Joachim Gauck – Präsident und Pastor für das Volk

„Gauck – eine Biographie“ von Mario Frank, erschienen bei Suhrkamp, zeigt die Tragik eines zwiespältigen Menschen.
Titelbild
Bundespräsident Joachim Gauck spricht am 14 Juni 2013 im Bundestag zum 60. Jahrestag des Volksaufstands am 17. Juni.Foto: JOHANNES EISELE/AFP/Getty Images
Von 6. Oktober 2013

„Gauck – eine Biographie“ von Mario Frank, erschienen bei Suhrkamp, zeigt die Tragik eines zwiespältigen Menschen.

Joachim Gauck wurde am 24. Januar 1940 in Rostock als Sohn eines Kapitäns der Handelsmarine geboren und ist mit einem Bruder (im August 2013 verstorben) und zwei Schwestern aufgewachsen. Die Mutter hatte in jener Zeit Großes zu leisten; ihr Mann kam erst 1946 aus britischer Gefangenschaft zurück und wurde unter obskuren Vorwänden im Jahr 1951 „entführt“.

Der Vater – in sowjetischer Haft

Wegen angeblicher Spionage in Schwerin wurde Wilhelm Joachim Gauck vor ein sowjetisches Militärtribunal gestellt und zu zweimal 25 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Ein gewaltiges Psychodrama für eine junge Familie. Erst 1953 kam die Nachricht, dass Wilhelm Joachim Gauck noch lebte und in einem sibirischen Arbeitslager interniert war, von dem er im Oktober  1955 aufgrund der erfolgreichen Moskauer Verhandlungen von Bundeskanzler Konrad Adenauer zurückkehren konnte. Joachim Gaucks Vater war damals 49 Jahre alt, 1906 in Dresden als Sohn eines Apothekers geboren und bei der alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. Über den 1915 in Leipzig verstorbenen Großvater Joachim Gaucks wurde nie gesprochen; es existierte noch nicht einmal ein Foto. Ein bis heute ungeklärtes Familiengeheimnis.

Der Autor – beeindruckend

Der Autor der sehr beeindruckenden Biographie, Mario Frank, wurde auch in Rostock (31. Mai 1958) geboren. Der promovierte Jurist und erfahrene Medien-Manager war u.a. kurzzeitig alleiniger Geschäftsführer der SPIEGEL-Verlagsgruppe. Sein Buch„Walter Ulbricht. Eine deutsche Biographie“ (Siedler Verlag 2001) gilt als das Standardwerk über den langjährigen Staats- und Parteichef der DDR. Sein Buch „Der Tod im Führerbunker. Hitlers letzte Tage“ (Siedler-Verlag 2005) wurde bislang in fünf Sprachen übersetzt.

Mario Frank hat erstmals die komplette Stasi-Akte Joachim Gaucks auswerten können, ihm wurden auch ganz persönliche Unterlagen zur Verfügung gestellt, von privaten Fotos bis zu Reisepässen. Er sprach mit wichtigen Zeitzeugen – mit Gaucks Cousins, Gaucks zweiter Lebensgefährtin Helga Hirsch, Kollegen im Pfarramt und der Stasi-Unterlagenbehörde.

Bei den Vorgesprächen zu der umfangreichen Arbeit im Schloss Bellevue sagt Joachim Gauck zu seinem Biographen: „Sie können doch kein Interesse daran haben, dem Bundespräsidenten Schaden zuzufügen!“

Das Buch der Lebensfülle

Mario Frank hat sehr sorgfältig und in klarer Distanz zu jeglicher Form von Sensationsjournalismus die Lebensfülle des heute 73-jährigen Joachim Gauck zu Papier gebracht. Stellenweise ein sehr erschütterndes und bewegen-des Dokument. Bereits mit 19 Jahren heiratet Joachim gegen den Widerstand in der Familie seine Schülerliebe Hansi Radtke, deren Mutter sich das Leben nahm, als sie zehn Jahre jung war. Das Ehepaar, bis heute nicht offiziell geschieden, wurde Eltern von vier Kindern, zwei Söhnen und zwei Töchtern; wie in seiner eigenen Herkunftsfamilie, wo er mit einem Bruder und zwei Schwestern aufgewachsen war.

Der Seelsorger – nicht für die eigene Familie

Joachim Gauck beschrieb in seinen Erinnerungen seine Ehe-Jahrzehnte als unglücklich. „Ich war extrovertiert, frech, oppositionell, häufig lernunwillig und faul …, sie war introvertiert, schüchtern, ängstlich, mochte nicht auffallen, war diszipliniert und fleißig“.

Junge Ehe, Kinder, Theologiestudium – eine ständige Heraus- und Überforderung. Im Alter von 25 Jahren bereits junger Pastor im SED-Staat. Ein umtriebiger, sehr begabter Seelsorger – nur nicht für die eigene Familie. In der Wahrnehmung seiner Kinder war der Vater nie zu Hause. „Wir haben ihn damals wenig gesehen, er war für uns selten der Familienvater, sondern immer unterwegs“, erinnert sich sein Sohn Christian. Im Hause herrschte ein Dauerkonflikt zwischen den Eltern, den ihre Kinder als Normalität erlebten. Bekannte berichteten: „Über seine Tochter Gesine redete er wie über einen Fremdkörper.“ Sein Amtsbruder und Nachbar Kleemann urteilte: „Joachim Gauck bewegte sich gern in der Öffentlichkeit und brauchte sie auch.“

Die Kinder – zurückgewiesen

Die Pastorenkinder Gauck hatten es in der Schule sehr schwer und wurden als Außenseiter behandelt. Sie waren Störfaktoren im atheistischen Staat. Die Söhne durften trotz erstklassiger Schulleistungen nicht studieren und wurden verpflichtet, Orthopädietechniker zu werden. Christian und Martin stellten 1984 Ausreiseanträge – der Vater war schockiert. Joachim Gauck sagte zu seinem Ältesten: „Christian, ich kümmere mich um Menschen, die es nötiger haben, die inhaftiert sind. Ihr könnt bleiben und hier die Dinge verändern.“ Die Frustration über die Zurückweisung war groß: „Für andere setzt du dich ein! Für deine Söhne nicht!“, schrie Christian seinen Vater an. Es kam zum Bruch zwischen den beiden.

Die DDR ließ Christian und Martin Gauck im Hinblick auf ihren Ausreiseantrag fast vier Jahre lang im Ungewissen. Im Dezember 1987 durften die Brüder mit ihren Familien den Osten Deutschlands endlich verlassen.

Joachim Gauck wurde in der Evangelischen Kirche in der DDR zu einer charismatischen Persönlichkeit.

Nach dem Fall der Mauer

Nach dem Fall der Mauer begann für  Gauck in Berlin ein neues Leben. Ein privater Neubeginn mit der ZEIT-Journalistin Helga Hirsch. Die Familie in Rostock trat in den Hintergrund. Wovon sollten seine Ehefrau Hansi und die Tochter Katharina leben? Joachim Gauck war kein Pastor mehr, das Haus an der Nikolaikirche war Eigentum der Kirche, und es musste ein neuer Wohnort gesucht werden. Hansi Gauck hatte mit dem kargen Pastorengehalt die sechsköpfige Familie recht und schlecht durchgebracht, es hatte nie gereicht. Hansi konnte mit der damals jüngsten 12-jährigen Tochter Katharina noch ein paar Jahre im Pastorenhaus wohnen bleiben, zog dann in eine Doppelhaushälfte um, die Joachim Gauck in Brinckmansdorf erworben hatte. Für Katharina war es ein Schock, dass der Vater die Mutter verließ.

Für einige Jahre war der Kontakt sehr eingeschränkt. Auch die älteren Kinder gingen in jener Zeit auf Distanz. Was die Kinder dem Vater wirklich übelnahmen, war seine Weigerung, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Sie suchten das Gespräch mit ihm, aber er war für sie nicht erreichbar. Sein Sohn Christian: „Er hat damals viel verdrängt und immer gesagt, er könne sich darum jetzt nicht kümmern. Da war dieses neue, wahnsinnige Amt, die Stasiunterlagenbehörde, er war nur noch unterwegs, hat sich in die Arbeit geflüchtet.“ Die Verstimmung hielt jahrelang an.

Die Familie Gauck begann schließlich den Versöhnungsweg. Es gab Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten – vier Kinder, elf Enkelkindern und zahlreiche Urenkel.

Die Freiheit

Im Jahre 1998 trennte sich Helga Hirsch von Joachim Gauck. Seit dem Jahr 2000 ist die Journalistin Daniela Schadt die Lebensgefährtin des seit 2012 amtierenden Bundespräsidenten. Sie wohnen zusammen im Schloss Bellevue und nehmen gemeinsam die Repräsentationspflichten wahr.

Es wundert niemanden, wenn Joachim Gauck müde von den Anstrengungen seines bewegten Lebens geworden ist. Ein populärer Politiker, der die Menge des Volkes genießt und gern aus dem Herzen über alle Dimensionen des Begriffs „Freiheit“ redet. Eine freie Rede ist ihm in seinem Amt als Bundespräsident jedoch untersagt. Er muss Vorgefertigtes wortgetreu vom Blatt ablesen. Ist das noch Freiheit? Eine Beschränkung der Spontaneität, die aus dem Herzen kommt.

Hat Joachim Gauck den Kern der christlichen Botschaft missverstanden? Bevor man zum Staatsdiener wird, sollte die Familie im Vordergrund der Beachtung stehen. Eine Biographie, die sehr nachdenklich stimmt.

Foto: Cover Suhrkamp Verlag

Mario Frank

GAUCK – eine Biographie

Verlag Suhrkamp

Gebunden, 414 Seiten
ISBN: 978-3-518-42411-7

19,95 €
A: 20,60 €
CH: 28,50 sFr



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion