Soziologe: Paris-Krawalle wegen Verarmung, Perspektivlosigkeit, Diskriminierung – Demütigungen der Polizei gießen Öl ins Feuer

Fabien Truong, Soziologe an einer Universität in Paris, sagt zu den Protesten in Paris: "Die jungen Menschen spielen, auf jeden Fall ... Sie spielen Katz und Maus mit den Polizisten um zu sagen, dass sie existieren. Sie tun es lautstark, mit Randalen und zu Bruch gehenden Dingen und brennenden Autos. Es gibt auch Hass." Für ihn existiert eine Spirale der Gewalt, die von Verarmung, Diskriminierung, Rassismus und anderen Faktoren angetrieben wird.
Titelbild
Ein provokatives Selfie am 18. Februar 2017 in Rennes. Seit 10 Nächten gibt es brennende Autos und Krawalle in Pariser Vororten und anderen Städten des Landes.Foto: JEAN-FRANCOIS MONIER/AFP/Getty Images
Von 19. Februar 2017

In den vergangenen Tagen eskalierte die Situation in Pariser Vororten und einigen anderen Städten des Landes. Am Tage gibt es Kundgebungen, in der Nacht bürgerkriegsartige Zustände, beides kann man auf Youtube finden. Was steckt hinter den Ausschreitungen in Frankreich? In vielen Medien herrscht Schweigen. Ein Interview der „Ouest-france“ mit dem Soziologen Fabien Truong gibt einige Hinweise – auch dazu, wie einige Franzosen das aktuelle Geschehen betrachten.

Truong ist Soziologe an einer Universität in Paris. Er unterrichtete in Pariser Vororten. Seit den Unruhen 2005 in Paris untersuchte er die persönlichen und beruflichen Hintergründe vieler junger Menschen aus den Vororten. Er unterrichtete sechs Jahre in Aubervilliers, Stains und Saint-Denis Drancy Wirtschafts- und Sozialkunde an Schulen, an die Lehrer nicht gehen wollen.

In einem Interview mit David Colette von „Ouest-france“ verweist er als Auslöser für die Unruhen und Zustände in den Pariser Vorstädten auf eine Spirale der Gewalt, bei der gleiche Ursachen gleiche Wirkungen erzeugen.

Diese Gewaltspirale wird von vielen Faktoren angetrieben: Von der Verarmung der Arbeiterklasse, der Ausbreitung von sozialökonomischen Ungleichheiten, räumlicher Diskriminierung, einem Schulsystem, in dem man versagt und Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt.

Hinzu kommt für die Jugendlichen die tägliche Erfahrung von Stigmatisierung, Diskriminierung und Rassismus, das Gefühl der Ungerechtigkeit, Verdrängung und der Mangel an Perspektiven.

Protesters (L) face anti-riot police officers during a demonstration against police brutality on February 18, 2017 in Rennes, following the alleged rape in the Paris suburb of Aulnay-sous-Bois of a black youth, identified only as Theo, with a police baton, an incident that has sparked 10 nights of rioting and more than 200 arrests. The injuries sustained by Theo during a stop-and-search operation on February 2 in the suburb of Aulnay-sous-Bois have sparked clashes with police and arson attacks across the impoverished, ethnically-mixed housing estates that ring the French capital. One officer has been charged with rape and the three others with assault. All four have been suspended from the force. / AFP / JEAN-FRANCOIS MONIER (Photo credit should read JEAN-FRANCOIS MONIER/AFP/Getty Images)

18. Februar 2017 in Rennes. Foto: JEAN-FRANCOIS MONIER/AFP/Getty Images

„Wer gießt das Öl ins Feuer?“

„Wer gießt das Öl ins Feuer?“, fragte ouest-france.fr den Soziologen: „Die Fehler der Polizei“, antwortet er, denn das tägliche Aufeinandertreffen von Polizei und Jugendlichen ist schwierig. Die Jugendlichen unterliegen häufigen Identitätskontrollen, die nichts mehr mit einer normalen Kontrolle auf der Straße zu tun haben.

