Ist die Trennung von Kirche und Staat wirklich vollzogen?

Finanzielle Verstrickungen von Staat und Kirche entsprechen nicht dem im Grundgesetz verankerten Bild eines kirchenunabhängigen Staates. Wo endet die staatliche Einmischung in Religionen?
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Finanzielle Verflechtungen zwischen Staat und Kirche bestehen in Deutschland, obwohl eine Staatskirche gesetzlich untersagt ist.Foto: iStock
Epoch Times23. April 2019

Während muslimische Eltern sich weigern, ihre Kinder Ostereier in der Schule anmalen zu lassen, diskutieren andere, ob am Karfreitag ein Tanzverbot noch zeitgemäß ist. Juso-Chef Kevin Kühnert forderte die Abschaffung des Tanzverbots am Karfreitag.

Eine Twitternutzerin kommentierte prompt:

Heute richten wir unseren Blick auf das Kreuz. Wir denken an all das Leid in der Welt. An alle, die verraten, verlassen, gefoltert und getötet werden. Wem dabei nach Tanzen zumute ist: Feel free.“

Ein weiterer antwortete:

Herr Kühnert, es wäre nicht schlecht, wenn Sie und Ihre Jusos aufhören würden, unsere Kultur abzuschaffen. Dieses bisschen, was noch davon übrig ist, sollten wir pflegen und versuchen zu erhalten.“

Verstrickungen von Staat und Kirche

Was ist dran an religiösen Traditionen, Kirche und den staatlichen Regelungen?

In seinem Buch „Staat ohne Gott“ schrieb der deutsche Rechtsphilosoph Horst Dreier, dass die Religion im säkularen, das heißt kirchenunabhängigen Staat ein Gegenstand persönlichen Glaubens und Handelns sein sollte. Der Staatsrechtsprofessor und Herausgeber eines führenden Grundgesetzkommentars stellt in seinem Buch klar:

Der freiheitliche, sakuläre Verfassungsstaat versteht sich nicht als Widerpart des Glaubens, sondern bietet diesem eine Plattform.“

Doch inwieweit trifft dies auf Deutschland zu? Eine feste Staatsreligion gibt es in Deutschland jedenfalls nicht. Mit dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung wurde jegliche Staatskirche verboten. Aber ist die Trennung von Kirche und Staat wirklich vollzogen?

Die beiden großen Religionen der Katholiken und Protestanten betreiben Körperschaften öffentlichen Rechts. Sie erheben Kirchensteuer von ihren Mitgliedern und lassen sie über das Finanzamt einziehen. Der Religionsunterricht wurde bis vor kurzem noch ausschließlich von diesen beiden Religionen angeboten. Kirchenvertreter arbeiten in Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit. Theologische Fakultäten an Hochschulen sind an die Weisungen der Kirche gebunden. Es gibt die Evangelische und Katholische Militärseelsorge und auch die kirchlichen Feiertage wurden staatlich umgesetzt.

0,5 Milliarden Steuergelder fließen jährlich in Kirchen

Darüber hinaus werden auch finanzielle Mittel vom Staat an die Kirchen weitergeleitet. 17,8 Milliarden Euro der deutschen Steuergelder wurden von 1949 bis 2018 an die evangelischen Kirchen und katholischen Bistümer vom Staat gezahlt. Dies erfolgt aus einer Verpflichtung des Staates aus dem Jahr 1803. Artikel 138 Grundgesetz regelt die Staatszahlungen an die Kirchen, die aus Landenteignungen vor 200 Jahren herrühren und einen jährlichen Betrag von einer halben Milliarde Euro ausmachen.

René Hartmann, Erster Vorsitzender des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA), wies daraufhin, dass dem Steuerzahler ohnehin bereits kirchliche Aufgaben aufgebürdet werden, beispielsweise der konfessionelle Religionsunterricht, der nicht durch Einnahmen der Kirchensteuern, sondern vom Steuerzahler finanziert wird.

Er forderte bereits 2012 in einer Presseerklärung:

Die finanzielle Verflechtung zwischen Staat und Kirchen darf nicht intensiviert, sondern muss abgebaut werden. Kirchenfinanzierung aus allgemeinen Steuermitteln ist zu beenden. Der staatliche Einzug der Kirchensteuer verstößt gegen die weltanschauliche Neutralität des Staates und ist abzuschaffen.“

Und auch die Integration der Muslime, die sich spätestens seit der Migrantenwelle 2015 vermehrt zu den Kirchengängern hinzugesellen, bedarf einer Regelung.

Islam contra Kirche?

Nach Schätzungen der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland 2017 gibt es neben den 23,3 Millionen Katholiken und 21,5 Millionen Protestanten eine Anzahl von 4,2 Millionen Muslimen. Doch wie offen ist Deutschland für ihre Religion?

Lehrerinnen mit Kopftuch sind nicht pauschal an öffentlichen Schulen verboten, entschied das Bundesverfassungsgericht 2015. Doch wenn Frauen mit einem Kopftuch bekleidet vor ein Gericht treten,  in denen Kreuze hängen, wird ihnen der Staatsdienst in eben diesen Gerichten laut „Spiegel“ bislang verwehrt.

Es gibt christliche und jüdische Gemeinden. Viele muslimische Gemeinden erlangen hingegen keinen Körperschaftsstatus. Eine Moscheen-Steuer ist nicht zu bezahlen. Hingegen wird der Islam sowohl an Schulen als auch an Universitäten gelehrt. Was wird mit den islamischen Festtagen? Werden sie auch bei den gesetzlichen Feiertagen in Deutschland sowie die kirchlichen Feiertage berücksichtigt?

Friedrich Wilhelm Graf, evangelischer Theologe und emeritierter Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Universität München, brachte es auf den Punkt:

Mehr Verschiedenheit bedeutet potentiell mehr Konflikt. Die weiter wachsende Zahl miteinander konkurrierender religiöser Akteure macht es für den parlamentarischen-demokratischen Rechtsstaat jedenfalls nicht leichter, den schnell entzündlichen Mentalstoff „Gottesglaube“ unter bürokratisch-rationaler Kontrolle zu halten.“

Der Würzburger Staatsrechtler Horst Dreier hat dafür eine Lösung:

Der Staat soll Frieden stiften und Freiheit gewährleisten, Wohlfahrt und Ordnung garantieren und das Miteinander der Menschen auf eine allseits verträgliche Weise organisieren.“

(sua)



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