Xi Jinpings „China-Traum“ und die komplizierte Realität

Heute ist Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping zu Besuch in Deutschland. Es ist sein erster Besuch, seitdem er 2012 zum mächtigsten Mann Chinas ernannt wurde. Deutschland sieht Xi als positive Kraft, weil er als liberaler als seine Vorgänger gilt.
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Xi Jinping am 28. März 2014 in Berlin.Foto: Sean Gallup / Getty Images

Heute ist Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping zu Besuch in Berlin. Es ist sein erster Besuch, seitdem er 2012 zum mächtigsten Mann Chinas ernannt wurde. Deutschland sieht Xi als positive Kraft, weil er als liberaler als seine Vorgänger gilt. Der chinesische Führer hingegen braucht dringend Unterstützung: Sein Land steht wirtschaftlich vor einer historischen Krise und die Kommunistische Partei Chinas (KPCh), deren Führer er ist, wird von erbitterten Machtkämpfen zerrissen.

Normales Regieren ist für Xi derzeit kaum noch möglich: Überlebenswichtige Wirtschaftsreformen werden von seinen Feinden abgeschmettert, die am liebsten selbst wieder die Macht an sich reißen wollen. Sogar Terror-Aktionen gegen Zivilisten, wie das Bahnhofs-Blutbad von Kunming, wurden in letzter Zeit verübt, um den aufstrebenden Xi Jinping ins Wanken zu bringen. (Siehe: „Terroranschläge sollten Chinas Präsidenten stürzen“.)

Chinas möglichen Zusammenbruch vor Augen muss Xi nun einen Weg aus der Krise finden, wobei keine der ihm zur Verfügung stehenden Optionen einfach ist. Er ist kein Gorbatschow, der den Mut hat, die Kommunistische Partei aufzulösen. Deshalb versucht er einen unmöglichen Spagat zu realisieren: Einerseits träumt er davon, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, andererseits will er das Einparteien-Regime unbedingt in der bestehenden Form erhalten.

Schuld an der Krise ist die Partei

Doch gerade Chinas restriktive politische Organisationsform ist es, die nun nicht mehr funktionsfähig ist und das Land in den Abgrund treibt. Die chinesische Wirtschaft wird von nur acht Kaderfamilien kontrolliert, die aus den großen Staatsunternehmen riesige Gewinne in ihre eigenen Taschen schöpfen – wer leer ausgeht, ist der Staat und das Volk. Auf dem „Dritten Plenum“ im vergangenen November hatte Xi versucht, einen Reformplan durchzuboxen und diese Kaderfamilien zu entmachten – was scheiterte. (Siehe: „ China erklärt seinen Reformplan offiziell zum Unfall.)

Die führenden Köpfe von Chinas Wirtschaft prophezeien schon seit längerem einen Systemkollaps, der nur durch Reformen und eine Öffnung zu mehr Wettbewerb und Marktwirtschaftlichkeit abgewendet werden könnte. (Siehe: „Chinas Wirtschaftselite warnt vor Crash und will Reformen“.)

Gleichzeitig sorgt die gewaltige Kluft zwischen Arm und Reich beim Volk für Unzufriedenheit und zermürbt die Autorität des Regimes immer weiter. Durch die Allgegenwart von Korruption, Bigotterie der Bürokraten und Menschenrechtsverletzungen, ist das Vertrauen der Chinesen in ihre „Regierung“ unter den Nullpunkt gesunken. Die KPCh hat ihre Glaubwürdigkeit und den Rückhalt in der Bevölkerung vollständig verloren.

Was Xi tun müsste, um Erfolg zu haben

Damit Xi Jinping ein wirklich starker Mann werden kann, müsste er zuerst etwas Gutes für sein Volk tun: Deng Xiaoping zum Beispiel gewann das Vertrauen der Chinesen, indem er der „Vierer-Bande“ die Schuld für die Kulturrevolution gab und einige hochrangige KP-Persönlichkeiten rehabilitierte, die als „Konterrevolutionäre“ verfolgt worden waren. Das Volk motivierte er so zur Verwirklichung seiner Wirtschaftsreform.

Xi hat jedoch bisher nur oberflächliche Kosmetik betrieben und im Volk keine echte moralische Basis gewinnen können. Was hat er in den einundeinhalb Jahren seiner Regierung für das Volk geleistet? Die Abschaffung des Arbeitslagersystems könnte als Xis Leistung zählen. In der Tat fand jedoch nur eine Umbenennung statt. Die Arbeitslager heißen jetzt Gefängnisse oder „Rechtserziehungsanstalten“. Gehirnwäsche und Menschenrechtsverletzungen gehen dort weiter – wie bisher. (Siehe: „Amnesty: An Chinas Arbeitslagern ändern sich nur die Namen“)

Xis zweites Verdienst könnte die Verurteilung von Bo Xilai sein: Der gestürzte KP-Star war einer der eifrigsten Menschenrechtsverletzer Chinas – nicht nur bei der Verfolgung der buddhistischen Falun Gong-Bewegung: Als Chef der Megacity Chongqing ließ Bo zum Beispiel dutzende erfolgreiche Unternehmer als Mafiosi hinrichten oder ins Gefängnis stecken und kassierte ihre Vermögen ein.

Mittlerweile wurde Bo zu lebenslanger Haft verurteilt – jedoch nur wegen „Korruption“. Die Opfer wurden bis dato nicht entschädigt. Für Xi Jinpings Regierungs-Bilanz sind dies Minuspunkte.

Wie macht er mit Falun Gong weiter?

Eine weitere gigantische Herausforderung für Xi ist die seit 14 Jahren andauernde Verfolgung der Falun Gong-Bewegung. Die „Kampagne zur Auslöschung von Falun Gong“ wurde 1999 von seinem Vor-Vorgänger Jiang Zemin gestartet und ist die bisher brutalste und umfangreichste Verfolgungskampagne in der Geschichte der KPCh.

Über 100 Millionen Chinesen, fast ein Zehntel der chinesischen Bevölkerung, wurden zum Staatsfeind erklärt, weil sie die fünf Qigong-Übungen praktizieren, die in den 90er Jahren wegen ihrer außergewöhnlichen Wirkung auf Körper und Geist hochpopulär wurden. Mehrere Millionen Falun Gong-Praktizierende sind bis heute spurlos verschwunden. Ausländische Ermittler schätzen die Anzahl der Todesopfer, allein durch Organraub in Arbeitslagern und Gefängnissen, in die Zigtausende. Außer den Praktizierenden sind deren Angehörige und Kollegen direkt betroffen.

Zwar hat Xi die Verfolgung bisher nicht weiter angekurbelt, er hat aber auch nichts unternommen, um sie zu beenden. Vielleicht möchte er warten, bis seine Macht gefestigter ist. Doch wie viele Menschen müssen bis dahin noch sterben? Riesige Geldsummen verschlingt die Kampagne außerdem.

Neben den 100 Millionen Falun Gong-Anhängern warten weitere Gruppen auf Gerechtigkeit: Tibeter, Uighuren, Zwangsenteignete, et cetera. Um in China wirkliche Veränderung zu bewirken, müsste Xi zuerst den Mut und den Willen haben, diese Menschen vor der staatlichen Unterdrückungs-Maschinerie zu retten. Diesen Willen hat er offenbar noch nicht. Zur Zeit steht für ihn immer noch die Rettung des Regimes an erster Stelle. (Siehe „Regime-Erhalt ist Top-Priorität für Chinas KP“)

Und das, obwohl er bereits begonnen hat, von einem gerechteren China zu träumen …

Ende November 2012, als er gerade mal zwei Wochen lang Parteichef war, sprach Xi Jinping gegenüber den Politbüro-Mitgliedern zum ersten Mal über seinen „China-Traum“. Diese „großartige Renaissance“ chinesischer Größe sei bis Ende des 21. Jahrhunderts realisierbar, da sei er zuversichtlich, so Xi.

Die Inhalte von Xis China-Traum sind unter anderem „Gerechtigkeit und Fairness“, die mehr Rechtstaatlichkeit, unabhängige Justiz und Demokratie ermöglichen sollen; wirtschaftlicher Aufschwung und die Anhebung des Lebensstandards; Fortschritte in Kultur und Bildung; Innovation der Technologie und Wissenschaft. China solle in Zukunft ein reiches Land mit hochentwickeltem Militär werden, das international mehr Verantwortung übernehmen und „zum Weltfrieden beitragen“ solle.

Gegenüber US-Präsident Obama äußerte Xi 2013 sogar, dass sein China-Traum dem amerikanischen Traum ähnele.