„Stellen Sie sich vor: Sie haben ihre Anwesenheit zu rechtfertigen, sie sind auch schuldig daran, wo sie leben.“ Diese und andere Demütigungen erzeugt Wut und Ressentiments – und Solidarität. Diese Jugendlichen sagen „Zyed, Bouna oder Theo, das könnte ich sein …“

In Frankreich gilt seit 2015 der Ausnahmezustand. Hinzu kommt Angst und mangelndes Wissen über den Gesprächspartner. Dazu noch rassistische Beleidigungen … irgendwann brennt es und gibt es auch sexuelle Gewalt.

Junge Menschen spielen Katz und Maus mit den Polizisten

Truong sagt: „Die jungen Menschen spielen, auf jeden Fall. Es ist ein Vergnügen der Teenager, Provokantes zu tun, mit Gleichaltrigen zu konkurrieren und gemeinsam zu handeln. Sie spielen Katz und Maus mit den Polizisten um zu zeigen, dass sie existieren. Sie tun es lautstark, mit Randale und zu Bruch gehenden Dingen und brennenden Autos. Es gibt auch Hass.“

Die Vororte werden als Bedrohung für die Gesellschaft gesehen. In einigen Bereichen ist die Jugendkriminalität wirklich sehr hoch. Jedoch seien nicht alle Räuber, Drogenhändler, Terroristen. Junge Menschen, die terroristische Aktionen versuchen, sind eine Minderheit. Seit den Anschlägen nahm das Misstrauen zu.

Einige sprechen von einer muslimischen Gemeinschaft, aber diese gibt es Truongs Ansicht nach nicht. In Frankreich gebe es eine sehr heterogene muslimische Bevölkerung, jedoch keine Gemeinschaft. Teenager suchten – wie es in dem Alter üblich ist – Orientierung, und wenn ein Vakuum existiert, „kann sich Religion und Fanatismus ausbreiten“, so der Soziologe. „Im Laufe der Jahre ändern sich dann die Verhaltensweisen, einige heiraten oder finden Arbeit bei Nicht-Muslimen, einige sind nicht gläubig.“

Wie kann man heute die Spannungen abbauen?

„Der Staat und die Polizei muss klar kommunizieren.“ Der Soziologe verweist darauf, dass die Fehler der Polizei und das inakzeptables Verhalten geahndet werden müssen, die Täter müssen entlassen werden. Es muss vor allem sichergestellt werden, dass das Gesetz für alle gilt.

Frankreichs Präsident François Hollande versprach, die Identitätskontrollen zu stoppen – er tat es nicht, doch diese Maßnahme wurde in den Vierteln erwartet. „Damit wurde eine echte Chance verpasst“, so der Experte.

Was wären sinnvolle Maßnahmen?

Dringend ist nach Ansicht des Soziologen der Kampf gegen die Ungleichheiten im Bildungsbereich und die Förderung der sozialen Vielfalt. Hinzu kommt die Vereinfachung des Zugangs zu Arbeit und Beschäftigung.

„Was geschah mit der alten High School und den Studenten? Anfangs glaubten alle, dass sie Erfolg haben werden. Sie strengten sich an und viele schafften es, einen Platz in der Gesellschaft zu finden.“

Sie strebten nach Abschlüssen, um einen interessanten Job zu machen, eine Familie zu gründen. „Die Lebenswege sind nicht gerade. Viele schafften es auch nicht“.

„Aber schauen sie sich um“, sagt Fabien Truong, „Die Grenzen bewegen sich, langsam, aber sie bewegen sich. Es gibt mehr und mehr Kollegen, die Namen wie Farid Yasmina tragen, oder nicht?“

Nachts finden Krawalle statt:

https://www.youtube.com/watch?v=M3KJ2HHjRDs

Und tagsüber protestieren die Menschen:

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