Wenn die Lämmer schweigen – Deutschlands Weidetierhaltung in Gefahr

Der Wolf macht den Tierhaltern mancherorts in Deutschland schwer zu schaffen. Immer wieder werden verendete Tiere gefunden. Manche Schäfer stehen kurz vor dem Resignieren.
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Nicht überall können Schafe friedlich grasen.Foto: iStock
Von 11. Juni 2022

Blökende Lämmer, grasende Schafe, frische Luft. So sieht es üblicherweise aus, wenn Kai Mithöfer mit seinen Tieren Landschaftspflege betreibt. Als der Schafzüchter aus dem Kreis Osnabrück jedoch Ende Mai auf die Weide ging, gab es ein schlimmes Erwachen. In die Enge getrieben lagen tote und schwer verletzte Schafe, die sich teilweise gegenseitig in Panik totgetrampelt haben, dicht an dicht am Zaun, der eigentlich dem Schutz der Herde dienen sollte.

„Gestern noch nichts, alles vorbildlich eingezäunt“, schildert der Mann in seinem auf YouTube hochgeladenen Video. „Guckt euch dieses Elend hier mal an“, schimpft er verzweifelt. Ein Blick in die Ferne zeigt: „Dahinten liegen auch noch welche. Wir wissen noch gar nicht, wo wir sie alle suchen müssen.“ Und: „Wir können jetzt gerade erstmal einen Tierarzt holen“, so sein Fazit.

Über 60 Schafe der Herde mit 250 Tieren sind nach Aussage des Schäfers über Nacht einem Wolfsangriff zum Opfer gefallen – darunter 20 hochtragende Muttertiere samt ihren Lämmern. Sieben Lämmer waren verschollen; 18 Tiere wurden zu früh geboren und waren nicht überlebensfähig, berichtet „agrarheute“ . Der Schock bei Mithöfer sitzt tief. Der elektronische Herdenschutzzaun von 1,08 Meter Höhe konnte seine Tiere nicht retten. „Ein Wolf allein hätte die Tiere nicht so stark in die Enge treiben und sieben Lämmer verschleppen können.“

Kein Einzelfall. Immer wieder berichten Weidetierhalter über ähnliche Vorfälle. Das sei ein Gefühl zwischen Hilflosigkeit und Hass, beschreibt ein Tierhalter einen solchen Anblick. Manche seiner Schafe mussten aufgrund ihrer schweren Verletzungen vom Tierarzt eingeschläfert werden. Doch bis man diesen überhaupt erreicht, vergehe Zeit, manchmal viel Zeit – ein Leid für Tier und Halter.

„Wir können die Welt nicht mit Herdenschutzzäunen zupflastern“, klagt ein Tierhalter in einem Interview mit dem Deutschen Bauernverband. Schließlich leben auf den Weiden auch noch andere Tiere. „In unserem Zaun haben sich schon zweimal Rehe stranguliert“, schildert ein weiterer. Im Frühjahr bei der Krötenwanderung hängen dann Kröten in den Zäunen. Durch die Zäune erst hätten die Wölfe die Möglichkeit, die Tiere überhaupt in die Enge zu treiben, kritisiert ein anderer Schäfer.

Ein weiteres Problem: Der Wolf lernt immer wieder dazu. Dabei wird ihm die menschliche Umgebung immer vertrauter. „Wenn es so weiterläuft wie momentan […] und der Wolf nicht aktiv vergrämt wird und wieder lernt, Scheu vor dem Menschen zu haben und die Nutztiere zu meiden, dann sehe ich die Weidetierhaltung in Deutschland in Gefahr“, sagt eine betroffene Tierhalterin.

Wildexperte: Handeln statt beobachten

Ähnlich sieht es auch Professor Sven Herzog. Der Experte für Wildökologie und Jagdwirtschaft der TU Dresden sagte gegenüber der „Bauernzeitung“, der Wolf könne im Grunde genommen überall leben. „Er ist weltweit unter den Wildtieren eine der häufigsten, vielleicht sogar die häufigste Raubtierart und kann alle Lebensräume vom Hochgebirge Zentralasiens bis in die Großstädte Mitteleuropas besiedeln. Wichtig ist, dass Nahrung vorhanden ist und keine unkontrollierte Verfolgung stattfindet.“

Klar sei auch: „Wir Menschen brauchen wiederum scheue Wölfe; Wölfe, die nicht von Generation zu Generation ein klein wenig mehr lernen, dass in der Nähe von Menschen am leichtesten Nahrung zu beschaffen ist, sei es in Form von Abfällen oder in Form von Nutztieren.“

Laut Herzog ist das Wolfsmanagement in Deutschland „derzeit ausgesprochen passiv aufgestellt“. Man beobachte und beobachte und reagiere mit Entschädigungszahlungen und Zäunen. „Das wird langfristig dazu führen, dass Wölfe zunehmend weniger scheu sein werden und die Probleme und Konflikte zunehmen“, befürchtet der Jäger. Ideologie und Stimmungsmache würden nicht weiter helfen – faktenbasiertes Handeln schon.

„Ich habe immer noch die Hoffnung, dass es gelingt, Wölfe irgendwann einmal als ganz normale Wildtiere zu betrachten und auch so zu behandeln“, so Herzog.

Wolfsproblem in Schweden

Auch in Schweden sieht man sich zunehmend mit dem Wolf konfrontiert. In einigen Landesteilen haben die Wolfsrisse nach Schätzung des schwedischen Bauernverbandes (LRF) seit 2018 derart zugenommen, dass Schäfer ihre Tierhaltung aufgegeben haben.

Der aktuelle Wolfsbestand liege längst deutlich über den Zahlen, die die schwedische Umweltbehörde zum Erhalt der Population festgelegt habe, äußerte der LRF-Vorsitzende Palle Borgström laut „agrarheute“.  Er begrüßte die Initiative der Regierung, jeden zweiten Wolf abzuschießen. Auf diese Weise soll der aktuelle Bestand von 400 Tieren verringert werden.

Auch in Deutschland wird viel über das Thema diskutiert. Im Januar 2022 lehnte der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages mehrheitlich Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Wolfs in Deutschland ab. Kritik daran äußert der Vorsitzende des Fördervereins der Deutschen Schafhaltung, Wendelin Schmücker. Die Regierung habe zu wenig Problembewusstsein. Schmücker zog einen Vergleich mit Schweden, das ein Viertel größer als Deutschland ist. Schweden habe „längst einen günstigen Erhaltungszustand von 300 Wölfen definiert.“

Der Deutsche Bauernverband schätzte die Wolfspopulation im Jahr 2020/21 auf etwa 1.300 bis 2.300 Tiere, Tendenz steigend. Für 2021/22 geht der Bauernverband bei einer etwa 27-prozentigen Zuwachsrate, von 1.500 bis 2.700 Tieren hierzulande aus.

Am 11. Juni findet in der Zeit von 13.15 bis 15.15 Uhr der „Praxis-Talk: Nachbar Wolf – Wie gelingt das Zusammenleben?“ statt. Die von Farm & Food 4.0, Bauernzeitung und Landakademie organisierte kostenlose Veranstaltung wird in hybrider Form durchgeführt. Einer der Gesprächspartner ist Professor Herzog.



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