Nun ist die Frage, soll die von Xi erträumte Renaissance der chinesischen Nation, oder dem Regime gelten? Wünscht er sich eine Renaissance der Nation, müsste er zuerst ein China ohne KPCh erschaffen. Da sich die KPCh vor allem darin hervorgetan hat, das physische und geistige Erbe der 5000-jährigen Zivilisation Chinas zu zerstören, wird es mit ihr als Regierung niemals eine Renaissance geben.

Wie die Gegner seine Träume zunichte mache

Auch stehen der Verwirklichung von Xis Traum noch einige Leute im Weg: Die Clique um Xi Jinpings 87-jährigen Vor-Vorgänger Jiang Zemin verschärft durch ihr Verhalten die Krise aufs Äußerste. Politisch hat sie die Verfolgung von Falun Gong zu verantworten – ein unhaltbarer Zustand, den sie mit allen Mitteln am laufen halten will, auch wenn Chinas Bevölkerung die Propaganda mittlerweile durchschaut und keine Lust mehr hat, mitzumachen. (Siehe: „Wie Chinas Polizisten gegen Falun Gong-Verfolgung opponieren“)

Wirtschaftlich blockiert Jiang gemeinsam mit anderen alten Kaderfamilien Xi Jinpings Reformversuche: Sie sind die Nutznießer, welche die Staatsfirmen kontrollieren und durch korrupte Netzwerke die Gewinne abschöpfen, welche die Chinesen in den vergangenen 30 Jahren erwirtschaftet haben.

Inselstreit und Weltkriegs-Pläne

Xi Jinping hat in seinem ersten Amtsjahr zwar Versuche unternommen, um mehr Marktwirtschaft zu schaffen und die Staatsmonopole aufzulösen – aber Jiang ist dagegen.

Da Xi in Polizei und Militär noch nicht wirklich Fuß gefasst hat, gibt es dauernd unangenehme Zwischenfälle, die ein schlechtes Licht auf ihn werfen: Die Flugüberwachungszone rund um die Senkaku-Inseln ging zum Beispiel auf das Konto einiger alter Generäle aus dem Gefolge Jiang Zemins. Hier schmiedet man zur Rettung der eigenen Macht schon mal Pläne für einen Dritten Weltkrieg. (Siehe: „China plant 3. Weltkrieg um das Regime zu retten“)

Jiang Zemin weiß, dass Xi auf dem internationalen Parkett einen relativ guten Ruf besitzt, von der Obama- bis zur Merkel-Regierung stehen viele westliche Länder hinter ihm, die sich für China mehr Demokratie und Freiheit wünschen und Hoffnung in ihn setzten.

Terror soll Xis guten Ruf ruinieren

Jiang verfolgt deshalb eine neue Strategie, um Xi aus dem Amt zu drängen: Mit Attacken wie dem Bahnhofs-Blutbad von Kunming will er Chaos stiften und Xis Ruf im Ausland ruinieren, außerdem die chinesische Bevölkerung gegen ihn aufbringen. Nun steht Xi vor der Frage, wie er den Gegner ausschalten kann.

Er hat schon einige Persönlichkeiten des Jiang Zemin-Kreises gestürzt: Sein Konkurrent Bo Xilai ist verurteilt, Ex-Stasi-Chef Zhou Yongkang und viele seiner Vertrauten verhaftet. Sogar den Leiter des Büros 610, Li Dongsheng, der offizieller Organisator der Falun Gong-Verfolgung war, hat er unschädlich gemacht – doch alles unter dem Vorwand der Korruption.

Nun muss er sich entscheiden …

Dass die Obengenannten Hauptverantwortliche in der Verfolgung von Falun Gong sind, hat Xi noch nicht öffentlich erwähnt. Zu sehr fürchtet er sich selbst vor dem Verlust seiner Macht und dem Zusammenbruch der KPCh. Die Verfolgung zu beenden und ihre Drahtzieher vor Gericht zu stellen, wäre jedoch der sicherste Weg, um Jiang Zemin schachmatt zu setzen und die Herzen der chinesischen Bevölkerung zu gewinnen.

Xi müsste bereit sein, auf die KPCh zu verzichten – nur dann hätte er eine Chance, die Verwirklichung des „chinesischen Traums“ zu erleben. Schafft er es nicht, über den Schatten der Vergangenheit zu springen, droht ihm und der KPCh der Alptraum des Untergangs.



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