Schulen ohne Fachunterricht? Finnland führt neuen Lehrplan ein

Finnische Schüler sollen „transformative Kompetenz“ erlernen – das ist die Fähigkeit, neue Werte zu schaffen und Verantwortung zu übernehmen. „Die Bildung muss sich wandeln,“ sagt die Leiterin der Schulbehörde Helsinki.
Titelbild
Schüler in der Schule im Wohngebiet Kalasatama in Helsinki, Finnland, am 20. März 2018.Foto: EMMI KORHONEN/AFP via Getty Images
Von 1. Juli 2021

Immer wieder geht das Gerücht um, dass Finnland die Schulfächer abgeschafft hat. Schulpolitiker vieler Länder blicken irritiert und neugierig auf das nordische Land und fragen sich, ob das wahr ist. 2016 führte Helsinki einen neuen Lehrplan für die 1. bis 9. Klasse ein, in dem „Phänomenbasiertes Lernen“ eingeführt wird. Und das finnische Bildungsministerium widerspricht in seinen FAQs an prominenter dritter Stelle:

„Die Nachricht, dass Finnland den Unterricht in einzelnen Fächern abgeschafft hat, war ein Thema in der internationalen Presse. Der Fachunterricht wird nicht abgeschafft, obwohl der neue Kernlehrplan für die Grundbildung im August 2016 einige Änderungen brachte.“

Seitdem bekannt ist, dass Finnland im kommenden Schuljahr 2021/22, also im September, auch einen neuen Lehrplan für die weiterführende Bildung einsetzt, kocht der Fake wieder hoch. Auch hier ist von einer Abschaffung des Fächerkanons nichts zu lesen. Wieso hält sich diese Idee so hartnäckig? Was ist dran?

Das „Phänomenbasierte Lernen“

Das, wovon Schüler träumen und was Bildungspolitiker hellhörig macht, ist das finnische Konzept des „Phänomenbasierten Lernens“. Seit den 1980er-Jahren experimentierten Schulen in Finnland mit verschiedenen Konzepten. Das Phänomenbasierte Lernen ist eines davon.

Mit dem neuen Lehrplan haben die 7- bis 16-Jährigen, so bestimmt der Kernlehrplan, mindestens eine ausgedehnte Phase von fächerübergreifendem Unterricht. Helsinki hat für das Schuljahr 2021/22 zwei solche Perioden vorgeschrieben. Ob und wie sich das künftig auf die bisher hervorragenden PISA-Ergebnisse des Landes auswirkt, ist noch nicht abzuschätzen.

Es sind Module, die sich mit breiter angelegten Themen befassen – wie der EU oder dem Klimawandel – und die über eine Zeitdauer von mehreren Wochen laufen. In Deutschland könnte man den Projektunterricht oder problemorientiertes Lernen damit vergleichen.

Die Wurzeln des phänomenbasierten Lernens liegen in der konstruktivistischen und soziokulturellen Lerntheorie, schreibt „Valamis“. Damit ist gemeint, dass Lernen am besten dadurch erreicht wird, dass „der Lernende aktiv sein eigenes Wissen und seine eigene Erfahrung konstruiert, anstatt durch passiven Unterricht. Wenn die Lernenden in einer Gruppe arbeiten, wird das Lernen auch als sozial konstruiert angesehen.“

Probleme sehen Kritiker darin, dass „die ‚Fähigkeiten‘ des Denkens ohne Grundkenntnisse“ gefördert wird; persönliche Erfahrungen würden als qualitativ besser angesehen als das Wissen aus Büchern. Der Inhalt traditioneller Lehrbücher ist eine Zusammenstellung von Tausenden von Jahren menschlicher Zivilisation, von denen Menschen lernen und mit denen klassische Werte vermittelt werden. „Wie kann das von jungen und unwissenden Schülern so rasch durchdrungen werden?“ („Wie der Teufel die Welt beherrscht“, Bd. 2, S. 199)

Große Freiheit der Schulen

Die finnische Grundbildung bezieht sich auf 7- bis 16-Jährige, das Land unterteilt nicht in Grund-, Mittel- oder Oberschule wie Deutschland. Danach folgt eine Berufsfachschule oder Gymnasium. Der Nationale Kernlehrplan (NCF) für die Grundbildung wurde 2016 eingeführt, der Lehrplan für die weiterführende Bildung folgt in diesem Jahr.

