Chinas „Wunderwirtschaft“ ist zum Wundern

Titelbild
Charmante chinesische Luftnummer in der New Yorker Börse am 16. Juli 2013Foto: Jason Kempin/Getty Images
Von 14. August 2013

Schattenwirtschaft, Vermögensverwaltungsprodukte, Immobilienspekulationen und Kredite von Lokalregierungen – sie alle gehören zu den Hauptkanälen, durch die in China Schulden angehäuft werden. Das Ziel: wirtschaftliches Wachstum.

Das Problem zeigt sich seit dem Jahr 2009 besonders auffällig. Die kreditfinanzierten Wachstumsausgaben als Antwort auf die weltweite Finanzkrise werden – mit einigen Schwankungen – bis heute hoch gehalten.

Erst im Juli dieses Jahres ging ein Vermögensverwaltungsprodukt der Industrial and Commercial Bank of China (ICBC), der nach Marktkapitalisierung größten Bank der Welt, pleite.

Im Interview mit The Epoch Times spricht Fraser Howie, Buchautor von „Roter Kapitalismus: Das fragile finanzielle Fundament des außergewöhnlichen Wachstums Chinas“ über Chinas Kreditprobleme und wie sich die Situation entwickeln dürfte.

Epoch Times: Was halten Sie von der jüngsten Pleite eines kleineren Fonds der Industrial and Commercial Bank of China?

Fraser Howie: Grundsätzlich ist diese Sache weder groß noch publik genug, um das Schiff zum Sinken zu bringen. Das ist kein Auslöser für eine Krise, wie es der Zusammenbruch von Lehman Brothers war. Dennoch: Es ist ein weiteres Vermögensverwaltungsprodukt, das im Sand versinkt.

In einem normalen Umfeld sind die Kredite generell langfristiger und weniger transparent. Wenn ein Unternehmen nicht zahlen kann, geht man zur Bank und sagt: „Sehen Sie mal, vielleicht können wir den Kredit verlängern oder eine Umschuldungsaktion machen.“ Nur die Bank und das Unternehmen wissen davon. Banken sind ja auch kreativ darin, den Begriff „fauler Kredit“ zu definieren.

Bei den Vermögensverwaltungsprodukten ist es so, dass Einzelpersonen in sie investieren. Sie werden öffentlich angeboten und in Bankfilialen verkauft. Wenn ein solches Produkt pleitegeht, geschieht das also unter den Augen der Öffentlichkeit.

Immer mehr solcher Produkte zahlen nicht mehr vollständig aus, oder sie zahlen nur noch die Zinsen oder müssen ihre Bürgschaften in Anspruch nehmen. Derzeit sehen wir quasi „live“, wie faule Kredite platzen. Es werden noch mehr werden.

Grundsätzlich liegt das größte Problem darin, dass Geld an Unternehmen verborgt wird, die es nicht zurückzahlen können. Diese Unternehmen sind manchmal mit der Infrastruktur und mit Lokalregierungen verbunden, manchmal auch mit Immobilieninvestitionen. Es gibt einen dem Finanzprodukt zugrunde liegenden Vermögenswert, der nicht die im entsprechenden Zeitraum erwarteten Renditen bringen kann.

Auch wenn die von Dir geschaffene Infrastruktur nicht verschwendet wurde – etwa, wenn Häuser in der Mitte der Wüste gebaut werden und sie schlussendlich doch von Menschen genutzt werden –, so geht das Produkt dennoch baden. Denn es hat nicht im vorhergesehenen Zeitrahmen die Renditen gebracht.

Derzeit ist die Zahl solcher geplatzter Vermögensverwaltungsprodukte klein genug, sodass sie regional gemanagt werden können. Für gewöhnlich springt jemand ein. Das kann die Bank sein oder ein Bürge.

Epoch Times: Wer sind diese Garantiegeber?

Howie: Das sind Unternehmen, die eine solche Garantie geben. Für gewöhnlich sind sie mit einer relativ kleinen Kapitaldecke ausgestattet und geben die Garantie gegen eine geringe Gebühr ab. Viele geben solche Garantien ab, da sie annehmen, dass das Schlimmste nie passieren wird.

Sollte der Bürge einspringen und den faulen Kredit tilgen oder das Vermögensverwaltungsprodukt bedienen ist das für den Investor eine gute Nachricht. Er bekommt sein Geld, oder zumindest seine Einlage. Dennoch – es ist nichts anderes passiert, als dass das Risiko im System von einem zum anderen verschoben wurde.

Sollte ursprünglich ein Qualitätsprodukt einen sauberen Cash-Flow erwirtschaften und in einen produktiven Kreislauf münden, das aber schlussendlich nicht passieren – das ist dann ein Problem.

Teilnehmerin des Drachenbootfestivals in der New Yorker Börse am 16. Juli 2013Teilnehmerin des Drachenbootfestivals in der New Yorker Börse am 16. Juli 2013Foto: Jason Kempin/Getty Images

Derzeit findet sich immer ein noch größerer Dummkopf

Epoch Times: Gibt es systemische Probleme, die produktive Investitionen verhindern?

Howie: Ich denke, dass wir uns im Moment noch in einem Frühstadium des Zyklus befinden. Was wir wissen ist, dass Kredite mehrere Jahre lang im Überfluss zur Verfügung gestanden haben. Immer mehr Kredite und mehr und mehr kreative Arten, Kredite in die Wirtschaft zu pumpen, sind erschaffen worden. Es hat in diesen Jahren immer einen noch größeren Dummkopf gegeben. Man kann immer noch mehr borgen, um seine Schulden abzubezahlen. Die Flut ist nie zurück gegangen.

Was wir wohl sehen werden – und da liegt auch das größte Risiko: Sollten die Behörden es wirklich ernst damit meinen, die Kreditvergabe strikter zu handhaben und wenn der jüngste starke Anstieg des Interbanken-Zinssatzes der erste Vorbote davon war, dann werden wir mehr und mehr solcher Produkte platzen sehen.

Das Problem besteht darin, dass viel von dem Wachstum durch vermehrte Kreditvergabe angetrieben wurde. Wenn man hier den Geldhahn zudreht, beginnt sich das Wachstum zu verlangsamen. Dann kommt es zu einer doppelten Belastung durch eine wachsende Anzahl an notleidenden Krediten und gleichzeitig sinkendem Wachstum – eine Spirale nach unten. Deshalb bin ich skeptisch darüber, wie aggressiv die Behörden bei der Vergabe von Krediten sein werden, denn die Konsequenzen könnten sehr groß sein.

Sie werden definitiv versuchen, es zu verlangsamen – aber ob sie das wirkungsvoll schaffen können? Denn es ist kein klarer nächster Wachstumsmotor in Sicht. Sogar wenn man von Reformen in China spricht, so ist es nicht klar, ob sie auch tatsächlich die Wirtschaft ankurbeln werden. Aus derzeitiger Sicht gesehen halte ich ein weiter fallendes Wirtschaftswachstum für wahrscheinlich.

„Zombie-Unternehmen“ fressen die Kredite

Epoch Times: Und wo liegt das Limit der Schuldenkapazität? Wie weit kann das Schuldenmachen noch gehen?

Howie: Die Geldmenge ist begrenzt. Wäre sie das nicht, hätten wir Hyperinflation. Die Geldmenge kann wachsen, aber sie muss zumindest halbwegs mit einem allgemeinen Wirtschaftswachstum gekoppelt sein. Wenn Kredite an Unternehmen vergeben werden, die sie nicht zurückzahlen können, wie werden dann neue Unternehmen Kredite bekommen? Die Antwort ist: Sie werden keine Kredite bekommen. Neue Unternehmen oder Projekte können nicht starten, da die Gelder immer zu denselben „Zombie-Unternehmen“ fließen. So etwas kann sich über lange Zeit hinziehen – Japan ist das beste Beispiel dafür. Da die Zinsen niedrig sind glaubst Du, dass Du die Zinszahlungen für eine lange Zeit bedienen kannst, und Du denkst, es ist okay. Aber was geschieht, wenn die Zinsen steigen? Oder wenn alle Kredite platzen? Japan ist ein gutes Beispiel dafür, dass man solche Probleme für eine lange Zeit vor sich her schieben kann.

Ein weiterer Punkt: China ist die „Wunderwirtschaft“, richtig – oder? Eigentlich nicht. Viel vom heutigen Wachstum ist durch Schulden finanziert. Es gibt keine „Geheimformel“. Sie borgten sich einfach exzessiv Geld aus, um kurzfristig die BIP-Zahlen zu schönen.

Epoch Times: Warum müssen es eigentlich die Banken sein, die Geld verleihen – warum interagieren die Fonds und Vermögenverwaltungsfirmen nicht direkt mit den Investoren?

Howie: Ganz einfach – denn dort ist es, wo das Geld ist. Die Banken haben alle ein großes Netzwerk. In jeder chinesischen Stadt sieht man einen Haufen Banken. Sie haben den besten Zugang zum Kapital. Bei ihnen gehen die Kunden ein und aus, und mit ihnen möchte man eine Partnerschaft eingehen.

Banken halten auch nach Möglichkeiten Ausschau, ihr Geschäft zu erweitern und neue Kunden zu akquirieren. Sie haben sich teilweise zusammengeschlossen, um gemeinsam Fonds und Vermögensverwaltungsprodukte zu verkaufen. Die Bank liefert den Ort, um das Geschäft abzuschließen, und bekommt im Gegenzug eine Gebühr.

Epoch Times: Wer sind die Leidtragenden, wenn es mit der Finanzwelt wirklich bergab geht?

Howie: Ich würde sagen, dass die Banken bis zu einem gewissen Grad die Leidtragenden sein werden. Ich meine, die Banken sind die großen „Cash Cows“, sie sind letztendlich die größte Quelle an Fonds und Anlageprodukten. Ab einem gewissen Punkt werden sie dafür gerade stehen müssen.

Wir sind zwar noch nicht an diesem Punkt angelangt, aber wenn Ausfälle auf kleinere Banken treffen, würde es mich nicht wundern, wenn die größeren zur Rettung aufgefordert werden. Man kann keinesfalls von den Banken als „unabhängige Gesellschaften“ sprechen: Die Banken in China sind voll und ganz der Kommunistischen Partei verpflichtet, wenn es um deren finanzielle Entscheidungen geht. Deshalb wird auch das Personal der Managementebene einer Bank von der Organisationsabteilung der Kommunistischen Partei Chinas auserwählt. So einfach ist das.

Wie hoch steigen die Kurse, bevor sie wieder fallen? Chinesische Luftnummer in der New Yorker Börse am 16. Juli 2013Wie hoch steigen die Kurse, bevor sie wieder fallen? Chinesische Luftnummer in der New Yorker Börse am 16. Juli 2013Foto: Jason Kempin/Getty Images

Ich kann mir nicht vorstellen, wie eine Finanzkrise in China die Banken verschont lassen soll. Sie sind der Ort, an dem das Geld ist, sie haben die vielen Außenstellen und sind demnach der Motor, der gegen die anstehenden Verluste ankämpfen kann. Ich denke jedoch nicht, dass die Regierung eine direkte Geldvergabe anstrebt oder die Vergabe von Staatsanleihen erteilt. Vielmehr würden sie es begrüßen, wenn sich die Banken um diese Probleme kümmern, sie sozusagen zum Versiegen bringen.

Epoch Times: Was ist mit dem Sanierungsvorhaben der späten 90er-Jahre, als schwere Schulden einfach zu Kapitalanlagegesellschaften verschoben wurden? Wie hat das geklappt? Und können wir heute eine Wiederholung erkennen?

