Klagewelle bei Diesel-Pkw? EuGH erlaubt Schadenersatz

Rechtsanwalt Claus Goldenstein spricht von einem „Sensationsurteil“. Der Europäische Gerichtshof hat sein Urteil im Diesel-Prozess gefällt. „Millionen Menschen könnten profitieren.“
Im März 2022 wurden unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges alle Spritpreisrekorde pulverisiert - Diesel kostete im bundesweiten Tagesdurchschnitt zeitweise 2,321 Euro pro Liter.
DieselFoto: Axel Heimken/dpa
Epoch Times21. März 2023

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Autokäufer können gegenüber dem Hersteller einen Anspruch auf Schadenersatz haben, wenn ihnen wegen einer im Fahrzeug verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist.

Das EU-Recht schütze die Interessen des einzelnen Käufers, antwortete der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am Dienstag auf Fragen des Landgerichts Ravensburg. Dieses muss über eine Klage gegen Mercedes-Benz wegen des Thermofensters nun selbst entscheiden. (Az. C-100/21)

Mit dieser in vielen Modellen verschiedener Hersteller verwendeten Technik wird die Abgasreinigung in Dieselfahrzeugen abhängig von der Außentemperatur gesteuert. Der EuGH entschied bereits in einem früheren Urteil, dass es sich beim Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle – ließ aber Ausnahmen zum Schutz des Motors vor plötzlichen Gefahren zu.

Bislang waren Schadenersatzansprüche wegen des Thermofensters in Deutschland höchstrichterlich verneint worden, da es sich dabei nicht um vorsätzliche Schädigung handle. Der EuGH erklärte nun, die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten müssten Vorschriften über Schadenersatz festlegen.

Rechtsanwalt Claus Goldenstein stuft die Entscheidung des EuGH als „Sensationsurteil“ ein. In der „Welt“ sagte er: „Diese Entscheidung vereinfacht die Durchsetzung von Abgasskandal-Ansprüchen für betroffene Verbraucher enorm. Von dem heutigen Urteil können europaweit Millionen Menschen profitieren.“

Klagewelle droht

Den Luxemburger Richtern zufolge schützt das Unionsrecht neben allgemeinen Rechtsgütern auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller. Demnach ist für einen entsprechenden Anspruch keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nötig – Fahrlässigkeit genügt. Die Mitgliedstaaten müssten vorsehen, dass der Käufer eines solchen Fahrzeugs gegen den Hersteller einen Anspruch auf Schadensersatz habe, so der EuGH. 

Nach dem Urteil könnte eine neue Klagewelle drohen, da der Bundesgerichtshof (BGH) Schadensersatzansprüche ausschließlich wegen des Thermofensters bislang generell abgelehnt hatte. Allein beim BGH sind im Moment mehr als 1.900 Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden anhängig, die deutliche Mehrzahl waren wegen des erwarteten EuGH-Urteils erst einmal zurückgestellt worden.

Was bisher geschah

Eigentlich sind viele Fragen zu den Ansprüchen betroffener Autofahrer längst höchstrichterlich geklärt. Dem Grundsatz-Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Mai 2020 folgten zahlreiche Entscheidungen aus Karlsruhe zu allen möglichen Einzelaspekten.

Dreh- und Angelpunkt war immer die Annahme, dass Diesel-Kläger dann Anspruch auf Schadenersatz haben, wenn sie vom Hersteller der Autos bewusst und gewollt auf sittenwidrige Weise getäuscht wurden.

Diese Voraussetzungen sieht der BGH bisher allein beim VW-Skandalmotor EA189 erfüllt. Denn hier wurde eine Betrugssoftware so programmiert, dass die Autos in Behördentests weniger giftige Abgase ausstießen als tatsächlich im Straßenverkehr. Betroffene konnten ihr Auto zurückgeben, mussten sich aber auf den Kaufpreis die Nutzung anrechnen lassen. Wer zu viel gefahren ist, geht leer aus.

Worum es jetzt geht

In vielen weiteren Diesel-Autos auch anderer Hersteller funktioniert die Abgasreinigung ebenfalls nicht durchgängig gleich gut. Auf Diesel-Klagen spezialisierte Anwaltskanzleien sind der Ansicht, dass auch diese Funktionalitäten unzulässige Abschalteinrichtungen sind.

Ein Beispiel ist das sogenannte Thermofenster: Ein Teil der Abgase wird eigentlich direkt wieder im Motor verbrannt. Je nach Außentemperatur wird dieser Mechanismus allerdings automatisch gedrosselt – um den Motor zu schützen, wie die Hersteller sagen. Kritiker werfen ihnen vor, auch hier darauf geschaut zu haben, dass die Autos die Grenzwerte vor allem unter Test-Bedingungen einhalten.

Nach den BGH-Kriterien gibt es deshalb keinen Schadenersatz. Denn hier wird auf dem Prüfstand kein Schummel-Modus aktiviert, die Technik funktioniert immer gleich. Die Karlsruher Richter haben deshalb schon mehrere Thermofenster-Klagen gegen Daimler abgewiesen.

Ein Richter am Landgericht Ravensburg hält das für falsch und hat am BGH vorbei den EuGH eingeschaltet.

Das Luxemburger Verfahren betrifft ein Thermofenster von Mercedes-Benz. Auswirkungen wären aber auch für andere Autobauer und Abschalteinrichtungen zu erwarten. Am Stuttgarter Oberlandesgericht ruht beispielsweise ein Musterverfahren zu anderen Komponenten der Abgastechnik bei Mercedes.

Was erst einmal offen bleiben dürfte:

Der EuGH spricht keine abschließenden Urteile. Seine Entscheidungen müssen im jeweiligen nationalen Recht umgesetzt werden. Der „Dieselsenat“ des BGH hat für den 8. Mai bereits eine Verhandlung terminiert, in der er die sich „möglicherweise ergebenden Folgerungen für das deutsche Haftungsrecht“ erörtern will, um den unteren Instanzen möglichst schnell Leitlinien an die Hand zu geben. Hier geht es um einen VW-Motor, unter anderem mit einem Thermofenster.

Eine wichtige Frage wäre vermutlich, wie viel Geld betroffenen Autokäufern zusteht – ist der Schadenersatz bei Fahrlässigkeit genauso zu bemessen wie bei vorsätzlichem Betrug? Auch davon dürfte es abhängen, ob auf die Autobauer eine neue Klagewelle zurollt.

Wegen des VW-Skandalmotors EA189 sind Hunderttausende Autofahrer in Deutschland finanziell entschädigt worden. Bei anderen Motoren und Marken ist die Sache komplizierter.

(afp/dpa/mk)



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