Selbstmordversuche unter Teenagern zugenommen – Wie kann man helfen?

Wir müssen proaktiv sein und offene Gespräche über die schwierigen Gefühle führen, mit denen junge Menschen zu kämpfen haben.
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Ein deprimierter Teenager.Foto: iStock
Von 14. Februar 2022

Eine Studie des Universitätsklinikums Essen beschäftigt sich mit den Folgen des zweiten Lockdowns im Frühjahr 2021 unter Kindern und Jugendlichen. Die Ergebnisse sind katastrophal. Deutschlandweit wurden von Mitte März bis Mai 2021 rund 500 Kinder und Jugendliche wegen Suizidversuchen auf die Intensivstationen der bundesdeutschen Krankenhäuser gebracht. Damit steigerte sich dieser traurige Wert um das Dreifache gegenüber der von den Forschern ebenfalls betrachteten Vor-Corona-Zeiträume Mitte März bis Ende Mai der Jahre 2017 bis 2019. Mädchen im Teenageralter sind deutlich stärker betroffen.

Ein Blick in die USA zeigt eine ebenfalls erschreckende Statistik: Die US-amerikanischen „Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention“ (CDC, Centers for Disease Control and Prevention) haben kürzlich in einer Statistik über Selbstmord bei Jugendlichen veröffentlicht, dass die Zahl der Aufnahmen in die Notaufnahme wegen Selbstmordversuchen bei Mädchen im Teenageralter im Jahr 2021 um 51,6 Prozent gegenüber dem Jahr 2019 gestiegen ist.

Was ist also los, und vor allem, was läuft für unsere Teenager-Mädchen so schrecklich schief? Was verursacht ein solches Ausmaß an Leid, dass Selbstmord als mögliche Lösung angesehen wird? Und, was noch wichtiger ist, was können Eltern und Erwachsene gegen diese beunruhigende neue Realität tun?

Soziale Beziehungen und Stimmungsstörungen

Die komplizierten Gründe für die Prävalenz von Angstzuständen, Depressionen und Selbstmordgedanken sind komplexer, als ich hier erörtern kann. Eine Theorie, die die obige Statistik zu erklären versucht, ist jedoch, dass insbesondere Mädchen für ihre psychische Gesundheit auf soziale Beziehungen zu Freunden, Lehrern und Schulen angewiesen sind. Diese sozialen Bindungen sind in den letzten zwei Jahren verloren gegangen oder wurden empfindlich gestört. Gleichzeitig wissen wir, dass eine schwerwiegende Störung des sozialen Rhythmus das Risiko für eine schwere depressive Episode bei Teenagern mit Stimmungsstörungen drastisch erhöht, wozu bis zu 20 Prozent der Mädchen gehören. Darüber hinaus haben 9 von 10 Jugendlichen, die Selbstmord begehen, eine psychiatrische oder psychische Erkrankung, von denen mehr als die Hälfte Stimmungsstörungen sind.

Es ist auch auffallend, dass mir in fast jedem Gespräch über dieses Thema, das ich mit Mädchen im Alter zwischen 10 und 19 Jahren geführt habe (einschließlich meiner eigenen Töchter im selbigen Alter), ein ähnlicher Satz wie dieser gesagt wurde: „Heutzutage können Mädchen nur verlieren“. Insbesondere, dass der Druck überwältigend und unerbittlich sei, in bestimmter Art und Weise auszusehen, einen bestimmten Körper, ein bestimmtes Gesicht zu haben, die richtigen Dinge zu kaufen, sich auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten und genügend Follower und Likes zu haben. Man hat das Gefühl, dass man entweder in jeder Hinsicht fabelhaft sein muss oder untergehen wird. Die Menge an Urteilen und Kritik, die auf unsere Mädchen in den sozialen Medien einprasselt, ist für viele von ihnen psychologisch nicht zu bewältigen. Dieser nicht enden wollende Ansturm raubt ihnen das Gefühl, jemals gut genug zu sein – oder überhaupt gut.

Mir geht es nicht darum, Theorien darüber aufzustellen, warum wir heute dort sind, wo wir sind. Vielmehr möchte ich anbieten, was ich kann, um zu helfen. Als Erstes müssen wir uns eine ernüchternde Wahrheit eingestehen, nämlich dass wir nicht immer wissen, wann unser Kind so sehr leidet, dass es Selbstmord in Betracht zieht.

Allein im letzten Jahr habe ich von zwei verschiedenen Familien erfahren, die einen Teenager durch Selbstmord verloren haben; in beiden Fällen waren die Eltern liebevoll und engagiert, wussten aber trotzdem nicht, wie sehr ihr Kind zu kämpfen hatte. Teenager sind wirklich gut darin, Dinge zu verbergen und geheimnisvoll zu sein; das ist ein Teil des Teenagerdaseins und der Individualisierung. Wir können unseren Kindern sehr zugetan sein und trotzdem nicht wissen, was wirklich in ihrem Kopf vor sich geht. Das Wichtigste ist also: Nur weil Ihr Kind Ihnen nicht sagt, wie sehr es leidet, heißt das nicht, dass Sie schuld an seinem Leiden sind und dass Sie etwas falsch machen.

Proaktiv das Gespräch suchen

Dennoch liegt es an uns als Eltern, proaktiv zu handeln und mit unseren Kindern über ihre schwierigen Gefühle zu sprechen. Wir müssen diejenigen sein, die die schwierigen Themen ansprechen: Isolation, Einsamkeit, Angst, Depression, Beklemmung, Hoffnungslosigkeit und Selbstmord. Wir müssen sie ganz unverblümt fragen, ob sie jemals daran gedacht haben, sich etwas anzutun, und wenn ja, warum. Und wir können sie fragen, ob sie bereit sind, mit uns einen Pakt zu schließen, dass sie zuerst zu uns kommen, egal was passiert, und mit uns reden, bevor sie etwas tun, was ihnen schadet. Ebenso müssen wir uns erkundigen, was sie online tun, mit wem sie sprechen und worüber.

Tatsache ist, dass wir nicht darauf warten können, dass unsere Kinder zu uns kommen oder – Gott bewahre – nicht zu uns kommen, wenn sie Schmerzen haben. Selbst wenn sie uns nur mit einem Wort antworten oder nur mit den Schultern zucken, müssen wir sie einladen, über das zu sprechen, was ihnen wehtut. Es ist von größter Bedeutung, dass wir ihre Verwirrung, Angst, Wut, Traurigkeit und all die anderen Erlebnisse willkommen heißen. Es zeigt unseren Kindern, dass wir uns nicht nur für ihre starken, erfolgreichen und belastbaren Seiten interessieren, sondern für sie als Ganzes, einschließlich der Aspekte, die sie vielleicht für beschämend und unerwünscht halten. Darüber hinaus zeigt unser anhaltendes Interesse an ihrem Innenleben, dass wir die emotionale Stärke und Stabilität besitzen, um ihre schwierigen Gefühle auszuhalten, dass wir keine Angst vor ihren großen Problemen haben, sodass sie das auch nicht müssen.

Und nur für den Fall, dass Sie sich Sorgen machen: Wenn Sie das Thema Selbstmord ansprechen, führt das nicht zu einer Depression. Wenn ein Kind nicht depressiv ist, wird es auch nicht depressiv, wenn man darüber spricht. Wir als Eltern müssen über die schwersten Gefühle unserer Kinder sprechen, damit sie wissen, dass wir für sie da sind und ihnen helfen, wenn sie solche Dinge fühlen.

Die Realität ist, dass unsere Kinder in einer Welt aufwachsen, in der wir heute Masken tragen, um uns voreinander zu schützen. Sie wachsen in einer Welt auf, in der wir über das Ende der bewohnbaren Erde sprechen. Es ist ein beängstigender und chaotischer Ort, um ein Mensch zu werden. Angst und Hoffnungslosigkeit sind nur ein Teil ihrer Lebenserfahrung. Wir müssen diese Realitäten anerkennen und unsere Kinder wissen lassen, dass wir verstehen, womit sie zu kämpfen haben.

Es ist nicht immer klar, in welchem Maß unser Kind leidet – oder was es dagegen zu tun gedenkt. Es gibt jedoch bestimmte Warnzeichen, auf die Sie achten sollten, vor allem, wenn Ihr Kind vor Kurzem eine emotionale Erschütterung, einen Todesfall, eine öffentliche Demütigung oder einen erheblichen Schlag gegen sein Selbstwertgefühl oder sein Zugehörigkeitsgefühl erlebt hat.

