SEKRETISMUS – Absonderung und Geheimhaltung

Von 26. August 2013

Wir erleben zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine geradezu revolutionäre Entwicklung, wo jedem Menschen der Zugang zu einer bisher verschlossenen Wissens-Welt ermöglicht wird. Alles kommt ans Licht, nichts bleibt verborgen und geheim (engl.: secret). Die größten Geheimdienste der Erde kämpfen vergeblich um den Bestandsschutz ihrer gespeicherten Daten, etablierte Religionen und Glaubenssystem sind gezwungen, sich von ihrer Mysterien-Magie zu verabschieden. Warum sollte etwas Abgesondertes, ein Sekret, geheim gehalten werden?

Von dem lat. Verb „secernere“ (trennen, ausscheiden) haben sich z.T. doppeldeutige Worte entwickelt: Sekretion, Sekretär). Diskretion hingegen ist mehr den je notwendig, es geht um die Unterscheidungsfähigkeit (lat.: discretio), wo man Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen versucht.

Das tägliche Bombardement von einem Daten-Tornado aus allen Teilen der Welt hat nichts mit Wissen zu tun. Jeder Einzelne muss aus der Fülle von Daten eine Auswahl treffen und diese in eine informative Ordnung bringen, die ihn lebensfähig erhält. Informationen kommen nicht von außerhalb. Jeder Mensch bringt auf verschiedene Weise die empfangenen Daten in eine individuelle Form und interpretiert sämtliche Datenimpulse auf seine Art. Einen vorgegebenen Notentext mit Tausenden von Zeichen deutet jeder anders, je nach Veranlagung und Schulung.

Unser Gehirn empfängt heutzutage 10.000.000.000 Bits (binary digits = kleinste Informationseinheit) pro Sekunde. Diese Bits werden sortiert, verdichtet, gespeichert oder als nicht brauchbar verworfen.

Vielwisserei ist nicht erstrebenswert. Fundiertes verinnerlichtes Wissen wird leider zu wenig vermittelt in einer Multi-Tasking-Society, die immer mehr zu zum Opfer des „Burn-Out“ wird.

Wer als Mensch anstrebt, sein Gehirn den Computerleistungen anzupassen, hat den Kontakt zu seinem wissenden Herzen verloren. In dem englischen Verb „to learn“ ist das Wort verborgen: „to earn“ (seinen Lebensunterhalt verdienen). Das Lernen der Zukunft muss primär von der Herzkraft kommen: „learning by heart“ (auswendig lernen).

Das menschliche Herz ist das Meisterwerk des uranfänglichen Künstlers“, schrieb der irische Philosoph, Poet und Mystiker John O’Donohue (1955 – 2008), mit dem ich freundschaftlich eng verbunden war.

Seine Bücher „Echo der Seele“ und „Schönheit“ sind Juwelen verloren gegangener Sprachkultur.

„Wie uns weit entferntes Licht, wenn es durch ein Prisma fällt, mit seinen Farben beschenkt, so entfaltet die Schönheit ihren Glanz, wenn sie durch das menschliche Herz scheint. Das Herz ist der Ort, an dem die Schönheit empfangen wird, hier kann sie empfunden, erkannt und weitergegeben werden.

Vielleicht vermissen wir die Schönheit deshalb manchmal in unserem Leben, weil wir zugelassen haben, dass das Prisma stumpf und dunkel wurde; obwohl das Licht ganz nah ist, kann es nicht hineindringen und seine Schönheit ausgießen…

Das Herz ist dort, wo das Wesen, das Empfinden und das Intimste eines Lebens weilen, und ohne Herz wird die Welt plötzlich kalt. Das menschliche Herz ist das Meisterwerk des uranfänglichen Künstlers. Das Herz ist der Schrein der göttlichen Schönheit…

Obgleich wir innerhalb der Zeit leben, scheint uns die Schönheit aus einem Reich zu besuchen, das außerhalb der Zeit liegt, nämlich in der Ewigkeit. Die Schönheit verwandelt die vergehende Zeit in etwas Kostbares; sie erfüllt den Augenblick mit Glanz und macht ihn wahrhaft zeitlos…

In Schönheit wurden wir erträumt und erschaffen und mit einem Leben beschenkt, in das die Schönheit tritt, um uns zu erwecken. Die äußere Entfaltung unseres Lebens wird innerlich von dieser unsichtbaren Schönheit gestützt und gelenkt“.

Vorbei sind die Zeiten, wo wir uns im Verborgenen aufhalten und mit vermeintlichen Geheimnissen leben müssen. Die Ausstrahlung kommt stets von innen und macht je nach Intensität deutlich, wie groß unser Innenraum ist, den wir von blockierenden Gedanken und Meinungen befreit haben.

Im 56. Kapitel des „Tao Te King“ von Lao Tse lesen wir:

„Wer Wissen hat, redet nicht.
Wer redet, hat kein Wissen.
Hüte Deine Zunge, schließe Augen und Ohren.
Brich die Schärfen, löse die Knoten.
Schwäche den blendenden Glanz,
wisch den Staub fort.
Das nennt man ursprüngliches Einswerden.
Darum:
Du kannst ihm weder näherkommen
noch dich von ihm fernhalten.
Du kannst ihn weder nutzen
noch kannst du ihm schaden.
Du kannst es weder aufwerten
noch kannst du es abwerten.
Darum wird es von aller Welt verehrt.“

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Der Religionsphilosoph Roland R. Ropers ist Autor und Herausgeber etlicher Bücher:

Was unsere Welt im Innersten zusammenhält: Hans-Peter Dürr im Gespräch mit bedeutenden Vordenkern, Philosophen und Wissenschaftlern von Roland R. Ropers und Thomas Arzt; 2012 im Scorpio Verlag

Eine Welt – Eine Menschheit – Eine Religion von Bede Griffiths und Roland R. Ropers

Gott, Mensch und Welt. Die Drei-Einheit der Wirklichkeit von Raimon Panikkar und Roland R. Ropers

Die Hochzeit von Ost und West: Hoffnung für die Menschheit von Bede Griffiths und Roland R. Ropers

Geburtsstunde des neuen Menschen. Hugo Makibi Enomiya-Lassalle zum 100. Geburtstag von Roland R. Ropers

Roland Ropers erreichen Sie mit: [email protected]

 

 



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