Wahlen im Osten: Droht den Grünen die Entzauberung?

Das Image der arroganten „Besser-Wessi-Partei“: Die Grünen kämpfen um Wählerstimmen. Bei der Bundestagswahl 2017 kamen sie in Brandenburg auf fünf Prozent der Zweitstimmen, in Thüringen und Sachsen noch weniger.
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Auf dem Weg zur 43. Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen.Foto: Jan Woitas/dpa
Epoch Times8. Januar 2019

Es ist kalt und grau und nass, aber auf dieses Bild will die Grünen-Spitze nicht verzichten. Die Stadtbrücke in Frankfurt an der Oder verbindet Deutschland und Polen, aber sie fühlt sich nicht nach Grenze an.

Dass die Stadt sich mit dem polnischen Slubice nicht nur den Nahverkehr, sondern auch die Wärmeversorgung teilt, ist für Grünen-Chefin Annalena Baerbock ein Beispiel, wie es funktionieren kann – auch in einer ostdeutschen Stadt, die nach dem Mauerfall Zehntausende Einwohner verloren hat. Baerbock spricht von „wieder erstarken“.

Auf der Brücke stehen Baerbock, Co-Parteichef Robert Habeck und ihre Kollegen mit Schildern, auf denen „Freiheit“ steht und „Demokratie“. Der Grünen-Vorstand ist zu einer zweitägigen Klausur angereist, um eine positive Erzählung zu suchen.

Nicht nur für die Europawahl im Mai, sondern auch schon für die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen in diesem Herbst. Wahlen, vor denen die Grünen besonderen Respekt haben – denn im Osten tun sie sich schwer. Bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 kamen sie in Brandenburg auf fünf Prozent der Zweitstimmen, in Thüringen und Sachsen noch weniger.

„Im Osten seien die ‚ökonomische Schutzzonen‘ geringer, es sei weniger Vermögen da“

Aber jetzt gibt es Hoffnung. „Wir haben jetzt dieses Jahr die Chance, dass wir uns dauerhaft oberhalb dieser 6-7-8-Prozent-Zone festsetzen können“, sagt Michael Kellner, der Bundesgeschäftsführer. Umfragen geben ihm recht: Neun Prozent in Sachsen, in Thüringen und Brandenburg sogar zwölf. Für Ost-Verhältnisse ist das sensationell. Der allgemeine grüne Höhenflug lupft auch die Werte im Osten.

Um die aber auch in Wahlstimmen zu verwandeln, setzen die Grünen auf eine „neue Gemeinsamkeit in Deutschland“ und auf sozialen Ausgleich. Den abgehängten Kommunen etwa soll mit einem Fonds aus der Schuldenfalle geholfen werden. Der Soli soll nicht abgeschafft, sondern umgewandelt werden und für Busse und Bahnen, Kitas und Hebammen auf dem Land zu sorgen. Neue Behörden und andere Einrichtungen sollen im Osten angesiedelt werden.

Es geht also viel ums Geld. Kellner analysiert: Im Osten seien die „ökonomische Schutzzonen“ geringer, es sei weniger Vermögen da, die Leute erbten weniger. Deswegen seien auch diese Sorgen vor Veränderung größer – „nachvollziehbarerweise“. Veränderung aber ist bei den Grünen Programm – Kohleausstieg, Verkehrswende, Klimaschutz.

Daneben gilt es, den Schwung aus dem vergangenen Jahr zu erhalten. Der Aufschwung begann nach dem Ende der Jamaika-Sondierungen mit Union und FDP, und gewann mit der Wahl Habecks und Baerbocks richtig an fahrt. Der Trubel um Habecks Twitter-Missgriffe und seinen Abschied von Twitter und Facebook muss eine Ausnahme bleiben, sonst droht die Entzauberung.

Das Image der arroganten „Besser-Wessi-Partei“

Habecks Formulierung „Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird, ein ökologisches Land“ kam bei vielen sehr schlecht an – und passt allzu gut ins Image der arroganten „Besser-Wessi-Partei“, mit dem die Grünen im Osten kämpfen. Wenn die Ost-Wahlen verloren gehen, könnten Streit und miese Umfragen den Grünen bald wieder Probleme machen.

Jeden Eindruck von Arroganz wollen uns müssen die Grünen daher vermeiden. Ihr Beschluss heißt „Nicht über und nicht unter“, ein Zitat aus der „Kinderhymne“ von Bertolt Brecht. Baerbock und Habeck sprechen von einer „Einheit auf Augenhöhe“, die endlich kommen müsse – und schauen dabei auch kritisch auf die eigene Parteigeschichte.

Parteimitgliedschaft ist im Osten verpönt

Ob die Pläne ziehen, wird sich zeigen. Der designierte sächsische Spitzenkandidat und Landtags-Fraktionschef Wolfram Günther zeigt Zuversicht: „Wir haben auch in Ostdeutschland einen massiven Stimmungsumschwung hin zu den Grünen“, sagt er. Vielen sei mit den Übergriffen von Rechten in Chemnitz klar geworden, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt auf der Kippe stehe. Neumitglieder gebe es auch auf dem Land, wo nie Grüne im Gemeinderat gesessen hätten.

Woran liegt es, dass die Grünen nach der Wende im Osten nur mühsam Fuß fassen konnten? Kellner, der aus Thüringen kommt, blickt zurück: Sie hätten nach 1989 die Partei in Ostdeutschland „völlig neu aufgebaut“. Und dabei ein großes Problem gehabt: Im „progressiven Spektrum“, also bei potenziell für die Grünen Ansprechbaren, sei nach den Erfahrungen mit der SED in der DDR eine Parteimitgliedschaft „natürlich total verpönt“ gewesen. „Deswegen hatten wir von Anfang an sehr wenig Mitglieder.“

Den Grünen habe auch nicht geholfen, dass sich nach 1990 in der ehemaligen DDR viel von der offensichtlichen Umweltzerstörung rasch besserte – damit habe ein „Ankerpunkt“ gefehlt. Den Zusammenschluss mit dem ostdeutschen Bündnis 90, im Namen der Partei noch sichtbar, haben die Grünen lange nicht allzu weit nach vorn gestellt. „Da haben wir meines Erachtens auch Fehler gemacht“, sagt Kellner. „Wir betonen ja diesen Bündnisgedanken in den letzten Jahren wieder viel stärker.“

Nicht zuletzt erinnert Kellner daran, dass die Westgrünen sich 1990 nicht in bester Verfassung präsentierten – bei der Bundestagswahl schafften sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht. „Das alles hat es nicht leichter gemacht.“ Jetzt, fast 30 Jahre nach dem Mauerfall, wollen die Grünen diese schwierige Vorgeschichte abstreifen. (dpa)



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