EU-Staaten verhandeln über Chatkontrolle – Deutschland in Zwickmühle

Die Europäische Union ist sich einig: Kinder müssen stärker vor sexuellem Missbrauch im Internet geschützt werden. Sollen WhatsApp, Google, Signal und Co. deswegen dazu verpflichtet werden, alle Daten von Nutzern anlasslos zu durchsuchen? Deutschland hat sich noch nicht positioniert.
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Ein Kind schaut sich Videos auf dem Smartphone an. Symbolbild.Foto: iStock
Von 16. Dezember 2022

Cyber-Grooming, Gewalt, Kinderpornografie – im virtuellen Raum sammeln sich allerlei Dubioses und Illegales. Die EU-Staaten verhandeln derzeit über ein neues Gesetz, das Kinder vor sexuellem Missbrauch im Internet schützen soll. Bekannter ist die Initiative unter dem Titel „Chatkontrolle“. Demnach sollen Online-Anbietern dazu verpflichtet werden, alle Daten von Nutzern anlasslos auf Kindesmissbrauchsinhalte zu scannen.

Die Bundesregierung ist skeptisch, ringt derzeit aber noch um eine gemeinsame Haltung. Dabei hatten sich die Ampel-Parteien bereits im Koalitionsvertrag auf eine Position geeinigt. Darin heißt es explizit: „Allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab.“ FDP und Grüne wollen Kurs halten. Es gebe aber Hinweise, dass das von der SPD geführte Innenministerium auf EU-Ebene bisher anders verhandelt, sagte Grünen-Politikerin Konstantin von Notz. Das nehme die Partei „sehr ernst“.

Für viel Wirbel sorgte jüngst ein interner Positionsentwurf des Ressorts unter Hausherrin Nancy Faeser (SPD), der auf „Netzpolitik.org“ veröffentlicht wurde. Das Portal interpretierte das Papier als klares Zugeständnis Faesers für die massenhafte Überwachung aller Privatnachrichten. Laut dem Portal wolle die Innenministerin am umstrittenen „Client-Side-Scanning“ (CSS) festhalten. Mit dieser Technologie würden E-Mails und Messenger-Nachrichten „anlasslos und massenhaft überwacht“, so die Autoren.

Kein Klartext von Faeser

Tatsache ist, die Haltung des federführenden Innenministeriums ist keineswegs eindeutig und verschwimmt eher hinter den vagen Formulierungen. Das Rätselraten geht also weiter. So wird in dem Positionspapier an keiner Stelle der Einsatz von „Client-Side-Scanning“ kommentiert. Stattdessen ist allgemein von „Aufdeckungstechnologien“ die Rede.

Auch auf der Bundespressekonferenz am 14. Dezember versuchte die Innenministerin Klartext zu vermeiden. Zwar betonte sie – zum wiederholten Male –, sie sei gegen die Chatkontrolle. Doch im gleichen Atemzug verwirrt sie die Öffentlichkeit, als sie sagte, sie wolle sich dem Client-Side-Scanning „nähern“. Es gehe hier aber nicht darum, diese Technik auf den privaten Endgeräten zu installieren. Wie die Umsetzung sonst aussehen könnte, darüber müssten die Bürger wohl weiter rätseln.

Die Verwirrung scheint auch bei der Parteibasis angekommen zu sein. So sah SPD-Chefin Saskia Esken die Notwendigkeit abermals zu unterstreichen: „Eine Chatkontrolle lehnen wir rundheraus ab – auch in der Version des Client Side Scanning“. Darüber sei sie sich mit Faeser einig, schrieb Esken nach der Pressekonferenz auf der Plattform Mastodon.

Auch Justizminister Marco Buschmann verkündete, er habe ein „gutes Gespräch“ mit seiner Kollegin Nancy Faeser geführt. „Die Bundesregierung ist sich einig, dass wir klar gegen die Chatkontrolle sind. Eine anlasslose Überwachung privater Kommunikation hat im Rechtsstaat nichts zu suchen“, schrieb er auf Twitter.

Einige Anbieter setzen Chatkontrollen bereits um

Beim umstrittenen Client-Side-Scanning werden Daten auf den Geräten von Nutzern durchsucht, noch bevor sie verschlüsselt und versendet werden. Einige US-amerikanische E-Mail-Anbieter wie Gmail und Outlook.com führen bereits solche automatisierten Chatkontrollen durch. Grünes Licht hierfür gab das EU-Parlament im Juni 2021 im Rahmen einer zeitlich begrenzten Regelung. Demnach können Online-Anbieter die Geräte der Nutzer freiwillig nach Kindermissbrauchsinhalten scannen und melden. Nach Angaben der Schweizer Bundespolizei ist die Fehlerquote bei der automatischen Erkennung von Inhalten sehr hoch. Rund 80 Prozent maschinell gemeldeter Verdachtsfälle aus dem Jahr 2021 erwiesen sich als unbegründet.

IT-Forscher sind alarmiert über die „ernsthaften“ Sicherheits- und Datenschutzrisiken des CSS-Verfahrens. Sie befürchten den Missbrauch der Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten von CSS, etwa durch feindliche staatliche Akteure, Kriminelle oder auch Intimpartner der Nutzer. Dies sei möglich, „da die meisten Benutzergeräte Schwachstellen aufweisen“, schrieben die Wissenschaftler in einer 46-seitigen Studie, die von „Netzpolitik.org“ veröffentlicht wurde. Außerdem seien die mobilen Betriebssysteme so undurchsichtig, dass kaum überprüft werden könne, ob die CSS-Maßnahmen nur auf illegale Inhalte abzielen oder auch auf andere Daten zugreifen.

EU-Staaten halten sich noch bedeckt

Patrick Breyer von der Piratenpartei warnte: „Die Kommission schlägt ein verpflichtendes, allgemeines Überwachungssystem vor, das so extrem ist, dass es nirgendwo sonst in der freien Welt existiert.“ Das einzige Land, in dem es derlei wahllose Durchsuchungen gebe, sei das autoritäre China. Der Plan zur Massenüberwachung werde die Kinder im Stich lassen, so der EU-Abgeordnete. Stattdessen fordert er die „längst überfällige Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden, bekanntes Missbrauchsmaterial im Internet zu löschen sowie europaweite Standards für wirksame Präventionsmaßnahmen, Opferhilfe und -beratung und zeitnahe strafrechtliche Ermittlungen.“

Auf EU-Ebene ist bislang Österreich das einzige Land, das die Pläne der Chatkontrolle klar ablehnt. Andere Staaten meldeten zwar schwerwiegende Bedenken mit Blick auf die Privatsphäre, halten sich aber mit ihrer Position größtenteils noch bedeckt. Sollte die Chatkontrolle europaweit eingeführt werden, wäre dies für viele das Ende der privaten, intimen Kommunikation in der virtuellen Welt. Als Nächstes müssen die EU-Staaten und das EU-Parlament über die Vorschläge verhandeln.



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