Inspiration vom größten Künstler der Antike

Phidias erlitt während seiner gesamten Karriere Prüfungen und Schwierigkeiten. Die Art und Weise, wie er damit umging, macht sein Vermächtnis aus.
Titelbild
Teile der Parthenon-Marmoren, auch bekannt als Elgin-Marmoren.Foto: Dan Kitwood/Getty Images
Von 3. Juli 2022

Blättert man in neuen Lehrbüchern der Kunstgeschichte oder Geisteswissenschaften, lässt sich sein Name darin kaum bis gar nicht finden: Die Rede ist von Phidias (auch „Pheidias“ geschrieben), der wohl bedeutendste Künstler der griechischen Antike. Er war ein Phänomen seiner Zeit, ein Michelangelo der antiken Welt, sozusagen. In Athen wurde er durchaus als der größte Künstler gepriesen, sein Ruhm reichte so weit wie die griechische Zivilisation.

Am erstaunlichsten sind jedoch sehr wohl auch die Prüfungen, denen Phidias zu Lebzeiten ausgesetzt war und insbesondere, wie er auf diese reagierte. Dazu später mehr.

Wer schon einmal dem British Museum in London einen Besuch abgestattet hat und einen Blick auf die legendären „Elgin-Marbles“ (Elgin-Marmore) beziehungsweise „Parthenon-Marbles“ (Parthenon-Marmore) geworfen hat, der hat die beeindruckenden Leistungen von Phidias zumindest schon einmal gesehen, oder sogar erkannt. Kein Geringerer als Phidias war für die meisterhaften Marmorskulpturen verantwortlich, die den antiken griechischen Parthenon schmückten. Eine überragende künstlerische Leistung, die Athene, Schutzgöttin Athens, Tribut zollte.

Die Marmor-Friese – dreidimensionale figürliche Reliefs an den Wänden des Tempels – werden noch 24 Jahrhunderte später für ihre hervorragende Darstellung der menschlichen Figur gerühmt. Die Elgin-Figuren wirken verblüffend lebensecht und sind in Kompositionen angeordnet, die nach Ansicht von Kunsthistorikern insgesamt eine „monumentale“ Qualität vermitteln.

„Phidias zeigt seinen Freunden den Fries des Parthenon“, 1868, von Sir Lawrence Alma-Tadema. Foto: Public domain

Künstlerisch am bedeutendsten war jedoch die schlichte und harmonische Darstellung des menschlichen Körpers, ein Markenzeichen von Phidias. Es führte zu dem, was heute als Musterbeispiel des „klassischen“ oder „idealistischen“ Stils gilt, der der Inbegriff der griechischen Kunst des späteren 5. bis 4. Jahrhundert vor Christus ist. Im Gegensatz dazu steht der spätere „hellenistische“ Stil, der durch eine Fixierung auf Pathos, Melodrama und emotionalen Extremismus gekennzeichnet war. Das Gleichgewicht, die Harmonie und der Sinn für Selbstbeherrschung, die in den Werken des Phidias aus dem Goldenen Zeitalter Athens zu finden waren, gehörten da schon der Vergangenheit an.

Die Elgin-Marmore verblassen in ihrer Pracht jedoch gegenüber dem, was Phidias und seine Assistenten einst für das innere Heiligtum des Parthenon entwarfen: eine kolossale Statue der Athena Parthenos. Sie war etwa 11,3 Meter hoch, über eine Tonne schwer und komplett aus Elfenbein und massivem Gold gefertigt.

Dem Archäologen und Kunsthistoriker Kenneth Lapatin zufolge führte Phidias eine völlig neue Technik der Elfenbeinbearbeitung ein. Sie ermöglichte ihm und den Mitarbeitern seiner Werkstatt das Elfenbein von Elefantenstoßzähnen zu „entrollen“ – ähnlich dem Anspitzen eines Bleistifts – und es in jede erdenkliche Form zu bringen. So wurden große, geformte Stücke dieses Elfenbeins Stück für Stück in mühevoller Kleinarbeit auf einem großen Holzrahmen angebracht. Anschließend wurde die Figur der Athene mit kunstvollen Goldverzierungen versehen. Allein die Fertigstellung der Statue soll schätzungsweise neun Jahre gedauert haben.

Athena Parthenos von Alan LeQuire (1990) stellt die verlorene Statue von Phidias mit modernen Materialien nach. Sie befindet sich in einer maßstabsgetreuen Nachbildung des Parthenon im Centennial Park von Nashville. Foto: Dean Dixon/Free Art License

Erfolg und Widrigkeiten

Um 432 vor Christus, als das Parthenon-Projekt abgeschlossen war, wurde Phidias als Genie und Meister gefeiert. Doch mit zunehmender Berühmtheit wuchs auch die Zahl seiner Kritiker. Und hierin liegt der zweite Teil der Geschichte von Phidias: die Widrigkeiten, mit denen er konfrontiert war und was Jahrtausende später aus seinem Umgang damit gelernt werden kann. Was oft vergessen wird, wenn manch einer sich von Glanz und Gloria blenden lässt, die mit Ruhm und Reichtum einhergehen: Der hohe Preis, den eine solche Bekanntheit mit sich bringt, und welche Herausforderungen damit verbunden sind.

Einige Zeit nach Beendigung seiner Arbeit am Parthenon (die historischen Quellen sind nicht eindeutig), geschah das Undenkbare: Phidias wurde beschuldigt, Gold gestohlen zu haben, das für den Bau seiner Athena bestimmt war. Zwar konnte er vor einem athenischen Gericht seine Unschuld beweisen (einer Quelle zufolge hatte er Athenas goldenen Schmuck auf raffinierte Weise so gebaut, dass man ihn abmontieren konnte, sodass er im Falle einer solchen Anschuldigung abgewogen werden konnte), doch seine Gegner setzten noch eins drauf. Sie beschuldigten ihn der Pietätlosigkeit. So hatte Phidias angeblich Bilder von sich selbst und seinem mächtigen Gönner Perikles in den Schild der Athena eingearbeitet. Eine Anschuldigung, die, sollte sie wahr sein, angesichts der kreativen Freiheit, mit der Künstler im Laufe der Jahrhunderte versucht haben, ihre „Signatur“ oder ihr Konterfei in ein Werk einzubetten, durchaus verzeihlich wäre. Man denke zum Beispiel an Raffaels „Schule von Athen“.

Eine Darstellung der Zeus-Skulptur von Phidias im Haupttempel von Olympia, von Quatremère de Quincy, 1815. Die Statue wurde schließlich zerstört. Foto: Public domain

Die Abfolge der Ereignisse, die daraufhin folgten, ist etwas undurchsichtig. Offensichtlich ist jedoch, dass diese zweite Anklage schwerer zu widerlegen war. So wurde Phidias (einigen Berichten zufolge) entweder ins Exil geschickt oder (anderen Berichten zufolge) in einem athenischen Gefängnis eingesperrt.

Interessant ist nun, wie Phidias darauf reagierte. War er am Boden zerstört? Immerhin hatte er gerade fast ein Jahrzehnt lang, Tag für Tag Herz und Seele in ein bahnbrechendes Werk von majestätischer Imposanz gesteckt. Oder war er zumindest verbittert, was durchaus gerechtfertigt wäre? Hängte er Hammer und Meißel und damit auch seine Karriere an den Nagel?

Über die psychologischen Details und die dunklen Stunden, die Phidias wohl erlitten haben musste, lässt sich nur spekulieren. Die historischen Aufzeichnungen machen eines aber deutlich: Er erholte sich schnell und wurde sogar erfolgreicher als zuvor. Phidias reagierte auf die grausame Behandlung in einer klassischen Manier, die ihresgleichen sucht. Anstatt sich von seinen Gegnern unterkriegen zu lassen, richtete er sich auf. Er erhielt den Auftrag, das Meisterwerk in Olympia zu reproduzieren – dem damaligen Austragungsort der größten Veranstaltung der antiken Welt, der Olympischen Spiele. An jenem Ort baute er etwas so Vollkommenes, das später als eines der sieben Weltwunder in die Geschichte eingehen sollte: eine massive, 12 Meter hohe Statue aus Elfenbein, Gold und Ebenholz des großen griechischen Gottes Zeus.

Das Projekt war erneut eine Meisterleistung an Beharrlichkeit. Phidias und seine Assistenten benötigten ganze acht Jahre für den Bau.

Neben dem prachtvollen klassischen Stil und den legendären Monumenten, die Phidias der Welt als Geschenk hinterlassen hat, scheint seine Lebensgeschichte von ebenso großem Wert.

Pallas Athene nach Theophil von Hansen
vor dem österreichischen Parlaments-gebäude. Foto: Public domain



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