Das Besondere des Landes ist, dass die finnische Bildungsverwaltung stark dezentralisiert ist und die 320 Gemeinden des Landes einen großen Spielraum bei der Gestaltung der Lehrpläne haben. Den Rahmen gibt der Nationale Kernlehrplan (National Curriculum Framework, NCF) vor. Jede Gemeinde und Stadt – und auch jede Schule – hat die Freiheit und den Auftrag, das zu vermittelnde Wissen an seine lokale Situation anzupassen.

Peter Johnson, ein Bildungsleiter einer mittelgroßen Stadt in Finnland, prognostizierte 2015: „Das Endergebnis dieser Reform werden 320 lokale Variationen des NCF 2016 sein und 90 Prozent davon sehen der aktuellen Situation sehr ähnlich.“

Die finnische Bildungsbehörde schreibt für die weiterführende Bildung: „Die Schüler bestimmen die Aktionen. Es kann alles gemacht werden, was den Schülern einfällt und wofür sie Energie haben, im Rahmen des Gesetzes und der Schulordnung.“ Das ist aber kein absoluter Freibrief.

In Helsinki hat sogar jede der Schulen einen eigenen Lehrplan, der auf dem Nationalen Kernlehrplan aufbaut und im Internet abgerufen werden kann (finnisch oder schwedisch). Praktisch existieren nur öffentliche Schulen, nur sehr wenige sind unabhängige oder private Schulen, wie es sie in Deutschland gibt.

Vor einer Unterrichtsstunde in der Lauttasaari-Schule in Helsinki, Finnland, am 14. Mai 2020. Foto: JUSSI NUKARI/Lehtikuva/AFP via Getty Images

Zentral festgelegt ist beispielsweise, dass das Wohlbefinden der Schüler eine große Rolle einnimmt, dass es ein kostenloses Catering für alle gibt oder wie viele Stunden die Schüler haben. Erst- und Zweitklässler haben 21 oder 22, hinzu kommen Nachmittagsaktivitäten, in der 7. bis 9. Klasse sind es 30 Wochenstunden.

Jede Unterrichtsstunde ist eine Stunde lang – mit 15 Minuten Pause. Die durchschnittliche Klassengröße beträgt zwischen 17 und 20 Schülern, durchaus auch im Co-Teaching-Modell mit zwei Lehrern.

Sieben „übergreifende Kompetenzbereiche“

Ziel des phänomenbasierten Lernens sei, Schüler besser auf das reale Leben vorzubereiten. Sie sollen „transformative Kompetenz“ entwickeln, sagt Marjo Kyllönen, Leiterin der Schulbehörde Helsinki. Damit ist die Fähigkeit gemeint, eine Welt zu gestalten, wo Nachhaltigkeit und das Wohlbefinden aller und des Planeten Normalität sind.

Marjo Kyllönen gilt als treibende Kraft hinter dem Konzept. Die Leiterin der Schulbehörde Helsinki hielt zu der aktuellen finnischen Entwicklung am 24. Juni an der Universität Witten/Herdecke einen Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Disruptive Bildungsperspektiven – Anleitung zur kreativen Zerstörung des Bildungssystems“.

Jedes Jahr sollen die Schüler also eines von sieben festgelegten Modulen absolvieren. Die sieben „übergreifenden Kompetenzbereiche“ sind: Denken und Lernen zu lernen – Kulturelle Kompetenz, Interaktion und Selbstdarstellung – Für sich selbst sorgen und das tägliche Leben bewältigen – Multikompetenz – Kompetenz in Informations- und Kommunikationstechnologie – Kompetenz im Arbeitsleben und Unternehmertum – Partizipation, Engagement und Aufbau einer nachhaltigen Zukunft.

Eine der ersten Schulen, die entsprechend dem Phänomen-Konzept auch architektonisch umgestaltet wurde, ist der Sipoonlahti Campus direkt an der Ostsee. Die Schüler haben nun in der Schule fünf „Lerndörfer“ mit vier bis fünf Lerngruppen – insgesamt rund 100 Schüler. In finnischen Schulen dreht sich vieles um das Wohlergehen der Schüler.

Für die Bildung gibt Finnland viel Geld aus, laut einer Studie der OEDC waren es 6,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im Jahr 2015. Das ist weltweit Spitzenniveau – hinter Schweden und Island. Deutschland setzte etwa 4,5 Prozent des BIP für die Bildung ein.



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