Kündigungsschutz – eine vom Aussterben bedrohte Art

Institut Arbeit und Technik zu den Konsequenzen der in der Koalitionsverhandlungen diskutierten Änderungen
Epoch Times11. November 2005

Wenn der Kündigungsschutz – wie in den Koalitionsverhandlungen diskutiert – gelockert wird, wäre im Ergebnis lediglich eine knappe Mehrheit der Beschäftigten noch von den Bestimmungen erfasst. Derzeit ist von einem „kündigungsschutzfreien Raum“ von etwa 30-35% der Beschäftigten auszugehen. Dieser würde also deutlich ausgeweitet, was ja beabsichtigt ist. Ob diese Lockerung aber zu mehr Beschäftigung führt, ist fraglich. Tatsächlich könnten neue Probleme auf dem Arbeitsmarkt entstehen und die beabsichtigte Wirkung in ihr Gegenteil umschlagen. Zu diesem Schluss kommt der Arbeitsmarktforscher PD Dr. Matthias Knuth, Wissenschaftlicher Geschäftsführer am Institut Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen).

Polarisierung zwischen "Insidern" und "Outsidern"

Frauen sind heute und wären in Zukunft überproportional betroffen, weil sie eher in kleineren Betrieben beschäftigt sind und den größten Anteil der geringfügig Beschäftigten stellen. Deren Arbeitsverhältnisse schlagen mehr als doppelt so schnell um wie die voll sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. Die Ausnahme vom Kündigungsschutz würde künftig für viele nicht mehr etwas Vorübergehendes sein, sondern große Anteile der Beschäftigten hätten überhaupt keine Aussicht mehr, in den vom Kündigungsschutz erfassten Bereich zu kommen. „Dadurch würde die viel beklagte Polarisierung zwischen „Insidern“ und „Outsidern“ vertieft“, so Knuth. Die Bereitschaft der Beschäftigten, Kritik und Verbesserungsvorschläge vorzubringen und an arbeitssparenden Innovationen mitzuwirken, würde voraussichtlich leiden. Die Arbeitnehmer werden den Betriebswechsel scheuen, weil sie ihren Kündigungsschutz für längere Zeit aufgeben bzw. die Frist wieder von vorne beginnt. Durch die jüngsten Reformen der Arbeitsmarktpolitik sind die Risiken für den Lebensstandard im Falle von Arbeitslosigkeit erheblich gewachsen. Im Ergebnis wird die viel beschworene Mobilität der Arbeitnehmer leiden, denn die freiwillige Mobilität ist für den Austausch am Arbeitsmarkt bedeutsamer als die erzwungene.

Kündigungsschutz im internationalen Vergleich

In Deutschland schlägt jährlich gut ein Viertel der Beschäftigungsverhältnisse um, die Hälfte aller neu begonnenen Beschäftigungsverhältnisse ist nach gut einem Jahr schon wieder beendet, und im Durchschnitt blicken Arbeitnehmer bei ihrem Ausscheiden aus einem Betrieb auf 5-6 Jahre Betriebszugehörigkeit zurück. Der deutsche Arbeitsmarkt kann es daher hinsichtlich seiner Bewegungsdynamik durchaus mit Ländern wie Dänemark, USA oder Großbritannien aufnehmen. Entgegen der deutschen Selbstwahrnehmung steht Deutschland beim rechtlichen Bestandsschutz von Arbeitsverhältnissen im internationalen Vergleich keineswegs an der Spitze. Nach der Einstufung der OECD von 2003 haben in Europa Portugal, Spanien, Griechenland, Frankreich, Schweden, Norwegen und Belgien strengere Regelungen als Deutschland. Diese Einstufung erfolgte vor der Anhebung der Kleinbetriebsschwelle von 5 auf 10. In der Liste befinden sich mit Frankreich, Norwegen und Schweden Länder, deren Beschäftigungsentwicklung günstiger ist als die deutsche.

Auch "Größenschwelle 20" kann Einstellungen behindern

Die Anhebung der „Kleinbetriebsschwelle“ von 5 auf 10 Beschäftigte wurde 2003 damit begründet, dass das drohende „Hineinwachsen“ in den Kündigungsschutz Betriebe von Einstellungen abhalten würde. An der Schwelle von 5 hatte dieses Argument wenig Überzeugungskraft, da in Kleinstbetrieben formelle Regelungen nur sehr begrenzte Bedeutung für das Handeln von Arbeitgeber und Arbeitnehmern haben. Je höher man aber die Größenschwelle setzt, desto eher ist zu erwarten, dass personalpolitische Strategien von derartigen Kriterien beeinflusst werden. Es handelt sich hier also um eine Medizin, die die Symptome verschlimmert, die sie zu bekämpfen vorgibt. Ist die Größenschwelle erst einmal bei 20, wird man dieses bald entdecken, und wenn der Kündigungsschutz sowieso nur noch etwa die Hälfte der Arbeitnehmer betrifft, wird man ihn bald als ein ungerechtfertigtes Privileg hinstellen.

Keine wissenschaftlichen Befunde

Es ist nachvollziehbar, wenn manche Arbeitgeber den gerichtsfesten Vollzug des Kündigungsverfahrens als schwierig empfinden und den Kündigungsschutz als Teil bürokratischer Belastungen ansehen. Abgesehen davon, dass auch notwendige Beschränkungen von Handlungsfreiheit bei den davon Betroffenen immer unbeliebt sind, sollte man genauer untersuchen, welche Verfahrensrisiken die bestehenden Regelungen enthalten und ob die Risikoverteilung zwischen den Parteien angemessen ist. Die letzte umfassende wissenschaftliche Untersuchung über Kündigungsschutz und Kündigungsschutzpraxis in Deutschland liegt 25 Jahre zurück. Der internationale Vergleich von Kündigungsschutzregelungen und Beschäftigungsentwicklung hat die Behauptung, weniger Kündigungsschutz erhöhe die Beschäftigung, nicht erhärten können. „Bisherige „Lockerungen“ des Kündigungsschutzes in Deutschland haben nachweislich nicht zu mehr Beschäftigung geführt. Die mutmaßlichen Koalitionäre können insofern ihre Versprechungen nicht auf wissenschaftliche Befunde stützen“, stellt der Arbeitsmarktforscher klar.

idw-online



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