REMOTION – Rückkehr in den Urgrund

Von 19. August 2013

Die Etymosophie-Kolumne von Roland R. Ropers erscheint wöchentlich exklusiv in der EPOCH TIMES Deutschland.

Jeder ist mit dem Begriff „Emotion“ vertraut (lat.: emovere = heraus-bewegen). Bedenklich wird es, wenn wir Emotion mit Gefühl (Sensitivität) verwechseln. Wir sind ständig in Bewegung, wir werden geradezu ständig motiviert. Unser Planet Erde kreist mit einer Geschwindigkeit von über 100.000 km/Stunde um die Sonne, und wir spüren dies überhaupt nicht. Der Mensch hat sich in anderer Weise diesem Hochgeschwindigkeitstempo fast wahnhaft angepasst – alles muss „high speed“ sein, selbst die tägliche Nahrungszufuhr „fast food (wörtlich: schnelle Fütterung).

Ursprüngliches, was aus der Tiefe unseres Seins kommt, wird kaum noch berührt und erfahren, weil der Rausch der Befriedigung an der Peripherie des Lebens stattfindet, wo die zentrifugalen Kräfte, die auf der Flucht (lat.: „fuga“) aus dem Innersten sind, übermächtig wirken. Das englische Adjektiv „remote“ (weit entfernt) verwirrt den Sprachkundigen völlig, denn es geht eigentlich um „Remotion“ die Rückwärtsbewegung in den Urgrund, über den wir in der Mundaka-Upanishad der indischen Weisen lesen können:

„Wie aus einem lodernden Feuer Tausende von Funken, dem Wesen nach dem Feuer gleich, hervortreten, so geht aus dem Unvergänglichen die Vielfalt der Wesen hervor und geht auch darin wieder ein. Himmlisch, formlos ist der Geist, innen sowie außen und ungeboren. Er atmet nicht, er denkt nicht; er ist rein und höher als das Höchste. Aus ihm entstehen der Lebensatmen, das Denken sowie alle Sinne, der Raum, die Luft, das Licht, das Wasser und die Erde, die Allesträgerin. Der Geist ist das All, ist Handlung und Entsagung, das Brahman jenseits des Todes.

Wer diesen erkennt, wohnend im Inneren des Herzens, zerschlägt den Knoten der Unwissenheit hier auf Erden. Offenbar und doch verborgen ist diese große Welt, genannt: Beweger im Geheimen.

Sie umfasst das, was sich bewegt, was atmet und mit den Lidern schlägt. Erkenne es als Sein und Nichtsein, als Ziel der Wünsche, welches das Verständnis übersteigt, als das Beste für die Geschöpfe. Das Glanzvolle, das feiner ist als das Feinste, der Urgrund der Welten und ihrer Bewohner, das ist das unvergängliche Brahman. Es ist der Lebensatem, die Sprache und das Denken. Das ist das Wahre, das Unsterbliche.“

Wir benötigen heute mehr denn je eine tief innere Verwurzelung, im Englischen würde ich von „inner rooting“ sprechen. Der Ursprung unseres Wesens liegt in uns verborgen.

Im Schweigen können wir in unsere Tiefen hineinhorchen, die unsere Wesensnatur konstituieren. Diese Praxis bringt jene Gaben an die Oberfläche, die tief in unserem Unterbewusstsein begraben waren. Im Schweigen sitzen ist wie eine Schatzsuche, wo wir für unsere eigenen inneren Horizonte offen werden. Hier entdecken wir, wer wir sind. Der „Bodhisattva“ lebt in ständiger Aufmerksamkeit auf die Hilferufe der Erde, stets bereit, auf sie zu reagieren. Der Bodhisattva lebt völlig spontan, sensibel für die Klänge der Erde; und er antwortet darauf in der natürlichsten Art und Weise.

Es gibt sehr differenzierte und zum Teil auch verwirrende Interpretations-Modelle des Begriffs „Bodhisattva“. „Bodhi“ (Pali) bzw. „Buddha“ (Sanskrit) bedeutet: Erwachen, vollkommene Erkenntnis. Gautama Siddharta saß unter einem Feigenbaum (lat.: ficus religiosa) und erlangte nach 49 Tagen intensiver Meditation vollkommene Erleuchtung. Dieser Baum wird daher „Bodhi-Baum“ genannt. Insofern ist die biblische Erzählung fragwürdig, wenn ausgerechnet vom Baum der Erkenntnis keine Früchte gepflückt werden dürfen.

Sat“ (Sanskrit) bedeutet: sein. Ein „Bodhisattva“ ist jemand, der im Zustand der Erkenntnis lebt. In griechisch-lateinischen Begriffen ist dies ein Theoretiker („theoria“ = Wesensschau) bzw. ein Kontemplativer („contemplatio“ = objektloses Betrachten), einer, der den Wesensgrund geschaut hat. Diese Berührung hat auch eine körperliche Dimension, denn das engl. Wort „body“ (Körper) kommt von altenglisch: „bodig“ (Grund; s.a. deutsch: Boden).

Erleuchtung bzw. Erwachen zur Wirklichkeit haben sehr wesentlich mit Bodenhaftung zu tun. Darum ist das Sitzen auf dem Boden so außerordentlich sinnvoll.

Wir erleben in einer augenblicklich sehr krisenhaften Zeit, dass offenbar mehr Menschen als je zuvor an Bodenhaftung (Erleuchtung) gewinnen. Ein unsichtbares Netzwerk hat sich auf dem Planeten Erde ausgebreitet und bietet den zerstörerischen Kräften geistigen Widerstand. Dies ist einmalig in der unheilvollen Geschichte von Zerstörung und Wiederaufbau.

Im 54. Kapitel des „Tao Te King“ von Lao Tse lesen wir:

„Was fest verwurzelt ist, kann nicht ausgerissen werden.
Was fest gehalten wird, kann nicht entgleiten.
Darum ehren die nachfolgenden Generationen ihre Ahnen.
Pflege dies in dir selbst, und deine Tugend wird Wirklichkeit.
Pflege dies in der Familie, und auch sie wird Tugend haben.
Pflege dies im Dorf, dann wird auch dort Tugend wachsen.
Pflege dies im ganzen Land, und es wird voller Tugend sein.
Pflege dies in der Welt, und überall wird Tugend sein.
Erkenne die Person an der Person, die Familie an der Familie,
die Stadt an der Stadt, das Land am Land, die Welt an der Welt.
Woher weiß ich, dass die Welt so ist?
Eben dadurch.“

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Der Religionsphilosoph Roland R. Ropers ist Autor und Herausgeber etlicher Bücher:

Was unsere Welt im Innersten zusammenhält: Hans-Peter Dürr im Gespräch mit bedeutenden Vordenkern, Philosophen und Wissenschaftlern von Roland R. Ropers und Thomas Arzt; 2012 im Scorpio Verlag

Eine Welt – Eine Menschheit – Eine Religion von Bede Griffiths und Roland R. Ropers

Gott, Mensch und Welt. Die Drei-Einheit der Wirklichkeit von Raimon Panikkar und Roland R. Ropers

Die Hochzeit von Ost und West: Hoffnung für die Menschheit von Bede Griffiths und Roland R. Ropers

Geburtsstunde des neuen Menschen. Hugo Makibi Enomiya-Lassalle zum 100. Geburtstag von Roland R. Ropers

Roland Ropers erreichen Sie mit: [email protected]



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