Deutschland und das Öl-Embargo

Nur wenige Industrieunternehmen können russisches Öl und Gas kurzfristig ersetzen. Zudem bereiten Take-or-Pay-Verträge Kopfzerbrechen.
Anlagen auf dem Industriegelände der PCK-Raffinerie GmbH. In der Erdölraffinerie PCK in Schwedt kommt Rohöl aus Russland über die Pipeline «Freundschaft» an.
Anlagen auf dem Industriegelände der PCK-Raffinerie GmbH. In der Erdölraffinerie PCK in Schwedt kommt Rohöl aus Russland über die Pipeline „Druschba“ (Freundschaft) an.Foto: Patrick Pleul/dpa
Von 6. Mai 2022


Deutsche Unternehmen können Importe aus Russland, der Ukraine oder Belarus nur schwer ersetzen. Das geht aus einer Ifo-Umfrage vom 3. Mai hervor. Nur 13,8 Prozent der Industriefirmen mit Lieferproblemen aus diesen Ländern könnten ihre Bezugsquellen kurzfristig komplett ersetzen. Für 43,4 Prozent ist dies nur teilweise möglich. Weitere 16,3 Prozent antworteten, andere Bezugsquellen seien wirtschaftlich nicht sinnvoll und 13,8 Prozent erklärten, dies sei gar nicht möglich.

„Der Wechsel von Bezugsquellen bereitet vielen Unternehmen Kopfzerbrechen“, sagt Ifo-Forscher Klaus Wohlrabe. „Jahrelang erprobte Lieferketten und Produktionsprozesse lassen sich oft kurzfristig nicht umorganisieren“, ergänzt er.

Im Großhandel erklärten sogar nur 7,4 Prozent, es sei vollständig möglich, kurzfristig neue Importquellen zu finden, 42,0 Prozent sagten, das sei teilweise möglich. Wirtschaftlich nicht sinnvoll ist dies für 16,0 Prozent, gar nicht möglich für 17,3 Prozent.

Viele Unternehmen sind auch indirekt betroffen, weil ihre eigenen Zulieferer Importe aus Russland beziehen. „Es besteht zudem oft eine Unsicherheit, ob und wie stark Unternehmen möglicherweise durch die Sanktionen betroffen sind“, sagt Wohlrabe.

Vom Bremser zum Antreiber

Diese Fakten dürften der Bundesregierung gut bekannt sein. In den vergangenen Tagen wurde verstärkt diskutiert, wer im Fall eines Gaslieferstopps als Erstes versorgt wird: die Industrie oder die privaten Haushalte, wie es der deutsche Notfallplan Gas bisher vorsieht. In der dritten Notfallstufe kann der Staat eingreifen und entsprechende Vorgaben machen. Klaus Müller brachte als Präsident der Bundesnetzagentur eine mögliche Versteigerung von Gasverbrauchsrechten in der Industrie in die Debatte ein. 

Gleichzeitig öffnete sich die deutsche Regierung in der EU immer mehr für ein Ölembargo gegen Russland. Deutschland entwickelte sich vom Bremser zum Antreiber des Ausstiegs aus dem russischen Öl. Mit dem deutschen Gesinnungswechsel wird ein Ölembargo der EU wahrscheinlicher.

In der Nacht zum 4. Mai legte die EU mit dem sechsten Sanktionspaket das Ölembargo vor. In Zukunft sollen Unternehmen der EU kein russisches Öl mehr importieren dürfen. Nach einer Auslaufphase von sechs Monaten soll ein Einfuhrverbot für Rohöl gelten, nach acht Monaten ein Einfuhrverbot für Ölprodukte. Es wird eine Rolle spielen, ob die Lieferungen per Pipeline oder per Schiff erfolgen. Ausnahmen plant die EU nur für Ungarn und die Slowakei. Die Regierungen aller 27 EU-Staaten müssen dem geplanten neuen Sanktionspaket noch zustimmen, bevor es in Kraft tritt.

Bis vor Kurzem bezog Deutschland 35 Prozent seines Ölbedarfs aus Russland. Neue Lieferverträge hätten diese Importe auf 12 Prozent reduziert. Nun könne Deutschland die Sanktionen auch jahrelang durchhalten – bis Russland seine Truppen aus der Ukraine vollständig wieder abgezogen habe, stellte Annalena Baerbock fest.

Die Außenministerin erklärte das angestrebte Ziel des Ölembargos am 2. Mai in der ARD-Sendung „Anne Will“ so: „Natürlich will ich, dass Russland nie wieder einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt“. Russland werde durch den Angriff und die westlichen Sanktionen so geschädigt, dass das Land „auf Jahre“ nicht wieder auf die Beine kommen werde.

EU: Ungarn drohte mit einem Veto

EU-Staaten sind unterschiedlich stark betroffen. Am 27. April gab Russland bekannt, Gaslieferungen an Bulgarien und Polen einzustellen. Die Zahlungsfristen bei Gazprom seien nicht eingehalten worden. Daraufhin bemühte sich die EU um eine passende Entgegnung, das nun vorgelegte sechste Sanktionspaket.

Ungarn stellt sich quer und drohte mit einem Veto. Das Land importiert traditionell rund 75 Prozent seines Erdgases und 65 Prozent des Erdöls aus Russland. Die Preise wurden von Budapest im Herbst 2021 gedeckelt, um die Bürger vor Kostensprüngen zu bewahren sowie die politische Stabilität zu erhalten. 

Gergely Gulyás, Leiter der ungarischen Staatskanzlei, ist klar: „Wenn die deutsche Wirtschaft aufgrund der Sanktionen ins Stocken gerät, wird auch Europa ins Stocken geraten.“ Sanktionen wird Ungarn „niemals unterstützen“, eine Umstellung auf andere Öl- und Gaslieferungen brauche fünf Jahre und „Unmengen von Geld“, sagte er im ungarischen Sender „Hir TV“.

Um so erstaunlicher ist die plötzliche Reduzierung der deutschen Ölimporte auf 12 Prozent. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nennt einen möglichen Stopp der Ölimporte für „tragbar“, jedoch würde es „nicht spurlos“ an der Wirtschaft vorbeigehen. Es könnte zu „hohen Preissprüngen“ und Versorgungsengpässen kommen. 

Diese 12 Prozent fließen über die Öl-Pipeline Druschba in die Raffinerie PCK in Schwedt an der Oder ein. In der Brandenburger Kleinstadt wird mithilfe des Energieunternehmens Shell Deutschland beraten, wie die Erdölraffinerie nach einem möglichen Ölembargo gegen Russland weiter betrieben werden kann. Shell ist Miteigentümer der Raffinerie, die mehrheitlich durch die russische Rosneft geleitet wird. Shell sicherte laut Jörg Steinbach (Wirtschaftsminister Brandenburg) zu, Rohöl einzukaufen, 50 bis 60 Prozent der Kapazitäten könnten gesichert werden.

Kontinuierliche Lieferungen konnte Wirtschaftsminister Habeck nicht garantieren. „Wir haben immer noch keine Lösung für die Raffinerie in Schwedt“, zitierte ihn der „Spiegel“ am 2. Mai.

Erdgas: Wer bestimmte Mengen nicht abnimmt, zahlt trotzdem

Ein anderes Problem liegt bei Erdgas vor, bei dem ebenfalls über ein EU-Embargo zu einem späteren Zeitpunkt nachgedacht wird. Bisher wurde der Anteil russischen Erdgases am Gesamtverbrauch von Gas in Deutschland von 55 Prozent (im Jahr 2021) auf rund 40 Prozent reduziert.  

Erdgas ist in langfristigen Verträgen gebunden, die mit festgelegten Mengen und Preisen operieren. Henrik Paulitz von der Akademie-Bergstraße berichtet, dass es sich meist um sogenannte „Take-or-Pay“-Verträge handelt, bei denen die Importeure stetig bestimmte Mengen bezahlen müssen, unabhängig davon, ob das Erdgas tatsächlich importiert wird oder nicht. 

„Es könnte die kuriose Situation entstehen, dass Deutschland weit überteuertes LNG-Gas beispielsweise aus den USA bezieht und zugleich an Russland Überweisungen ‚für heiße Luft’ vornehmen müsste“, warnt Paulitz. Derartige Verträge seien für beide Seiten sinnvoll, weil der Aufschluss neuer Gasfelder und der Pipelinebau sehr teuer sind. Langfristige Lieferverträge geben beiden Seiten Sicherheit.

Künftig könnten die Lieferverträge von Gazprom mit Uniper oder der EnBW-Tochter VNG aus diesem Grund zu einem länger andauernden Dilemma werden. Trotz neuer Lieferverträge für Flüssigerdgas LNG – wie in Katar von Habeck beworben – laufen die anderen Verbindlichkeiten weiter. „2006 etwa verkündete Uniper-Vorgänger E.ON Ruhrgas stolz, dass man vereinbart habe, dass Gazprom bis 2036 insgesamt 400 Milliarden Kubikmeter Erdgas (BCM) liefern werde, rund 24 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Bis 2036!“, berichtete die „Wirtschaftswoche“.

Da hätte „Russland sowohl das Gas auch als das Geld“

Eine Analyse, woher Europa sein Erdgas beziehen könnte, wenn russische Importe nicht mehr infrage kommen, stammt von Jack Sharples, Gasmarktexperte des britischen Thinktanks Oxford Institute for Energy Studies. Darin warf er eine heikle Frage auf: „Könnte die EU den europäischen Käufern befehlen, Gas deutlich unter den Take-or-Pay-Levels abzunehmen und sie dann mit der Pflicht allein lassen, für Gas zu zahlen, das sie gar nicht abgenommen haben?“ Und warum sollten Käufer diese Anweisung ohne „Strafandrohung der EU oder ihrer jeweiligen nationalen Regierungen“ befolgen?

Wir reichten diese Frage an Parteien und Verantwortliche weiter. Die Bundesnetzagentur teilte Epoch Times dazu mit: „Bitte richten Sie diese Frage an die dafür zuständigen Stellen.“ Anfragen bei der EU und bei den deutschen Parteien liefen bis Redaktionsschluss nahezu ins Leere. 

Lediglich Steffen Kotré, energiepolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, antwortete. „Die EU-Kommission kann nicht in die Marktautonomie eingreifen. Das ist mit unserer Wirtschaftsordnung nicht vereinbar. Die EU-Kommission versucht hier wieder, ihre Kompetenzen zu überschreiten.“

Die Pläne seien nicht zu Ende gedacht. „Sollten die Unternehmen gezwungen werden, auf die Gaslieferungen aus den Take-or-Pay-Verträgen zu verzichten, aber vertragsgemäß zu bezahlen, so hätte Russland sowohl das Gas als auch das Geld. Der Steuerzahler und Energiekunde hat dann weder das Geld, noch das Gas. Denn ohne Entschädigungen für die Unternehmen wird das nicht gehen.“

Kotré kommt zu dem Fazit: „Der ganze REPowerEU-Plan ist unverantwortlich und instrumentalisiert die Ukraine-Krise, um die Agenda der Zentralplaner und Klimaideologen durchzusetzen.“



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