Howie: Es hat nicht wirklich funktioniert. Vor ca. 13 Jahren übernahmen die Kapitalanlagegesellschaften in etwa 370 Milliarden Dollar an Bankschulden. Sie haben es nie geschafft, die Darlehensbedingungen, die den Ankauf finanzierten, zurückzuzahlen. Schlussendlich wurde die Rückzahlungspflicht vom Finanzministerium übernommen. Die Kapitalanlagegesellschaften erhielten eine Menge echter Geschäftsbetriebe, im Sinne einer Kapitalbeteiligung, die einer Umwandlung der Schulden entsprach.

Ein lokaler Maklerbetrieb, zum Beispiel, hatte Schulden bei der Bank. Das Darlehen ging schief, wurde von der Kapitalanlagegesellschaft eingekauft, der Betrieb konnte die Schulden nicht bezahlen, und so erlangte die Kapitalanlagegesellschaft eine Kapitalbeteiligung, anstatt von den üblichen Rechten eines Gläubigers Gebrauch zu machen. Das Ergebnis ist, dass die Kapitalanlagegesellschaften zu Aktionären einer breit gefächerten Palette von Gesellschaften werden. Natürlich, in Einzelfällen machte sich diese Art von Sanierung bezahlt, indem der Wert des jeweiligen Gutes steil in die Höhe schoss. Jedoch wird der Wert der großen Kapitalanlagegesellschaften auf 10-20 Milliarden Dollar geschätzt, was den 370 Milliarden Dollar der auf sich genommenen Schulden nicht einmal im Geringsten nahe kommt.

„Wenn ich meine Schulden ignoriere – werde ich dadurch reicher?“

Stellen Sie sich einmal selbst die folgende Frage: Wenn ich meine Schulden ignoriere, werde ich dadurch reicher? Selbstverständlich nicht. Man kann die Schulden in einer Bilanz nicht ignorieren und bloß immer wieder das Vermögen zusammenzählen, sodass man sagen kann, man hätte ein paar Extra-Millionen auf der Bank …

Was China getan hat, ist nicht bloß die Schulden zu ignorieren, sondern sie von Instanz zu Instanz zu verschieben, sodass sie nicht länger existieren, weder für die Banken, noch für die Kapitalanlagegesellschaften. Doch diese Vorgehensweise hat die Schulden bloß verschoben zum Ministerium für Finanzen – und somit in die Staatsbilanz selbst. Der Staat zahlt nun die Schulden, indem er versehene Schuldverschreibungen mit Steuereinnahmen begleicht. Und die Steuern kommen von Lieschen Müller. Die Bank hat also de facto ihre mangelhaften Darlehensentscheidungen sozialisiert.

Cover: Red CapitalismCover: Red Capitalism

Die Kredit-Blase: Gekommen um zu bleiben

Epoch Times: Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?

Howie: Diese „Kredit-Blase“ in China ist ein chronisches Problem, nicht ein momentan akutes. Es wird vermutlich für eine ganze Weile bestehen bleiben.

Der Preis, den es zu zahlen gilt, wird sich im besten Fall in einem deutlich geringeren Wachstum niederschlagen. Im schlimmsten Fall bedeutet er mehr krisenbedingte Szenarios. China hat so viele Schwachpunkte und so viele Bruchstellen, dass nur der Himmel weiß, was passiert, wenn wirklich eine finanzielle Krise zutage tritt. Es ist einfach zu schwierig eine Skizze davon zu entwerfen. Wir beobachten hier eine Kapitalflucht, wir beobachten alle möglichen Sorgen, wie dieses Spiel einmal enden wird. Es bleibt nach wie vor offen.

Die Regierung preist die soziale Stabilität. Sie hat Recht, beunruhigt zu sein, denn schließlich hat sie ja schon so oft die Auseinandersetzung mit sensiblen gesellschaftlichen Themen vermasselt. Nun könnte echte Sorge entstehen, wie sich die Dinge wohl wenden werden.

Originalartikel auf Englisch: China’s Chronic Debt Problem, Explained



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion