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Wissenschaft trifft Magie

Diente Alchemie gar nicht der Herstellung von Gold und Unsterblichkeit?

Die Alchemie ist etwas zwischen Gebeten im Labor und chemischen Experimenten. Ein Blick in das heute als Pseudowissenschaft bezeichnete Gebiet zeigt, dass sich die hellsten Köpfe der Geschichte zu ihr hingezogen fühlten.

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„Eine illuminierte Seite aus einem Buch über alchemistische Verfahren und Rezepte“, ca. 15. Jahrhundert.

Foto: Wellcome Library, London, CC BY 4.0

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Lesedauer: 11 Min.


In Kürze:

  • Alchemie gilt heute als Pseudowissenschaft und ist für die Verwandlung von Blei in Gold oder der Herstellung von Unsterblichkeitselixiere bekannt.
  • Einige der bedeutendsten Wissenschaftler der Menschheitsgeschichte wie Sir Isaac Newton praktizierten die Alchemie.
  • Ein Blick auf ihre Ursprünge zeigt, dass der Mensch nicht nur Metalle veredelte, sondern sich selbst in ein reineres Wesen verwandelte.

 
Wenn man an Alchemie denkt, kommen vielen die beharrlichen Versuche der Menschen im Mittelalter und in der Renaissance in den Sinn, einfache Metalle wie Blei in reines Gold zu verwandeln oder Unsterblichkeitselixiere zu entwickeln, die ewiges Leben garantieren.
Diese Experimente erwiesen sich später als aussichtslos. Damit wurde die Alchemie zu einem Bereich, der heute als Pseudowissenschaft gilt. Einige wenige Menschen sprechen ihr allenfalls noch die Grundlage für die Entwicklung der modernen Chemie zu.
Aber wie lässt sich die Tatsache erklären, dass auch Sir Isaac Newton, einer der bedeutendsten Wissenschaftler der Menschheitsgeschichte, sich intensiv mit Alchemie beschäftigte? Parallel zur Entwicklung der Gravitationsgesetze und der Begründung der klassischen Mechanik widmete Newton einen Großteil seiner Zeit der Erforschung der Alchemie. Doch suchte er nur nach Gold?
Issac Newton beschäftigte sich neben der Physik auch mit Alchemie

Issac Newton beschäftigte sich neben der Physik auch mit Alchemie.

Falsches Bild von der Alchemie

In den vergangenen Jahren haben Forscher und Historiker darauf hingewiesen, dass das heutige Bild über die Alchemie eindimensional und irreführend ist. Der Grund: Es spiegelt nur einen kleinen Teil eines viel größeren Gebietes wider.
So beziehen sich einige alchemistische Texte zur Veredlung des begehrten Goldes auf etwas viel Erhabeneres – und dieses steht mit der menschlichen Seele in Verbindung. Die ersten Texte dazu stammen aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. und sind mit großen Denkern wie dem griechischen Philosophen Demokrit verbunden.
Später tauchten Schriften in der griechischen Welt auf, die den Ursprung der Alchemie ins Alte Ägypten verorten. Als ihre Schöpfer gelten ägyptische Priester, die dem Kult des Hermes Trismegistos dienten – einer Kombination aus Thoth, dem ägyptischen Gott der Weisheit, und dem griechischen Götterboten Hermes. In einigen Schriften wird diese Person sogar mit dem biblischen Mose in Verbindung gebracht.

Das Mosaik aus dem Dom zu Siena, Italien, zeigt Hermes Trismegistos.

Laut Dr. Peter Forshaw von der Universität Amsterdam umfasst die Alchemie drei Hauptbereiche:
  • die Chemie, unter anderem mit den Versuchen zur Umwandlung von Metallen in Gold
  • die Medizin, die sich mit der Verlängerung des Lebens befasste
  • und die spirituelle Ebene, die als die vage und geheimnisvollste galt und sich auf die innere Verwandlung und die Verbindung zwischen dem Menschen und dem Erhabenen konzentrierte.

Die Veredelung des Geistes

In seinem Buch „The emerald tablet: alchemy for personal transformation“ (1999) behauptet Dennis William Hawke, Wissenschaftler im Bereich der Bewusstseinsforschung, dass Alchemie in erster Linie ein spiritueller Prozess der Selbstverbesserung war. Dabei verbindet ein Mensch sein niederes „Ich“ – symbolisiert durch Blei – mit dem Geist und der Seele des Universums – symbolisiert durch Gold.
Auch Dr. André Tramer von der Universität Orsay in Paris ist überzeugt, dass Gold die Rückkehr von Dingen zu ihrer reinen Realität symbolisiert. Nach dieser Auffassung wandten die Alchemisten Techniken an, die als eine Art Verwandlungsprozess dienten. Ihr Ziel war es, die Seele des Alchemisten in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen – zur moralischen und spirituellen Reinheit. Infolgedessen besaß ein alchemistisches Laboratorium manchmal auch einen Ort für Gebete und Rituale.
„Der Alchemist“ (1558)

„Der Alchemist“ (1558), ein Kupferstich nach dem Vorbild von Pieter Bruegel dem Älteren.

Der Historiker Nigel Hamilton beschreibt den alchemistischen Prozess zur Reinigung der Seele genauer und teilt ihn in vier wichtige Stufen ein. Die erste Stufe befasst sich mit der Befreiung von Wut, Angst und der irdischen Identität. Stattdessen soll in Stufe zwei die innere Beobachtung und Herausbildung einer tiefen spirituellen Identität erfolgen. Die dritte Stufe befasst sich mit der Vereinigung von Materiellem und Geistigem und der inneren Offenbarung von Weisheit.
In der letzten Phase – Stufe vier – stammt das innere Wissen nicht mehr aus dem Lernen, sondern aus der Erfahrung – als direkte Offenbarung. Diese Phase stellt gleichzeitig die spirituelle Wiedergeburt dar, in der die Seele zu reinem Gold wird – oder zum legendären Stein der Weisen, den viele Philosophen im Laufe der Jahrhunderte suchten. Andere Autoren schlagen einen ähnlichen Prozess vor, der sogar aus sieben Stufen besteht.

Alchemie als Lebenseinstellung

Prof. Vincenzo Schettino von der Universität Florenz erklärt, dass Newton als gläubiger Mensch nach einer einheitlichen Theorie suchte, die alle Wissensbereiche – von der Physik bis zur Spiritualität – miteinander verband. Ihm zufolge glaubte Newton, dass Alchemie nicht die Umwandlung von Metallen sei, sondern ein Weg, Gott zu verstehen und ihm zu dienen. In „The Correspondence“ schrieb Newton:
„Die Alchemie befasst sich nicht mit Metallen, wie Unwissende glauben, deren Irrtum sie dazu gebracht hat, diese edle Wissenschaft zu verachten […]. Diese Philosophie dient […] zum Gewinn und zur Erhebung, indem sie die Erkenntnis Gottes […] vermittelt […]. Ihr Ziel ist es, Gott in seinen wunderbaren Werken zu ehren und den Menschen zu lehren, wie man gut lebt […]. Diese […] Philosophie findet sich nicht nur in der Natur, sondern auch in der Heiligen Schrift […]. Durch dieses Wissen machte Gott König Salomo zum größten Philosophen der Welt.“

Bildnis von König Salomon, der den „Stein der Weisen“ gekannt haben soll.

Die Psychologin Ruth Netzer weist in ihrem Buch „Reise zum Selbst“ (2004) auf die tiefe Verbindung zwischen der Alchemie und dem Judentum hin. Ihrer Meinung nach wurden alchemistische Schriften biblischen Figuren wie dem Propheten Hosea oder dem als begnadet bezeichneten Handwerker Bezalel zugeschrieben. Jene heilige Kunst, mit der sie sich beschäftigten, sei laut Netzer die Alchemie.
Laut Netzer glaubten zudem Christen im Mittelalter, dass die Propheten und Könige Israels das „Geheimnis des Steins“ kannten. Dies führten sie unter anderem auf die Bedeutung der sogenannten Urim und Tummim zurück – spezielle Orakelsteine, die die Hohepriester in ihren Lostaschen aufbewahrten und im Rahmen ihrer religiösen Handlungen verwendeten. „Alchemisten interpretierten die ersten Verse des Buches Genesis als Ausdruck der gesamten Weisheit der Alchemie“, so Netzer.

Die Heilige Schrift und der Stein der Weisen

Auch König David galt nach Meinung Netzers als Kenner der Alchemie. Sie soll ihm dabei geholfen haben, Gold und Silber für den Bau von Salomons Tempel zu sammeln. Es gibt zudem Geschichten, wonach Salomo den „Stein der Weisen“ kannte und ihn zu erkennen wusste.
„Es wird erzählt, dass die Königin von Saba König Salomo auf die Probe stellte, ob er die Beschaffenheit eines kostbaren Steins erkennen würde, den sie ihm gebracht hatte und der der Stein der Weisen war. Und Salomo, der um das Geheimnis wusste, erkannte ihn sofort.“
Es scheint, dass in der Welt der Alchemie das Verborgene das Offensichtliche überwiegt – und vielleicht sollte es auch so sein. Wenn Gold leicht zu bekommen wäre, hätte es dann wirklich einen Wert? Und wenn der Stein der Weisen einfach zu bekommen wäre, wäre er dann so begehrt?

Das Bronzerelief des Baptis­teriums in Florenz zeigt den König Salomo bei der Begegnung mit der Königin von Saba.

Das wahre Wertvolle

Tatsächlich liegt das Geheimnis der Alchemie vielleicht eher in der Reise als im Ziel. Genauer gesagt in einer inneren Reise der spirituellen Verwandlung, bei der der Mensch nicht Metalle in Gold verwandelt, sondern sich selbst zu einem reineren Wesen. So wie Blei sich in Gold verwandeln kann, so kann auch die Seele – durch Anstrengung, Leiden und innere Suche – sich erheben und in neuem Licht erstrahlen.
In seinem Buch „Studien über alchemistische Vorstellungen“ schreibt der Psychiater Carl Jung, dass der Stein der Weisen kein materielles Objekt ist, sondern ein im „Selbst“ verborgenes Potenzial.
Die chemischen Beschreibungen sind nur ein Code für psychische Symbole. Was wie Reaktionen in einem Schmelzofen erscheint, ist der Prozess einer Verwandlung von innen heraus, in dem das rohe „Ich“ (Ego) zu vollständiger Bewusstheit veredelt wird.
Dieser Artikel erschien im Original auf epoch.org.il unter dem Titel „כשמדען פוגש מכשף – הסוד שמאחורי האלכימיה“. (redaktionelle Bearbeitung kms)
Rakefet Tavor ist Absolventin des Studiengangs Informationssystemtechnik am Technion in Haifa und verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung in der Analyse von Forschungsdaten in wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Derzeit ist sie als Wissenschaftskorrespondentin für Epoch Magazine in Israel tätig.

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