Bundesnetzagentur übernimmt treuhänderisch deutsche Gazprom

Durch die Sanktionen gegen Russland steht Europa nicht nur vor einem Engpass an Dieselkraftstoff. Dabei kam es zu einer Überraschung bei Gazprom Germania.
Titelbild
Pipeline, Lagertanks und Gebäude einer Raffinerie.Foto: iStock
Von 10. April 2022

Bis zum 30. September 2022 übernimmt die deutsche Bundesregierung die Führung über die Gazprom Germania. Zur Treuhänderin der Tochter der russischen Gazprom wurde die Bundesnetzagentur, die zentrale Infrastrukturbehörde Deutschlands, bestimmt.

„Mit der Anordnung setzt mein Ministerium gemäß Paragraf 6 des Außenwirtschaftsgesetzes die Bundesnetzagentur vorübergehend als Treuhänder für Gazprom Germania ein“, erklärte Robert Habeck am 4. April.

Dieser Schritt ist einmalig und ohne Beispiel. Doch es sei „zwingend notwendig“, sagt Robert Habeck. „Die Anordnung der Treuhandverwaltung dient dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit.“

Energieinfrastruktur nicht „dem Kreml aussetzen“

Damit kann ohne die Bundesnetzagentur die deutsche Gazprom keine Entscheidungen mehr treffen. Die Netzagentur kann Mitglieder der Geschäftsführung abberufen und neu bestellen sowie Weisungen erteilen. Ebenso steht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in Bezug auf das Vermögen unter dem Vorbehalt der Netzagentur.

Was geschah zuvor? Der Mutterkonzern, die russische Gazprom, teilte am 1. April mit, dass es sich von seiner deutschen Tochtergesellschaft zurückziehe. Zwei russische Unternehmen, JSC Palmary und Gazprom export business services (GPEBS), sollten die neuen Eigentümer werden. Über diese ist nichts bekannt.

Der neue Eigentümer GPEBS machte klar, dass er eine freiwillige Liquidierung anstrebe, er habe Gazprom Germania angewiesen, diese durchzuführen. Anders gesagt: Das Unternehmen wäre abgewickelt oder in die Insolvenz geschickt worden, wobei die bisherigen Verträge neu verhandelt werden müssten.

Der Erwerb kritischer Infrastruktur durch Nicht-EU-Investoren bedarf einer Genehmigung des Wirtschaftsministeriums. Diese Genehmigung liegt nicht vor, daher seien die neuen Eigentümer nicht rechtmäßig. Diese „unklaren Rechtsverhältnisse“ sowie der Verstoß gegen Meldepflichten im Rahmen der Außenwirtschaftsverordnung seien laut Habeck der Grund für die Übernahme.

Deutsche Energieinfrastrukturen könnte man „nicht willkürlichen Entscheidungen des Kremls aussetzen. Die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Geschäfte in Deutschland muss gewährleistet sein“, so Habeck. 

Die Bundesnetzagentur ist sich als Treuhänderin ihrer zusätzlichen Verantwortung bewusst, erklärt Klaus Müller (Grüne), Chef der Bundesnetzagentur. „Wir wollen alle notwendigen Schritte unternehmen, um die Versorgungssicherheit weiter zu gewährleisten. Die Geschäfte der Gazprom Germania und ihrer Tochterunternehmen sollen in diesem Sinne kontrolliert weitergeführt werden.“

Es wird berichtet, dass Habecks Ministerium verschiedene Worst-Case-Szenarien im Bereich Energie durchspielt. Darin seien auch mögliche Verstaatlichungen russischer Energieunternehmen, die in Deutschland Betriebsteile haben, einbezogen. Sorgen bereitet dem Wirtschaftsministerium auch die Raffinerie in Schwedt, die mehrheitlich Rosneft gehört. Sie versorgt den Nordosten Deutschlands inklusive Berlin mit Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin.

Theoretisch könnte Gazprom Rechtsmittel einlegen. Die Treuhand-Konstruktion bedeutet keine Verstaatlichung des Unternehmens.

Russlands Präsident Wladimir Putin drohte den Europäern wegen ihres Vorgehens gegen den russischen Gazprom-Konzern mit Vergeltung. „Die Situation im Energiebereich verschlechtert sich“, sagte er am 5. April in Moskau mit Verweis auf nicht-marktkonforme, „brachiale Maßnahmen einschließlich des Verwaltungsdrucks auf unser Unternehmen Gazprom in einigen europäischen Ländern“. Putin nennt die Drohung mit der Verstaatlichung russischer Anlagen ein „zweischneidiges Schwert“.

Das Problem Diesel

Vor allem Diesel ist ein Problem, täglich kauft Europa fast eine Million Barrel russischen Diesel. Es könnte sogar das größte Problem werden, falls kein russisches Öl und Gas mehr fließen sollten. Verglichen mit den hohen Ölpreisen wäre eine drohende Dieselknappheit viel schlimmer, signalisieren drei große Rohstoffhändler in der „Financial Times“. 

„Der Dieselmarkt ist extrem angespannt. Er wird noch enger werden“, kommentiert Jeremy Weir, CEO des Schweizer Rohstoffhändlers Trafigura. Fachleute der großen Schweizer Rohstoffhändler Vitol, Gunvor und Trafigura gehen davon aus, dass durch den Ukraine-Russland-Konflikt täglich bis zu 3 Millionen Barrel Erdöl und Erdölprodukte fehlen. 

„Es gibt ein systemisches Defizit an Diesel“, mahnt Russell Hardy, Chef des Ölhändlers Vitol. Etwa die Hälfte des in Europa benötigen Diesels stammen aus Russland, die andere Hälfte aus dem Nahen Osten. Der Rohstoff werde Mangelware. Selbst wenn Raffinerien ihre Dieselproduktion erhöhen würden, was nur auf Kosten anderer aus Erdöl gewonnener Produkte geschehen könnte, wären Rationierungen durchaus eine Option.

Bundesnetzagentur denkt über Rationierung nach

Die Bundesnetzagentur, die für die Versorgung Deutschlands mit Erdgas und Öl zuständig ist, denkt bereits über eine mögliche Rationierung nach. Von dieser wären Millionen Menschen und Unternehmen betroffen. Privaten Haushalten wird laut dem deutschen „Notfallplan Gas“ erst als Letztes der Gashahn zugedreht, sie sind nicht sofort betroffen. Große Schäden sind bei Gas- und Ölmangel jedoch in der Industrie zu erwarten, diese werden zeitlich gesehen vor den Endverbrauchern abgeschaltet. 

Die „Abschaltungsreihenfolge“ der Produktion ist noch unbekannt. Christian Hampel, Partner und Rechtsanwalt bei BDO Legal in Berlin, berichtete in der „Berliner Zeitung“, dass sich bereits zahlreiche Unternehmen an seine Kanzlei gewandt haben, weil ihnen ihre Gasversorgungsunternehmen mögliche Rationierungen oder Abschaltungen angekündigt haben. Er empfiehlt betroffenen Unternehmen, sich direkt an ihre Netzbetreiber und Lieferanten zu wenden, um in der Liste nicht mehr ganz oben zu stehen.



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