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90 Prozent weniger Emissionen

Brüssel legt neues Klimaziel für 2040 fest – deutsche Industrie: „Nicht realistisch“

Die Europäische Kommission will die Treibhausgasemissionen in der EU bis 2040 um mindestens 90 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Ein Teil davon soll durch international anerkannte Klimazertifikate kompensiert werden dürfen. Die Deutsche Industrie hält das neue EU-Klimaziel für „nicht realistisch“.

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Deutschland emittiert immer weniger Kohlenstoffdioxid.

Foto: Canva, Collage: Ani Asvazadurian/Epoch Times

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Lesedauer: 5 Min.

Bei den europäischen Klimazielen für 2040 will die EU-Kommission auf Druck einiger Mitgliedsländer mehr Spielraum geben. Ziel bleibt einem Brüsseler Gesetzesvorschlag vom Mittwoch zufolge, den Treibhausgasausstoß der EU-Länder im Vergleich zum Jahr 1990 um 90 Prozent zu senken.
Dabei lässt die Kommission eine Hintertür: Für einen Teil der Emissionen sollen die Staaten CO₂-Zertifikate aus dem Ausland anrechnen können.

Ab 2036 CO₂-Zertifikate kaufen

Fest steht: Die innerhalb der EU ausgestoßene Menge an Treibhausgasen wie Kohlendioxid und Methan soll im Vergleich zu 1990 um mindestens 87 Prozent sinken. Dabei erlaubt die EU, sogenannte Kohlenstoffsenken anzurechnen.
Das sind Prozesse, bei denen Kohlendioxid aus der Luft wieder eingespeichert wird, auf natürliche Weise in Wäldern und Meeren oder durch Technologien wie CCS (Carbon Capture and Storage).
Für die übrigen 3 Prozent dürften die EU-Länder den Vorschlägen der Kommission zufolge ab dem Jahr 2036 CO₂-Zertifikate kaufen und damit Kohlendioxidspeicher oder Einsparungen in Drittstaaten bezahlen.
Auf eine ähnliche Weise bezahlt die Schweiz etwa Elektrobusse in Thailand. Ob die in Brüssel vorgesehenen 3 Prozent voll ausgeschöpft würden, ist fraglich.
„Das sind möglicherweise erhebliche Summen, die im Ausland ausgegeben werden, anstatt die Wende zu finanzieren“, sagte der Direktor der klimapolitischen Denkfabrik Strategic Perspectives, Neil Makaroff, der Nachrichtenagentur AFP.
Der Grünen-Europaabgeordnete Michael Bloss sprach von einem „Ablasshandel“. Er warnte vor Betrug mit Doppelzählungen oder kurzfristigen Projekten im Ausland, die den Treibhausgasausstoß nicht dauerhaft senken.
„Die Herausforderung wird sein, dass die Europäische Union einen Standard etabliert, damit diese internationalen Zertifikate tatsächlich helfen, die Emissionen zu senken“, erklärte Makaroff. Einen solchen EU-weiten Qualitätsstandard gibt es bislang nicht, auch Verhandlungen auf internationaler Ebene sind nicht abgeschlossen.

Klimaziele für einzelne Branchen aufweichen

Die EU-Kommission will zudem die Klimaziele für einzelne Branchen aufweichen. Mitgliedsländer könnten dann zum Beispiel stockende Fortschritte in der Landwirtschaft durch überdurchschnittlich große CO₂-Einsparungen im Verkehr ausgleichen.
„Jeder Mitgliedstaat ist anders und steht vor unterschiedlichen Herausforderungen“, erklärte EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra das Vorgehen.
Der Wert für 2040 ist ein Zwischenziel auf dem Weg zur Klimaneutralität der EU bis 2050. Dann sollen die 27 Länder nur noch so viel ausstoßen, wie die Natur aufnimmt oder mit technischen Methoden gespeichert werden kann.
Für ein erstes Zwischenziel – 55 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2030 – sehen Forscher die EU auf einem guten Weg, danach dürfte es schwieriger werden.

Deutsche Industrie hält neues EU-Klimaziel für „nicht realistisch“

Die Vorschläge aus Brüssel liegen auf einer Linie mit dem Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung. „Deutschland gehört innerhalb der Europäischen Union zu den ambitionierten Staaten“, erklärte der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese.
Er warnte, ohne eine Möglichkeit für Zertifikate aus dem Ausland gebe es unter den EU-Staaten keine Mehrheit für eine Reduktion um 90 Prozent.
Die deutsche Industrie sieht das neue EU-Klimaziel für 2040 höchst kritisch. Es sei „deutlich zu hoch gegriffen“ und „nicht realistisch“, erklärte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Achim Dercks, am Mittwoch.
Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, sprach von einem „hochambitionierten“ Ziel. Die Skepsis teilen etwa auch die Auto- und Chemieindustrie.
„Wie die CO₂-Emissionen bis zum Jahr 2040 europaweit um 90 Prozent reduziert werden können, ist […] aktuell nicht erkennbar“, erklärte die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, Hildegard Müller.
Das Ziel sei „zu ambitioniert gesetzt“. Klimapolitik könne nur funktionieren, wenn sie mit „wirtschaftlicher Prosperität gemeinsam vorangetrieben“ werde. Dercks von der DIHK warnte vor einer Überforderung der deutschen Wirtschaft und einem „spürbaren Rückgang von Wertschöpfung und Wohlstand“.
Der Maschinen- und Anlagenbau sieht dieses Risiko offenbar nicht: „Es ist ermutigend, dass die EU in Sachen Klimaschutz ambitioniert bleibt“, erklärte Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauverbandes VDMA. Es bedürfe ehrgeiziger Ziele.

EU-Umweltminister treffen sich im September in Brüssel

Länder wie Italien und Tschechien hatten sich offen für niedrigere Klimaziele ausgesprochen, sie verweisen auf die Schwerindustrie in ihren Ländern. Frankreich will seinerseits erreichen, dass Kernenergie und erneuerbare Energien in den EU-Klimagesetzen gleichgestellt werden.
Die EU-Länder müssen nun mit dem Europaparlament über die Klimaziele verhandeln. Von den Plänen für 2040 wollen sie außerdem ein rechtlich nicht bindendes Ziel für 2035 ableiten, mit dem die EU zur nächsten Klimakonferenz COP30 im November in Brasilien fahren kann.
Die Entscheidung darüber könnte bei einem Treffen der EU-Umweltminister im September in Brüssel fallen. (afp/red)

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