So behebt Minister Lauterbach Engpässe: Kinder früher aus Kliniken entlassen

Zuerst werden zu geringe Belegzahlen verbreitet, die eine dramatische Situation suggerieren. Und dann, als sich der Fehler herausstellt, wird der Alarmmodus dennoch aufrechterhalten.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht bei einem Besuch im Hadassah Krankenhaus in Jerusalem mit Schutzkleidung in einem Operationstrakt.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht bei einem Besuch im Hadassah Krankenhaus in Jerusalem mit Schutzkleidung in einem Operationstrakt.Foto: Christophe Gateau/dpa
Von 25. Dezember 2022

Der Bundesgesundheitsminister begegnet einer angespannten Situation in den Kinderkliniken mit einem brachial wirkenden Vorschlag: In einem Brief des Ministers an Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft, aus dem das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) zitiert, will Karl Lauterbach Kinder einfach früher aus den Kliniken entlassen, um den Druck abzubauen.

Laut RND bezieht sich Lauterbach auf einen Alarmruf eines Oberarztes aus Hannover, dem allerdings hatte die niedersächsische Gesundheitsministerin zwischenzeitlich vehement widersprochen. Lauterbach beruft sich davon unbeeindruckt dennoch auf den Oberarzt und nicht auf seine ministeriale Kollegin, aber dazu gleich mehr.

Gegenüber der Zeitung erklärt der Minister:

„Hohe Krankenstände und eine beispiellose Infektionswelle setzen vor allem Kinderkliniken unter Druck. Daher wollen wir sie nicht nur finanziell unterstützen, sondern das Personal auch von zusätzlichem Bürokratieaufwand spürbar entlasten. Insbesondere Kinder dürfen nicht im Krankenhaus bleiben müssen, nur um Abrechnungsformalien zu genügen. Daher fordern wir die Krankenkassen auf, die untere Grenzverweildauer und die Prüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen begrenzt bis Ende Januar 2023 auszusetzen.“

Damit könnten, so Lauterbach, weitere dringend notwendige Behandlungskapazitäten geschaffen und auf allen Stationen Personal durch Wegfall von Dokumentation entlastet werden.

Das allerdings verwundert, denn es ist vor allem eine akkurate Dokumentation, die am Anfang einer Datenerfassung steht, die zuletzt immer wieder bemängelt wurde. So war die per Infektionsschutzgesetz vorgeschriebene Evaluation der Corona-Maßnahmen vor allem eine Dokumentation des Scheiterns der Erhebung von Daten. Auf Seite 46 des Evaluationsberichtes heißt es dazu beispielsweise:

Rückblickend hat sich gezeigt, dass es Schwierigkeiten bei der Datenerhebung und -verknüpfung sowie bei der zeitnahen Datenerfassung bzw. Datenverfügbarkeit während der Pandemie gab. So standen bzw. stehen wichtige aktuelle Versorgungsdaten für wissenschaftliche Auswertungen nicht maschinenlesbar bzw. nur bedingt oder mit erheblichem Zeitverzug zur Verfügung.“

Kinderkliniken sollen ihre kleinen Patienten jetzt auf Wunsch von Karl Lauterbach früher entlassen. Der Minister will die untere Grenzverweildauer von Kindern in Kliniken aussetzen. So könnten Krankenhäuser zusätzliche Behandlungskapazitäten dadurch schaffen, „dass sie Patientinnen und Patienten bei entsprechender ärztlicher Einschätzung früher entlassen.“

Minister Lauterbach entdeckt „Abrechnungsformalien“

Die Ärzte, die so eine Entscheidung zu fällen haben, schätzen die Notwendigkeit eines Klinikaufenthaltes demnach nicht mehr nur allein am Gesundheitszustand des Kindes ein, sondern am Platz- und Personalmangel auf ihren Intensivstationen.

Bemerkenswert auch die Behauptung des Ministers, dass es ihm auf einmal darum geht, dass Kinder nicht zu lange in Krankenhäusern sein müssten, „nur um Abrechnungsformalien zu genügen“. Denn wenn dem so wäre, warum ist Lauterbach dieses Problem nicht längst angegangen?

Der Minister will Kinder früher nach Hause schicken, damit Platz für weitere Kinder ist, die aufgrund der Corona-Maßnahmen und Lockdowns eine gefährlich erhöhte Empfindlichkeit für beispielsweise Erkältungskrankheiten wie das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) entwickelt haben.

Hierzu muss man ebenfalls wissen, dass die Verweildauer von Kindern in Kliniken seit 1991 kontinuierlich sinkt, während die Zahl der Kinder, die stationär versorgt werden müssen, seit bald 30 Jahren ansteigt. Das eine hängt mit dem anderen unmittelbar zusammen.

Anfang Dezember 2022 hatte Michael Sasse, der leitende Oberarzt der Kinderintensivmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover, Alarm geschlagen, als er den Worst Case verkündete und quasi eine Art Triage an Kindern prophezeit: „Kinder sterben, weil wir sie nicht mehr versorgen können.“

Sasse machte auch gleich einen Schuldigen dafür aus: „Jetzt werden drei Jahrgänge von Kindern diese Infekte durchmachen, weil sie ohne Mundschutz durch die Gegend rennen.“

Das ist allerdings allein schon deshalb erstaunlich, weil führende Mediziner die Verschlimmerung der Infekte bei Kindern wie das RSV auf die Corona-Maßnahmen zurückführen. Das „Ärzteblatt“ titelte dazu zwei Tage vor Weihnachten: „Lockdown hat zu Immunitätslücke bei RSV geführt“.

Der Oberarzt wurde schon Mitte Dezember von der Politik verbessert: Die niedersächsische Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) widersprach Sasse gegenüber der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ vehement:

„Es gibt keinen Kollaps“, es gebe allerdings „eine sehr angespannte Lage in den Kinderkliniken. (…) Diese Welle trifft auf ein System, das seit zweieinhalb Jahren am Limit arbeitet. Die Beschäftigten sind stark belastet“. Das abschließende Versprechen der Ministerin war eindeutig: „Schwerkranke Kinder werden ordentlich versorgt.“

Eine zu niedrige Zahl wird ungeprüft übernommen

Zwei unterschiedliche Positionen: Der Oberarzt will seine Klinik am Laufen halten und warnt gegenüber der Politik früh, wenn er Engpässe bereits erahnt. Und die Politik ist verpflichtet, alle Ressourcen im Auge zu behalten und die Klinikbetriebe aufrechtzuerhalten.

Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), die ein Intensivbettenregister führt, berichtete am 1. Dezember 2022 nach einer Umfrage an Kliniken Dramatisches:

Lediglich 83 freie Betten gibt es generell noch auf pädiatrischen Kinderintensivstationen in ganz Deutschland – das sind 0,75 freie Betten pro Klinik, also weniger als eines pro Standort.“

Diese Zahlen wurden vom Bundesgesundheitsminister selbst verbreitet, ebenso wie in den öffentlich-rechtlichen Nachrichten.

Im Gegensatz zu den Nachrichtenredaktionen kamen diese Zahlen beispielsweise einem bis dato medial unbekannten Twitter-User namens Jochen Ziehmann komisch vor, er hat dann einfach mal zu Hause nachgerechnet und ist zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen:

1.233 Krankenhäuser melden täglich die Anzahl ihrer Intensivbetten an das ‚Intensivregister‘ der DIVI. Danach waren gestern von 2.792 betreibbaren Kinderintensivbetten noch 697 frei. Weitere 384 stehen in der sog. Notfallreserve zur Verfügung.“

Die aktuellen Zahlen vom 24. Dezember 2022 für Kinderintensivplätze liegen laut DIVI bei 158 freien Betten und 169 Betten in der Notfallreserve, also bei 327 Betten insgesamt.

Auch das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) hatte die viel zu geringen Zahlen übernommen und auch noch in einer Grafik aufgearbeitet.

Unabhängig von den viel höheren absoluten Zahlen fallen hier allerdings die hohen (über ein Drittel) Zahlen der gesperrten Intensivbetten auf. Gesperrt bedeutet hier laut RND „meist wegen Personalmangel“ nicht zur Verfügung stehende Intensivplätze.

Wenn allerdings nach fast drei Jahren Corona-Problematik mit Intensivplätzen in Krankenhäusern solche Personallücken nicht geschlossen werden konnten, muss sich die Politik durchaus kritische Fragen gefallen lassen.

Die niedersächsische Gesundheitsministerin teilt gegenüber dem NDR in Sachen Kinderintensivstationen jetzt mit: „Das Problem ist verstanden worden und es wird nun angegangen.“ Man wolle den Krankenhäusern für die Kinderpflege eine höhere Fallpauschale zugestehen. Die Krankenhäuser müssten mehr verdienen, gemessen an ihrem Aufwand.

Der Effekt so einer Erhöhung stellt sich allerdings nicht von heute auf morgen ein. Die Kinder sind aber bereits heute in größerer Zahl erkrankt und nicht erst übermorgen.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion