Pharmakatastrophe: Als ungefährlich geltendes Schlafmittel führte zur menschlichen Tragödie

Tausende Kinder, deren Mütter das damals als ungefährlich geltende Schlafmittel Contergan der Firma Grünenthal in der Schwangerschaft genommen hatten, kamen mit schwerwiegenden Fehlbildungen zur Welt.
Titelbild
Contergan-Opfer.Foto: PIERRE-PHILIPPE MARCOU/AFP/Getty Images
Epoch Times13. Januar 2018

Mit dem Namen Contergan ist eine der größten Arzneimittel-Katastrophen verbunden – und eine menschliche Tragödie.

Tausende Kinder, deren Mütter das damals als ungefährlich geltende Schlafmittel der Firma Grünenthal in der Schwangerschaft genommen hatten, kamen mit schwerwiegenden Fehlbildungen zur Welt. Am Donnerstag vor 50 Jahren, dem 18. Januar 1968, wurde das Hauptverfahren gegen die Pharmamanager eröffnet. Ein Überblick:

DAS MEDIKAMENT

Ungefährlich selbst bei Überdosierung sollte das Schlafmittel sein, das am 1. Oktober 1957 rezeptfrei in den Handel kam. Das Medikament mit dem Wirkstoff Thalidomid eroberte schnell große Marktanteile und entwickelte sich für den Hersteller zum Umsatzschlager, weil es im Gegensatz zu anderen Schlafmitteln dieser Zeit nicht abhängig machte und besonders gut verträglich schien. Fatalerweise führte dies dazu, dass auch viele Schwangere Contergan nahmen.

Die Folgen waren schwere körperliche Fehlbildungen bei den Embryonen – an inneren Organen, vor allem aber an den Gliedmaßen. Viele Babys kamen ohne Schultergelenke und Arme auf die Welt, andere mit Fehlbildungen an Armen und Beinen, an Hüftgelenken oder an den Ohren. Gut vier Jahre war Contergan im Handel, als das damals in Stolberg bei Aachen ansässige Pharmaunternehmen Grünenthal das Beruhigungsmittel am 27. November 1961 zurückzog.

DIE OPFER

Weltweit wurden nach Einnahme des Medikaments bis zu 12.000 fehlgebildete Kinder geboren, davon allein etwa 5000 in Deutschland. Heute leben hierzulande nach Angaben des Bundesverbands Contergangeschädigter noch rund 2400 Betroffene, die mittlerweile zwischen Mitte und Ende 50 sind und mit schweren Folgeschäden ihrer Behinderungen kämpfen.

JURISTISCHE AUFARBEITUNG

Nach jahrelangen Ermittlungen gegen den damaligen Eigentümer der Herstellerfirma Grünthal, Hermann Wirtz, und zahlreiche leitende Angestellte wurde am 18. Januar 1968 das Hauptverfahren eröffnet. Wenige Monate später, am 27. Mai 1968, begann der Prozess. Zahlreiche Eltern betroffener Kinder treten als Nebenkläger auf. Es war eines der bis dahin aufwändigsten Strafverfahren der deutschen Rechtsgeschichte.

Nach 283 Verhandlungstagen wurde der in Alsdorf bei Aachen geführte Prozess am 18. Dezember 1970 eingestellt – wegen geringer Schuld der Angeklagten. Das Landgericht Aachen konnte das persönliche Verschulden der angeklagten Pharmamanager nicht beweisen. Noch vor Abschluss des Strafprozesses wurde im April 1970 ein Vergleich geschlossen, in dessen Folge Grünenthal freiwillig mehr als 110 Millionen Mark in die 1972 gegründete Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ einzahlte.

WEITERE FINANZHILFEN

Weitere 100 Millionen Mark flossen dem Hilfswerk vom Bund zu. 2009 überwies Grünenthal noch einmal 50 Millionen Euro als Sonderzahlung. Die heute aus Bundesmitteln gespeiste Stiftung, die 2005 in Conterganstiftung für behinderte Menschen umbenannt wurde, zahlt seither den Conterganopfern eine monatliche Rente – je nach Grad der körperlichen Schädigung. Weitere 30 Millionen Euro Bundesmittel im Jahr werden für zusätzliche medizinische Leistungen zur Verfügung gestellt. Damit sollen im Einzelfall Heil- und Hilfsmittel bezahlt werden, beispielsweise spezielle Rollstühle, Hörgeräte aber auch Schmerztherapien oder Lymphdrainagen.

DIE FOLGESCHÄDEN

Zu den ursprünglich zum Teil schweren Conterganschädigungen stellen sich durch die jahrzehntelange Fehlbelastung von Wirbelsäule, Gelenken und Muskulatur heute zusätzlich Folgeschäden ein – wie Nacken- und Rückenschmerzen sowie Schulter-, Knie- und Hüftschmerzen. Viele Menschen leiden unter chronischen Schmerzen.

Klaus Peters vom ambulanten Schwerpunktzentrum zur Behandlung contergangeschädigter Menschen im nordhrein-westfälischen Nümbrecht verweist zudem auf einen deutlich erhöhten Anteil an psychischen Beeinträchtigungen – wie depressive Störungen. All das erfordert einen ständig steigenden Bedarf an pflegerischen und therapeutischen Leistungen. Der Pharmahersteller selbst entschuldigte sich erst spät – im Jahr 2012 – nach langem Schweigen für das Contergandesaster. (afp)

 



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