Ein besonderes Erlebnis bei den Maori

Ein Deutscher erlebt Tangi – Die Totenfeier
Titelbild
In Neuseeland nehmen Marae eine besondere Bedeutung ein. Es ist das Versammlungshaus eines Maori-Iwi (Stamm). Die meisten Stämme (Iwi), Unterstämme (Hapu) und sogar viele kleine Maori-Gemeinschaften haben ihr eigenes Marae. Hier werden alle kulturellen und gesellschaftlichen Aktivitäten abgehalten. Für viele Maori ist das lokale Marae genau so wichtig wie ihr eigenes Haus. (Foto: Werner Krieger)
Von 6. Februar 2007

Wir leben nun seit 15 Jahren in Neuseeland und haben in dieser Zeit viel von den Maori gelernt und einiges miterlebt. Aber bei einem Tangi waren wir bisher noch nicht. Nun starb die Frau eines der Mitglieder bei Topis (Organisation von Bio-Bauern) und da dieser Mann, ebenso wie ich, ein Mitglied des geschäftsführenden Komitees ist, sind wir zur Beerdigung seiner Frau gegangen. Ich habe selten so tiefe Gefühle erlebt und habe gleichzeitig schon lange nicht mehr so gelacht. Aber eins nach dem anderen.

Marae – Das Versammlungshaus

Die Maori haben ein Versammlungshaus, in dem allen wichtigen Ereignisse stattfinden. Es heißt Marae. Die Verstorbenen werden dort drei Tage bis zur Beerdigung aufgebahrt. Während dieser Zeit wird der Tote niemals allein gelassen. Da die Maori riesige Familien haben und meist auch ebenso viele Freunde, ist hier ein reges Kommen und Gehen. 20 bis 30 Leute sind fast immer anwesend. Auch während der Nacht sind immer reichlich Leute da, man schläft mit dem Toten im Marae, auf Matratzen. Es geht während dieser Zeit nicht immer nur ernst zu, es wird auch gelacht und es werden Geschichten erzählt. Besonders die Abende und die Nächte sollen ein sehr starkes Erlebnis sein, aber über Nacht wir waren noch nicht mit dabei.

Am Tag der Beisetzung kommen dann alle Freunde und Verwandten gleichzeitig. In diesem Fall waren es mehr als 200 Leute. Vor dem Marae werden nun eine halbe oder auch eine ganze Stunde lang von den Ältesten Reden gehalten. Dann wird im Marae der Sarg geschlossen. Dabei klagen die Frauen so herzzerreißend, dass es über das ganze Gelände schallt. Dann wird der Sarg ins Auto gebracht und die nächsten Angehörigen, in diesem Falle der Mann und die erwachsenen Kinder fahren im gleichen Auto (Kleinbus) mit. Immer noch wird der Tote nicht allein gelassen.

Im Reich der großen Nacht

Auf dem Sarg liegt ein heiliger Umhang (Cloak), gewoben aus Pflanzenfasern und vielen bunten Vogelfedern. Dieser Cloak gehört zum Marae, ist also der Besitz des ganzen Stammes (meist ist es ein Sub-Tribe, nicht der ganze Stamm, denn die Stämme haben oft Tausende von Mitgliedern). Mit diesem Cloak hat es eine besondere Bewandtnis, doch davon später.

Man fährt nun in langer Wagenkolonne hinter dem Sarg her zum Friedhof. Am Friedhof gibt es nun eine interessante Zeremonie: Vom Eingang des Friedhofs bis zur Grabstätte stehen die „Willkommensfrauen“, in schwarz gekleidet, Kränze von immergrünen Zweigen auf dem Haupt und Zweige in der Hand haltend. Wenn der Sarg hereingetragen wird, singt jede der Frauen, so wie der Sarg an ihr vorbeizieht, den Willkommensgruß. Diese schwarzen Frauen sind das Sinnbild für Hine-nui-de-Po (Die Frau der großen Nacht). Der Tote wird von ihnen also im Reich der großen Nacht begrüßt. Das geht ziemlich unter die Haut.

Wenn der Sarg im Grab liegt, kommen die Angehörigen und dann später alle anderen zum offenen Grab und werfen etwas Erde hinein, genauso wie bei uns auch. Aber es wird lange am Grab verweilt, viele sagen etwas, einige singen auch, besonders die näheren Angehörigen. Es wird viel geweint, auch die Männer weinen oft und viel, man nimmt sich in den Arm (auch die Männer) und tröstet sich. Bei so vielen Menschen dauert das alles sehr lange, diesmal drei Stunden bis zu dieser Stelle.

Cloak – Träger des Geistes

Bevor der Sarg in die Erde gesenkt wird, nimmt man den Cloak vom Sarg und der nächste Nachkomme übernimmt ihn, hängt ihn sich über. Während der ganzen Zeremonie trägt nun dieser Angehörige diesen Cloak. Der Geist (Spirit) des Verstorbenen ist in diesem Kleidungsstück.

Bis zu diesem Punkt der Feier, also der eigentlichen Beisetzung, kann jeder kommen. Für den privaten Teil muß man eingeladen werden, denn dieser Teil ist sehr intim. Wir fühlten uns sehr geehrt, eingeladen zu werden. Wir waren die einzigen Pakeha (Weißen) unter all den vielen Maori!

