Die Farben der Städte: Ein Forscher geht auf Reisen

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Der Professor für Farbenlehre am Fachbereich Gestaltung der Hochschule Mainz hat entlang des 26. Längengrades 22 europäische Städte bereist und deren individuelle Farbsignaturen ermittelt.Foto: Andreas Arnold/dpa
Epoch Times12. Oktober 2016

Mainz/Bonn (dpa) – Jede Stadt hat ihr Gesicht – und ihre Farben. Wer eine Stadt erkundet, stellt fest, dass ein Ort auch durch die Farben seiner Gebäude geprägt wird. Der Mainzer Forscher Markus Pretnar wollte das genauer wissen. Gibt es so etwas wie eine Farbheimat in Städten, die uns prägt?

Um das herauszufinden, machte er im vergangenen Jahr eine Reise vom Nordkap bis nach Athen. Der Wissenschaftler wählte sich den 26. Längengrad als längste Landverbindung von Nord nach Süd aus, zog einen 200-Kilometer-Radius und wählte Städte wie Helsinki, Riga, Minsk, Bukarest und Athen aus. Die griechische Hauptstadt war ein kleiner geografischer Ausreißer.

Pretnar startete am 24. Mai in Norwegen und reiste über Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Weißrussland, die Ukraine, Rumänien und Bulgarien nach Griechenland. „Ich habe 22 Städte auf dem 26. Längengrad in zwölf gleiche Teile unterteilt und eine Flut an Bildern geschossen“, berichtet der Professor für Innenraumentwurf und Farblehre. Signifikante Orte wie Bahnhofsvorplätze, die Orte, an denen Google Earth den „Pin“ setzt, Fußgängerzonen, Neubauviertel und Sehenswürdigkeiten nahm er im 360-Grad-Panorama auf und erstellte dann Farbkarten. „Die Aufnahmen habe ich im Computer auf die häufigste Farbigkeit und auf deren proportionale Verteilung reduziert.“ Am 12. August war die Reise in Athen zu Ende.

Was kam heraus? „Der wichtigste Aspekt ist, dass Städte durchaus eine farbliche Identität besitzen“, sagt der Experte. „Der Ausdruck der Farbigkeit, die Farbfamilie, wenn man es so nennen will, hält sich nicht an nationale oder willkürlich gesetzte Grenzen. Sie überspielt zum Teil auch Sprachräume.“ Es gibt nach seiner Ansicht Muster – von bunt in Helsinki bis hell in Athen. „Vor allem die skandinavischen Länder bis in den baltischen Raum haben ganz häufig eine fast klischeehafte Farbgebung in Rot, Grün, Blau und Curry.“ Je weiter südlich man kommt, umso heller wird es, fand er heraus, umso schwerer zu erfassen sind aber auch die Farben.

Städte in Deutschland haben ebenfalls ihren eigenen Farbcharakter. Wer in Norddeutschland unterwegs ist, trifft vielfach auf roten Backstein, im Sauerland sind viele Häuser aus schwarz-weißem Fachwerk, in Frankfurt, Mainz und Würzburg finden sich rote Gebäude aus Mainsandstein, (nicht nur) im Süden sind zahlreiche Altstädte bunt. Die Farbgebung ist meist historisch gewachsen, die Kommunen haben aber auch Einfluss darauf, wie es aussieht. Der Hildesheimer Professor Markus Schlegel sprach in der Textsammlung „Stadtfarben“ (2013) von „Farbmasterplanung“, um einen Stadtraum strategisch und zukunftsfähig zu planen.

„Aus der Sicht der Stadtentwicklung spielt die Farbgebung eine nicht zu unterschätzende Rolle“, sagt Bernd Düsterdiek, Chef des Referats Stadtentwicklung beim Deutschen Städte- und Gemeindebund in Bonn. „Die Kommunen achten bei der Stadtplanung darauf, dass nicht nur die Bausubstanz passt, sondern auch die äußere Gestalt von Gebäuden.“ Das Städtebaurecht gebe ihnen zudem Möglichkeiten, um Einfluss auf die Farbgebung zu nehmen. Neben Bebauungsplänen können die Städte Satzungen zur Gestaltung erlassen, die Dachneigung, Dachmaterialien, aber auch Fassadengestaltung und Farbgebung mit einbeziehen. „Damit beispielsweise in einer Sauerländer Fachwerksiedlung nicht plötzlich ein „lila Haus“ auftaucht“, sagt Düsterdiek.

Ein großer Teil der historischen Altstädte hat nach seinen Angaben eigenständige Satzungen zur Gestaltung oder für Denkmäler erlassen, um Einfluss zu nehmen. „Bekannte Imbissketten tragen zum Beispiel in manchen historischen Ortskernen nicht ihre markant-bunten Werbetafeln, sondern nutzen aufgrund der kommunalen Vorgaben farblich an die historische Umgebung angepasste Firmenlogos“, sagt Düsterdiek. Auch für Neubauten können spezielle Satzungen erlassen werden. „Allerdings findet man oft Bestandsgebäude aus den 50er bis 70er Jahren vor. Die sind so, wie sie sind.“

Pretnar versucht, Wege zu finden, wie eine zeitgemäße, vielleicht intuitive Farbgestaltung auch im Innenraum angegangen werden kann. „Gut gelaunte Menschen haben ein intensiveres Farbempfinden, depressive Menschen sehen die Welt weniger farbig“, sagt er. Auf seiner Reise hat er nicht nur bunt und hell kennengelernt: Auch grau gehört dazu. Man könne für eine Stadt nicht nur einen Farbkanon historischer Gebäude anlegen, sagt er. „Mainz ist nicht nur der Dom, Frankfurt ist nicht nur der Römer, sondern auch die Nordweststadt.“



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