weniger“, „kaum“, oder sogar „gar nicht“. Der zentrale Kritikpunkt ist die lange Dauer der Genehmigungsverfahren.

„Langwierige Verfahren kosten die Unternehmen Geld und Wettbewerbsfähigkeit“, monierte Industriepräsident Siegfried Russwurm, der die Umfrage als Vorsitzender des Gemeinschaftsausschusses der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft in Auftrag gegeben hatte. Träge Abläufe in den Ämtern seien „Gift für einen wettbewerbsfähigen Standort“. „Eine Verwaltung, in der das Scannen eines Formulars und das Verschicken einer PDF-Datei schon als Digitalisierung gelten, kann sich Deutschland nicht mehr leisten“, brachte Russwurm die prekäre Lage auf den Punkt.

Ein prominentes Beispiel ist der US-Autobauer Tesla. Der Elektrofahrzeug-Pionier, der gerade seine erste europäische Gigafactory in Grünheide bei Brandenburg baut, beanstandete bereits im Frühjahr, dass in Deutschland ein Großteil des Dokumentenaustauschs zwischen Antragsteller und Behörden sowie innerhalb der Behörden noch immer in Papierform erfolgt.

Über 50 Milliarden Euro Bürokratiekosten pro Jahr

„Deutschland leistet sich in der öffentlichen Verwaltung Strukturen, Prozesse und Denkweisen, die teilweise archaisch anmuten“, heißt es darin in ungeschminkten Worten. Es komme zu „verschiedenen Formen von Organisationsversagen“, stellte der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums bereits im April vergangenen Jahres in einem Gutachten mit dem Titel „Digitalisierung in Deutschland – Lehren aus der Coronakrise“ fest.

Das hierzulande umfassendste Maß für das, was die überbordende Bürokratie anrichtet, nennt sich – in schönstem Bürokraten-Sprech – Erfüllungsaufwand. Er spiegelt die gesamten Kosten sowie den gesamten messbaren Zeitaufwand wider, die den Bürgern, der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung durch die Befolgung der gesetzlichen Vorgaben entstehen.

Die Bundesregierung ist im Zuge der Einführung zusätzlicher rechtlicher Regelungen verpflichtet, einmal jährlich die Veränderung des Erfüllungsaufwands zu ermitteln. Die dafür notwendige fortlaufende Dokumentation übernimmt das Statistische Bundesamt. Es erfasst sämtliche Regelungsentwürfe der Regierung, die vom Kabinett beschlossen wurden. Den jüngsten verfügbaren Zahlen zufolge stieg der Erfüllungsaufwand 2020 in der Verwaltung um 1,289 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr an. Insgesamt ergab sich laut Bundestag 2020 für die Bürokratiekosten ein rechnerischer Wert von 51,39 Milliarden Euro.

Leere Versprechen der Regierung

Für Rainer Kirchdörfer sind diese Zahlen zu niedrig veranschlagt. Bei der Berechnung des Erfüllungsaufwandes handele es sich um ein „Standardverfahren, das nur die unmittelbaren Kosten berechnet“, so der Vorstand der Stiftung Familienunternehmen. Exemplarisch nennt er die Erbschaftsteuerreform, für die nur 10.000 Euro an Mehraufwand pro Jahr angesetzt wurden.

In schöner Regelmäßigkeit hat bislang jede Regierung versprochen, das Bürokratie-Dickicht zu lichten. Auch die Ampelkoalition reihte sich in den Reigen ein. Immerhin 26 Mal geht es auf den 144 Seiten des Koalitionsvertrags um Bürokratieabbau, gleich 56 Mal verspricht Rot-Grün-Gelb Beschleunigung. Vor allem Selbstständige und Unternehmer sollen zukünftig „mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben haben“, versprachen die Koalitionäre. Noch euphemistischer ist die Passage, in der es heißt, dass Geschäftsleute „in der Verwaltung einen Verbündeten“ finden sollen.

Doch stattdessen: Viel Rauch um nichts, der Berg kreißte und gebar eine Maus. Statt der vollmundig angekündigten Entschlackung bürokratischer Strukturen gab es neue Regeln zur Arbeitszeiterfassung, zum Mindestlohn und das Lieferkettengesetz.



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