Zurück im Marae

Nach der Beisetzung geht es wieder zum Marae (Versammlungshaus) zurück. Dort heißen die Frauen die Gäste mit einem Gesang willkommen und man betritt nun das Marae und setzt sich an den Wänden entlang hin. Die Frau mit dem Cloak (heiliger Umhang aus Pflanzenfasern und Vogelfedern) hat nun den Spirit (Geist) der Verstorbenen ins Marae zurückgebracht. Begleitet von anderen nahen Angehörigen geht sie nun auf die Ältesten zu, kniet nieder und legt den Cloak wieder ab. Der Älteste nimmt den Spirit der Toten mit Gebeten von ihr. Die junge Frau, die den Cloak getragen hatte, war wie in Trance. Sie konnte kaum gehen, so hat sie das Erlebnis gepackt. Der Cloak wird nun wieder im Marae aufbewahrt. Die Tote ist nun in die Reihe der Ahnen aufgenommen.

Whare tipuna – Haus der Ahnen

Das Marae wird auch Whare tipuna genannt (Haus der Ahnen), denn es versinnbildlicht die Vorfahren. Die Ständer sind die Rippen, der First ist die Wirbelsäule. Die Türe ist die Scheide, durch die man zu den Vorfahren eintritt. Deshalb dürfen auch nur Frauen das Willkommen singen. Ohne das Willkommen darf man das Marae nicht betreten. Früher hatte jedes Marae zahlreiche Schnitzereien, welche die Vorfahren darstellten. Heute hängt man nur noch ein Foto der Verstorbenen auf. Schade! Die Kirche hat diese alten Sitten vernichtet und als heidnisch abgetan. Einige sehr reiche Maraes gibt es noch und auch die neuen werden wieder in alter Weise gebaut, also mit Schnitzereien der Vorfahren anstelle der Fotos.

Stimmungswechsel mit Tanz und Gesang

Nun gibt es wieder viele Reden der Ältesten, die von den nächsten Familienmitgliedern beantwortet werden. Bis dahin war alles noch sehr würdig. Inzwischen ist es ca. 13.30 Uhr geworden (der Beginn war um zehn Uhr). Auf einmal schlägt die Stimmung um.

Es kommt eine Sing- und Tanzgruppe und es werden lustige Lieder gesungen. Zwischendurch wieder eine kleine Rede, alles in Maori, sodass wir kaum folgen können. Aber man kann daraus schließen, dass es Schalkreden gewesen sind, denn es wird viel gelacht.

Der „Zweikampf“

Und dann hat einer der Ältesten unseren Freund Joe, also den Witwer, zum Zweikampf aufgefordert. Diese Art des „Kampfes“ ist eine Art Spiel. Es ist ähnlich wie das bei uns bekannte Knobeln mit Papier, Schere und Stein. Die Gegner versuchen hier allerdings auf sehr dramatische Weise ihren Gegner zu verwirren oder zu beeinträchtigen durch viel Geschrei, drohende Gesten und Gebärden, aber alles ohne sich gegenseitig zu berühren. Auf ein Kommando hin wird dann das Symbol gezeigt und es gibt einen Gewinner und einen Verlierer. Dieses Spiel ist unheimlich lustig, denn es wird mit viel Temperament gespielt. Je mehr man sich hineinsteigert, umso mehr Gelächter erzielt man. Der eigentlich Gewinner ist also der, welcher am imposantesten Gestikulieren kann und der die Leute am meisten zum Lachen bringt. Auf die Stimmung kommt es also an, nicht auf das Gewinnen. Am Schluss nehmen sich beide in den Arm und alle freuen sich.

Das Leben geht weiter

Zwei junge Mädchen sind dann singend und tanzend in die Mitte des Saales gekommen, ohne Zweifel ein sehr aufreizender und sinnlicher Tanz. Und dann sind noch zwei ältere Frauen dazu gekommen, so um die 60, ihre Beine zeigend und mit dem Hintern wackelnd. Das alleine ist schon eine Schau für sich gewesen. Sie sind auf den Witwer losgetänzelt und haben ihn in die Mitte geholt. Alle vier Frauen haben ihn dann umgarnt, zwar immer noch halbwegs „anständig“, aber schon sehr deutlich. Der Witwer hat natürlich mitgemacht und all das hat größte Heiterkeit hervorgerufen. Der Sinn des ganzen ist klar: Komm zurück zum Leben, das Leben geht weiter.

Für uns fast unglaublich, noch vor einer Stunde tiefste Trauer und viele Tränen. Und dann dieser Umschwung. Weiter geht es mit lustigen Liedern und Tänzen. Anschließend wurde noch ein gemeinsames Mahl eingenommen. Sicher mag es dann noch lange weiter bis in den Abend hinein weitergegangen sein. Müde geworden haben wir uns dann verabschiedet, die Heimfahrt würde auch noch eine Stunde dauern.

Eine Trauerfeiert dauert also tatsächlich drei Tage und Nächte ohne Unterbrechung. Der Verstorbene wird ehrenvoll verabschiedet. Aber auch die Hinterbliebenen werden mit viel Liebe und Gespür wieder ins normale Leben zurückgeführt, nachdem man ausführlich getrauert hat. Dieses Erlebnis hat uns sehr tief berührt. Wie arm sind doch wir im Gegensatz hierzu mit unseren steifen Feiern! Jedenfalls habe ich das so empfunden.



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