Negativfolgen des Mauerbaus? Die DDR wurde 1962 von der Ruhr heimgesucht

Seuchen gab es schon immer, auch in der DDR. Kurz nach dem Mauerbau hatten sich viele Ostdeutsche mit der Ruhr infiziert. Doch erst eine Woche nach Ausbruch werden die Menschen informiert.
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Am Brandenburger Tor warnte 1965 ein Schild vor dem Verlassen von West-Berlin.Foto: John Waterman/Fox Photos/Getty Images
Von 2. Juli 2020

Es war kurz nach dem Mauerbau. Ende März 1962 klagte eine große Anzahl von Menschen in Ostberlin über Fieber, Darmkatarrh und blutigen Durchfall. Es stellte sich schnell heraus – sie hatten sich mit der Ruhr infiziert. Innerhalb kürzester Zeit breitete sich die Seuche aus, bis zu 100.000 Personen sollen betroffen gewesen sein. Genaue Zahlen sind allerdings nicht bekannt. Es kommt auch zu Todesfällen.

Schon bald sind die Berliner Krankenhäuser überfüllt, Notkrankenhäuser müssen errichtet werden. Dort werden zehntausende DDR-Bürger in Quarantäne gesteckt. Am Eingang aller öffentlichen Einrichtungen stehen Schüsseln mit Desinfektionsmitteln, an denen keiner vorbeikommt, ohne seine Hände da hineinzutauchen.

Die DDR-Regierung schweigt zunächst. Erst über eine Woche nach Ausbruch der Epidemie wird offiziell mitgeteilt, dass sich die Kranken mit der Ruhr infiziert haben. Woher die Erreger kamen, wurde in Ostberlin verschwiegen.

Der westdeutsche „Spiegel“ wusste mehr

Es war der „Spiegel“, der mehr zu wissen schien. Dort schrieb man im April 1962 über den Ausbruch in der DDR: „Zwar entdeckten die Seuchenfahnder sehr schnell die Infektions-Quelle: mit Ruhrbazillen verseuchte Butter, die in der vorletzten Märzwoche in vier Ostberliner Bezirken verkauft worden war. Einzug und Vernichtung dieser Butterbestände jedoch kamen zu spät. Die Seuche breitete sich durch Kontaktinfektion explosionsartig aus.“

Tatsächlich hatte sich die Seuche schnell auf die Berliner Randgebiete und auch den Rest der Republik ausgedehnt. Doch die DDR-Bewohner hatten in ihren Zeitungen vorerst nur andeutungsweise vom Auftreten „infektiöser Darmerkrankungen“ gelesen. Erst nach einer Woche fand sich auf der ersten Seite des SED-offiziellen „Neuen Deutschland“ ein Interview mit dem Medizinalrat Hoeck, „der die Bevölkerung in betulichen Redewendungen zu Vorsicht und gesteigertem Gebrauch von Wasser und Seife ermahnte“, so der Spiegel.

Die verseuchte Butter war offenbar aus der Sowjetunion importiert worden. Doch auch das verschwieg man in den DDR-Medien. „Denn weder das Ansehen des großen sozialistischen Bruders, noch das Ansehen der jungen DDR, die nur wenige Monate zuvor die Grenzen geschlossen hatte, sollte in Mitleidenschaft gezogen werden“, so das Urteil in einem Blog-Beitrag, in dem aktuell über das geschichtliche Ereignis im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie berichtet wird.

Psychologische Kriegsführung

Spiegel schrieb 1962 dazu: „Aus Gründen der psychologischen Kriegsführung hielt es die SED auch für angezeigt, über Ursachen und Ausmaß der Epidemie möglichst lange zu schweigen. Die Propaganda-Spezialisten des Politbüros malten sich aus, zu welchen Vergleichen ausgerechnet eine Ruhrepidemie – die Krankheit der Konzentrationslager – ihre westdeutschen Kollegen beflügeln könnte.“

Doch mit der Ausbreitung der Ruhr stieg der Druck der Ärzte auf den Ministerrat, umfassend zu informieren. In verschiedenen Zeitungen der DDR ermahnte die „Ruhrkommission“ weitere 4 Tage später die Bewohner der DDR zur Einhaltung verstärkter Schutzvorkehrungen:

  • umfangreiche Desinfektionsmaßnahmen,
  • Ein- und Ausreisesperre für Berlin,
  • Besuchsverbot für Krankenhäuser mit Ruhrpatienten,
  • Absage aller größeren Veranstaltungen in Berlin und den anderen betroffenen Gebieten.

In der Berichterstattung musste dabei das vermeintlich gute Image der DDR aufrechterhalten werden. Die ostdeutschen Blätter füllten sich mit Berichten über das gute Gesundheitswesen in der DDR. In Lokalberichten wurde dargestellt, wie besonnen die Ärzte arbeiten und über alle notwendigen Kenntnisse und Mittel verfügen, um die Epidemie zu bekämpfen. Ein Zeitzeuge berichtet, dass sich selbst Jahre nach dem Ausbruch der Seuche jeder in einem Krankenhaus melden musste, sobald er Durchfall bekam.

Ruhr als direkte Folge des Mauerbaus: Vitaminreiche Lebensmittel aus dem Westen fehlten

Mit den vorbildlichen Maßnahmen sollten nicht nur die Menschen in der DDR beruhigt werden. Ebenso hoffte die DDR-Regierung, damit den westdeutschen Medien den Boden für schlechte Presse gegen die DDR zu entziehen.

Doch diese malten sich ihr eigenes Bild. In den westdeutschen Zeitungen sprach man davon, dass die Ostberliner Ruhrepidemie eine direkte Konsequenz des Mauerbaus gewesen sei. Die Menschen hätten keinen Zugang mehr zu vitaminreichen Lebensmitteln in Westberlin gehabt, und seien dadurch wehrlose Opfer der Infektion geworden. Damit lagen sie womöglich nicht falsch, denn infizierte Lebensmittel und mangelhafte gesundheitliche Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung klangen plausibel – die sozialistische DDR-Regierung hätte solch eine Schmach jedoch niemals eingestanden.

Die Westdeutschen konnten unterdessen feststellen, dass ihnen der Mauerbau auch Vorteile gebracht hatte. Pech für die einen, bedeutete in diesem Fall Glück für die anderen. Dass die Grenzen inzwischen dicht waren, verhinderte, dass sich die Epidemie nach Westberlin und den Westen ausbreiten konnte.

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