Kurz vor dem Jahrestag des Sturzes des langjährigen syrischen Machthabers Baschar al-Assad ist eine Delegation des UN-Sicherheitsrats zu einem Besuch in Syrien eingetroffen. Die Vertreter des höchsten UN-Gremiums besichtigten am Donnerstag einen schwer beschädigten Vorort von Damaskus, wie die syrische Nachrichtenagentur Sana berichtete.
Erster Besuch des Sicherheitsrats in Syrien
Später seien Treffen mit syrischen Behördenvertretern und Mitgliedern der Zivilgesellschaft geplant. Für Freitag stehen demnach Gespräche mit dem Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa auf dem Programm, anschließend werde die Delegation in den Libanon weiterreisen.
Der UN-Sicherheitsrat hatte vor knapp einem Monat die Sanktionen gegen al-Scharaa aufgehoben. Der erste Besuch von Vertretern des Sicherheitsrats in Syrien überhaupt erfolge zu einem für die Region „entscheidenden Zeitpunkt“, hatte der slowenische UN-Botschafter Samuel Zbogar am Montag gesagt.
Slowenien hat derzeit den Vorsitz im Sicherheitsrat inne. Es gebe „immer noch ein gewisses Misstrauen in den Beziehungen zwischen den Vereinten Nationen und Syrien“, das überwunden werden müsse.
Die islamistische HTS-Miliz unter Führung des heutigen Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa und mit ihr verbündete Gruppen hatten am 8. Dezember die Hauptstadt Damaskus erobert. Assad floh daraufhin nach Russland.
Die HTS ist ein früherer Zweig von Al-Kaida, sagte sich jedoch bereits vor Jahren von dem Terrornetzwerk los. Seit seinem Amtsantritt bemüht sich al-Scharaa um ein moderateres Image und internationale Anerkennung.
„Damascus Dossier“: 70.000 neue Beweise für systematische Folter
Zehntausende bislang unveröffentlichte Fotos und Dokumente belegen laut Medienberichten das Ausmaß der Menschenrechtsverbrechen unter der Herrschaft des vor einem Jahr gestürzten syrischen Machthabers Baschar al-Assad.
Dem NDR und weiteren Medien liegt laut einem Bericht vom Mittwoch eine Datei mit mehr als 70.000 Bildern vor, darunter zehntausende Aufnahmen von toten Häftlingen, Geheimdienstunterlagen, Listen von Militärangehörigen und Totenscheine von Gefangenen.
Dem Bericht zufolge legen die Daten offen, wie in Syrien bis zu Assads Sturz im Dezember 2024 Menschen bespitzelt, eingesperrt und zu Tode gefoltert wurden. Der größte Teil der Leichen auf den Fotos zeigt demnach Anzeichen von Unterernährung, viele Leichen seien bis auf die Knochen abgemagert. Außerdem seien Spuren massiver Gewalt sichtbar, die auf systematische Folter hinwiesen.
Recherchen zeigen dem Bericht zufolge, dass Militärkrankenhäuser bei der Repression in Syrien eine wichtige Rolle spielten. So hätten Ärzte aus dem Harasta-Militärkrankenhaus in Damaskus Todesscheine von Häftlingen abgezeichnet und unabhängig von der eigentlichen Todesursache standardmäßig „Herzstillstand“ vermerkt.
Überlebende Häftlinge berichteten dem Bericht zufolge von einer eigenen Folteretage in dem Krankenhaus. Dem Bericht zufolge ergaben Recherchen, dass früher in dem Krankenhaus beschäftigte Ärzte heute in Deutschland praktizieren.
Konsequenzen in Deutschland
Die Fotos der getöteten Syrer sind dem Bericht zufolge auch für deutsche Ermittler von Bedeutung, da syrische Täter gemäß dem Weltrechtsprinzip auch in Deutschland für in Syrien verübte Verbrechen angeklagt werden können.
Die Daten liegen dem Bericht zufolge auch dem Generalbundesanwalt vor, der sie prüfe und auswerten wolle. Die Bundesanwaltschaft führt demnach derzeit eine mittlere zweistellige Zahl an Ermittlungsverfahren und hat im Rahmen eines Strukturermittlungsverfahrens bereits weit mehr als 2000 Zeugen vernommen.
Die Unterlagen wurden dem Bericht zufolge dem NDR zugespielt, der sie mit dem WDR, der „Süddeutschen Zeitung“, dem Internationalen Consortium Investigativer Journalisten (ICIJ) und zahlreichen internationalen Medienpartnern geteilt habe. Die Ergebnisse der gemeinsamen Recherchen werden demnach ab sofort weltweit unter dem Titel „Damascus Dossier“ veröffentlicht.
Baschar al-Assad herrschte fast ein Vierteljahrhundert in Syrien, bis er am 8. Dezember 2024 von Kämpfern der islamistischen Miliz HTS und verbündeten Verbänden gestürzt wurde und nach Moskau floh.
Assad werden massive Menschenrechtsverstöße sowie Kriegsverbrechen vorgeworfen, darunter Folter und Ermordung von Andersdenkenden sowie der Einsatz von Giftgas im Bürgerkrieg.(afp/red)