US-Denkfabrik: Israel ist „nur ein Schauplatz“ – alle sollten sorgfältig über Risiken einer Eskalation nachdenken

Nach dem Angriff des Irans auf Israel ruft UN-Generalsekretär Guterres zur Deeskalation auf. Derweil geht das Tauziehen um die Geiseln in Gaza weiter. Wie ist die Lage? Eine Zusammenfassung.
Mitglieder des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen nach einer Abstimmung. Auch ide Staats- und Regierungschefs des G7-Treffens verurteilten den iranischen Angriff aufs Schärfste.
Mitglieder des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen nach einer Abstimmung. Auch die Staats- und Regierungschefs des G7-Treffens verurteilten den iranischen Angriff aufs Schärfste.Foto: Craig Ruttle/AP/dpa
Epoch Times15. April 2024

Nach dem Angriff des Irans auf Israel behält sich der jüdische Staat eine militärische Reaktion vor. Der Iran habe „jede rote Linie überschritten“, sagte Israels Vertreter bei den Vereinten Nationen, Gilad Erdan, bei einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats in New York. Sein Land habe nach eigener Aussage nun wiederum das Recht, Vergeltung zu üben.

Eine Entscheidung darüber habe das israelische Kriegskabinett bei mehr als dreistündigen Beratungen aber noch nicht gefällt, berichtete die Zeitung „Times of Israel“. In den kommenden Tagen sollten weitere Gespräche geführt werden, meldete auch das Nachrichtenportal „Axios“ unter Berufung auf einen israelischen Beamten. Bei der Sitzung seien mehrere Optionen für einen möglichen Vergeltungsschlag erörtern worden.

„Die Ehre Irans zufriedenzustellen“

Aus Sicht des Experten Nick Heras von der US-Denkfabrik New Lines Institute for Strategy and Policy ging es bei dem Angriff darum, „die Ehre des Iran zufriedenzustellen“. Die jüngste Eskalation im Nahen Osten offenbare im Grunde den „Zustand in den Beziehungen zwischen den USA und dem Iran“, sagte er der Nachrichtenagentur AFP. Israel sei dabei „nur ein Schauplatz des Konflikts“.

Der stellvertretende US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Robert Wood, kündigte unterdessen für die kommenden Tage die Prüfung „zusätzlicher Maßnahmen“ an, um den Iran „zur Verantwortung zu ziehen“.

Die Mitglieder des Sicherheitsrates hätten eine „kollektive Verantwortung“, um sicherzustellen, dass der Iran UN-Resolutionen „einhält“ und seine Verstöße gegen die UN-Charta „einstellt“.

UN warnt vor Flächenbrand

UN-Generalsekretär António Guterres erklärt, „der Nahe Osten steht am Rande des Abgrunds“. Bei der Sicherheitsratssitzung sagte er: „Die Menschen in der Region stehen vor der realen Gefahr eines verheerenden großen Konflikts. Jetzt ist die Zeit, zu entschärfen und zu deeskalieren. Jetzt ist die Zeit für maximale Zurückhaltung“. Und: „Weder die Region noch die Welt können sich mehr Krieg leisten.“

Die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden demokratischen Industriestaaten (G7) verurteilten den iranischen Großangriff aufs Schärfste und bekräftigten ihre volle Unterstützung für Israels Sicherheit.

„Mit seinem Vorgehen hat der Iran einen weiteren Schritt zur Destabilisierung der Region getan und riskiert, eine unkontrollierbare regionale Eskalation zu provozieren“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung nach einer von der italienischen Präsidentschaft einberufenen Videoschalte der G7-Gruppe.

Was sagen die UN-Botschafter von Iran und Israel?

Nach Teherans nächtlichem Angriff sei „die Maske gefallen“, sagte Israels UN-Botschafter Gilad Erdan. Der Iran sei „die Nummer eins unter den weltweiten Terror-Förderern“ und habe „sein wahres Gesicht als Destabilisator der Region und der Welt enthüllt“.

Erdan forderte die Mitglieder des Sicherheitsrates auf, nun „alle möglichen Sanktionen gegen den Iran zu verhängen, bevor es zu spät ist“. Insbesondere die iranischen Revolutionsgarden müssten als Terrororganisation eingestuft werden.

Irans UN-Botschafter Amir Saeid Irawani bestand hingegen auf Teherans „Recht auf Selbstverteidigung“. Nach der ausgebliebenen UN-Verurteilung des Angriffs auf das iranische Konsulat in Damaskus habe der Iran in seiner Reaktion „keine andere Wahl“ gehabt. Teheran wolle zwar keine Eskalation, werde aber auf „jede Bedrohung oder Aggression“ reagieren, warnte er.

Israel, „ein Land der Löwen“

Am 1. April waren bei einem Israel zugeschriebenen Luftangriff auf das iranische Botschaftsgelände in Syriens Hauptstadt Damaskus zwei Brigadegeneräle in einem Seitengebäude getötet worden. Daraufhin wurde allseits eine Reaktion des Iran in der arabischen Welt erwartet.

Der iranische UN-Botschafter Amir Saeid Iravani sagte bei der Sondersitzung des mächtigsten UN-Gremiums, die Islamische Republik habe ihr Recht auf Selbstverteidigung ausgeübt: „Diese Aktionen waren notwendig und verhältnismäßig.“

Israels Vertreter Erdan hielt dagegen: „Wir sind kein Frosch im kochenden Wasser. Wir sind ein Land der Löwen. Nach so einer massiven und direkten Attacke auf Israel darf die ganze Welt – und Israel am allermeisten – nicht tatenlos bleiben. Wir werden unsere Zukunft verteidigen.“

Der Löwe gilt im arabischen Raum als Symbol des Göttlichen, der Verheißung, von Macht, Stärke und Herrschaft. Vor dem 29. Juli 1980 war er Teil der iranischen Flagge und auch für den Iran ein Schutzzeichen der Herrschaft und des Göttlichen. Nach der Islamischen Revolution wurde dieses Symbol entfernt und durch die heutige Flagge ersetzt.

USA: Sorgfältig über Risiken einer Eskalation nachdenken

US-Präsident Joe Biden hielt den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nach Darstellung aus Washington dazu an, einen möglichen Vergeltungsschlag gegen den Iran und dessen Folgen sorgfältig abzuwägen.

Biden habe Netanjahu in einem Telefonat „sehr deutlich“ gemacht, dass man „sorgfältig und strategisch über die Risiken einer Eskalation nachdenken“ müsse, sagte ein hochrangiger US-Regierungsvertreter in Washington. Die USA als Israels wichtigster Verbündeter hatten dabei geholfen, Irans Großangriff gegen Israel abzuwehren.

Iran warnt vor Gegenangriff

Irans Nationaler Sicherheitsrat warnte Israel vor einer militärischen Antwort auf die Aktion des Iran. „Wenn das zionistische Regime weiterhin Bösartigkeiten gegen den Iran fortsetzen will, wird es eine Antwort erhalten, die mindestens zehnmal größer ist als der jüngste Angriff“, zitierte das Portal „Nur News“ aus einer Mitteilung des Rats. Iran habe die geringste Form der Bestrafung für Israel gewählt und lediglich Militäreinrichtungen attackiert.

Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari bezeichnete den Drohnen- und Raketenangriff auf Israel indes als beispiellosen Angriff, der auf eine ebenso beispiellose Verteidigung gestoßen sei. Israel hatte dabei Unterstützung der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Jordaniens.

Allein die US-Streitkräfte hätten mehr als 80 Drohnen und mindestens sechs ballistische Raketen zerstört, mit denen Israel attackiert werden sollte, teilte das US-Regionalkommando Centcom auf der Plattform X, vormals Twitter, mit.

„Wir sind weiterhin in höchster Alarmbereitschaft und beurteilen die Lage“, betonte Hagari. „In den letzten Stunden haben wir Einsatzpläne für Angriffs- und Verteidigungsmaßnahmen genehmigt.“ Vor der Sitzung des Kriegskabinetts hatte der israelische Außenminister Israel Katz in einem Interview des Armeesenders erklärt: „Wir haben gesagt: Wenn der Iran Israel angreift, werden wir im Iran angreifen. Und dieses Bekenntnis ist immer noch gültig.“

Hamas fordert Rückzug israelischer Truppen aus Gaza

Hagari sagte weiter, Israel habe nicht seine Mission im Gazastreifen aus den Augen verloren, „unsere Geiseln aus den Händen des iranischen Stellvertreters Hamas zu befreien“. Die Hamas habe einen Kompromissvorschlag der Vermittler für einen Geisel-Deal abgelehnt.

Unterdessen berichtete die israelische Zeitung „Haaretz“, die Hamas habe den Vermittlern einen Gegenvorschlag für ein Geisel-Abkommen vorgelegt. Dieser sehe erst nach Ablauf einer 42-tägigen Feuerpause die Freilassung israelischer Geiseln im Austausch gegen palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen sowie einen schrittweisen Rückzug der israelischen Truppen aus Gaza vor, schrieb die Zeitung unter Berufung auf palästinensische und arabische Quellen.

Das israelische Militär sollte demnach in einer ersten sechswöchigen Phase die Kämpfe einstellen und sich aus den städtischen Zentren an die Peripherie des abgeriegelten Küstengebiets zurückziehen. Zugleich würde palästinensischen Vertriebenen die Rückkehr in den nördlichen Gazastreifen ermöglicht, hieß es.

Während dieser Zeit wolle die Hamas nach allen Geiseln in dem umkämpften Gebiet suchen und herausfinden, in welchem Zustand sie sind. In einer zweiten Phase müsste sich Israels Armee auf israelisches Gebiet zurückziehen. Erst dann würde der Austausch von israelischen Geiseln gegen palästinensische Häftlinge beginnen, hieß es.

Israels Führung war bisher davon ausgegangen, dass noch knapp 100 der rund 130 in Gaza verbliebenen Geiseln am Leben sind. Nun wird befürchtet, dass deutlich mehr tot sein könnten. Israel will sich die Möglichkeit offenhalten, die Kämpfe nach einer Feuerpause fortzusetzen.

Frankreich erhöht seine Sicherheitsvorkehrungen an jüdischen Einrichtungen

Frankreich erhöht nach dem iranischen Angriff auf Israel landesweit die Sicherheitsvorkehrungen rund um jüdische Einrichtungen. Laut einer Erklärung seines Ministeriums forderte der französische Innenminister Gérald Darmanin die Behörden am Sonntag auf, ab Montag verstärkt Polizisten vor Synagogen, jüdischen Schulen und „besonders sensiblen und symbolträchtigen“ Gebäuden zu postieren.

Dies geschehe insbesondere mit Blick auf das jüdische Pessach-Fest Ende April, an dem mit mehr Besuchern bei Gottesdiensten und weiteren Veranstaltungen zu rechnen sei. Die Präfekten wurden demnach angewiesen, ab Montag vor den Eingängen jüdischer Schulen eine „dauerhafte und sichtbare“ Polizeipräsenz sicherzustellen. Darmanin forderte zudem die Einführung von „regelmäßigen“ Polizeipatrouillen vor jüdischen „Spezialgeschäften“.

Begründet wurde der Schritt mit einem „sehr hohen Maß an terroristischer Bedrohung“, der „anhaltend hohen Zahl an antisemitischen Handlungen“ sowie „anhaltenden Spannungen auf internationaler Ebene, darunter Irans Angriff auf Israel“. Pessach wird vom 22. bis 30. April gefeiert. Das wichtige einwöchige Fest erinnert an den Auszug der Juden aus Ägypten.

(dpa/afp/red)



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