Warnzeichen

Nach Angaben der American Psychological Association sind einige der Warnzeichen für Selbstmord bei Jugendlichen folgende:
– Veränderungen im Aussehen oder in der Hygiene
– Vermehrter Alkohol- oder Drogenkonsum
– Plötzliche Verschlechterung der Noten
– Sozialer Rückzug
– Reden über Selbstmord oder Beschäftigung mit dem Tod. Kommentare wie: „Nichts ist wichtig“, „Ich kümmere mich nicht mehr“, „Manchmal wünsche ich mir, ich könnte einfach einschlafen und nie wieder aufwachen“, „Alle wären ohne mich besser dran“ oder „Ihr müsst euch nicht mehr lange um mich sorgen“.
– Gespräche über Hoffnungslosigkeit oder darüber, dass es nichts gibt, wofür es sich zu leben lohnt
– Riskante oder rücksichtslose Verhaltensweisen und Impulsivität
– Selbstbeschädigung
– Erforschung von Selbstmordmethoden oder Erwerb von potenziellen Waffen
– Verschenken von Besitztümern
– Gruppendruck und Mobbing
– Verwirrung über die sexuelle oder geschlechtliche Identität

Die Pubertät ist zwar von Launenhaftigkeit und unbeständigen Emotionen geprägt, doch wenn Ihr Kind seit einigen Wochen niedergeschlagen wirkt oder sich seine Stimmung merklich verändert hat, kann dies ein Zeichen dafür sein, dass etwas Größeres im Gange ist.

Was Sie tun können, um Ihrem Teenager zu helfen

Wenn Sie glauben, dass Ihr Teenager in unmittelbarer Gefahr ist, rufen Sie den Notruf 112 oder die Telefonseelsorge unter der Nummer 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222. Die Telefonseelsorge steht Ihnen kostenlos und anonym 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Auch das deutschlandweite Info-Telefon für Depressionen ist kostenlos unter 0800 33 44 5 33 erreichbar.

Wenn die Gefahr nicht unmittelbar bevorsteht, können Sie verschiedene andere Schritte unternehmen, um Ihrem Kind zu helfen.

– Holen Sie sich professionelle Hilfe. Sie können damit beginnen, mit dem Kinderarzt Ihres Kindes zu sprechen. Selbst wenn Sie der Meinung sind, dass das Verhalten Ihres Teenagers durch die Pubertät, eine kürzliche Trennung, einen Wechsel in der Freundesgruppe, einen Misserfolg oder ein anderes belastendes Ereignis erklärt werden kann, sollten Sie sich trotzdem professionelle Hilfe holen.
– Achten Sie genau auf die Warnzeichen.
– Sprechen Sie mit Ihrem Kind über seine Gefühle; seien Sie neugierig, stellen Sie Fragen und hören Sie sich die Antworten aktiv an. Scheuen Sie sich nicht, das Wort „Selbstmord“ in den Mund zu nehmen. Damit bringen Sie Ihr Kind nicht auf diese Idee und ermutigen es nicht, darüber nachzudenken.
– Weisen Sie die Gefühle Ihres Kindes niemals zurück und nehmen Sie sie ernst.
– Erinnern Sie Ihren Teenager daran, dass Sie ihn lieben, und versichern Sie ihm, dass er diese schwere Zeit durchstehen kann und dass Sie ihm zur Seite stehen.
– Beobachten Sie den Gebrauch der sozialen Medien durch Ihren Teenager und sprechen Sie mit ihm über sein Online-Leben.
– Ermutigen Sie ihn, sich nicht von Freunden und Familie zu isolieren.
– Ermutigen Sie ihn, Sport zu treiben, und wenn nötig, trainieren Sie mit ihm.
– Überwachen Sie Medikamente.
– Schließen Sie alle Waffen (und möglicherweise Medikamente) im Haus ein.

Es ist schwer (und schmerzhaft), heutzutage ein Teenager-Mädchen zu sein. Es ist auch schwer (und schmerzhaft), Eltern eines Mädchens im Teenageralter zu sein. Das sind vielleicht unabänderliche Wahrheiten, aber wir können einen großen Einfluss darauf nehmen, wie unser Kind mit seinem Schmerz umgeht und was es daraus macht. Es ist wichtig zu sagen, dass wir manchmal, auch wenn wir alles Menschenmögliche tun, um das Leiden unseres Kindes zu lindern, ihm trotzdem nicht helfen können. Trotz unserer liebevollen Absichten und Handlungen können wir die psychische Gesundheit unseres Kindes nicht immer kontrollieren. Aber wir können unserem Kind mit unseren Absichten und Handlungen helfen, und diese Möglichkeiten sind genau der Grund, warum wir es versuchen – und niemals aufhören, es zu versuchen.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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