Polen hat am Sonntag, 18. Mai, gewählt. 13 Kandidaten standen für die Nachfolge des scheidenden Präsidenten Andrzej Duda bereit. Duda darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Eine Amtszeit beträgt fünf Jahre. Da die Wahllokale erst um 21 Uhr schlossen und in Polen keine Hochrechnungen üblich sind, stützen sich die Prognosen auf die Befragung von Wählern kurz nach ihrer Stimmabgabe.
Laut einer
Wahlumfrage, die am späten Sonntagabend veröffentlicht wurde, erhielt Rafał Trzaskowski, der stellvertretende Vorsitzende der Partei Bürgerplattform (PO), 31,1 Prozent der Stimmen. Die PO ist die Partei von Premierminister Donald Tusk. Ihre Ausrichtung gilt als EU-orientiert und weltanschaulich liberal. Karol Nawrocki kam mit 29,1 Prozent der Umfragestimmen auf den zweiten Platz. Er ging für die konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ins Rennen.
Da keiner der Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen erreicht hatte, gehen Trzaskowski und Nawrocki am 1. Juni in eine Stichwahl.
Richtungswahl
Wie jede Wahl in Polen in den vergangenen zehn Jahren gilt auch diese Präsidentschaftswahl wieder einmal als Richtungswahl. Denn seit mindestens zehn Jahren ist die polnische Gesellschaft politisch in zwei Lager geteilt.
Für viele Wähler im Westen und im Norden um Danzig und Pommern stehen die Vorteile der EU sowie ein entspanntes Verhältnis zum Nachbarn Deutschland im Vordergrund. Sie tendieren mehrheitlich zur PO. Der PO-Präsidentschaftskandidat Trzaskowski versprach im Wahlkampf, mit der Regierung von Premierminister Tusk zusammenzuarbeiten, um etwa das Abtreibungsgesetz des Landes zu liberalisieren und eine Reform der polnischen Justiz voranzubringen.
In den übrigen Teilen des Landes, vor allem in den östlichen Grenzgebieten zu Belarus, der Ukraine und im südlichen Zentrum Krakau, liegen die Hochburgen der PiS-Partei. Sie äußert sich regelmäßig kritisch über die EU und erhebt 80 Jahre nach Kriegsende nach wie vor Reparationsforderungen gegenüber Deutschland.
Der scheidende Präsident Duda, bis zu seinem Amtsantritt PiS-Politiker,
verlangte wiederholt von Deutschland 1,5 Billionen Euro Kriegsreparationen und kritisierte eine als dominant wahrgenommene Rolle der Bundesregierung innerhalb der EU. Die von Deutschland völkerrechtlich anerkannte Abtretung der ehemaligen deutschen Gebiete in Polen wurde dabei nie erwähnt.
Der PiS-Kandidat für Dudas Nachfolge, Nawrocki, von Beruf Historiker und Leiter des Instituts für Nationales Gedenken, gab sich bisher ebenfalls stramm deutschkritisch und
beschimpfte bei einer Wahlveranstaltung im Februar in Częstochowa Premierminister Tusk als „Kammerdiener des deutschen Staates“.
Befugnisse des Präsidenten
Sollte der minimale Vorsprung Trzaskowski in der Stichwahl halten, würde der Machtwechsel von PiS zur PO vollständig umgesetzt sein. Seit 2023 regiert der PO-Premier Tusk, und mit Trzaskowski würde dann auch das Amt des Staatsoberhaupts an die liberale PO fallen. In Polen hat der Präsident mehr Befugnisse als der Bundespräsident in Deutschland. Er repräsentiert nicht nur, sondern hat bei manchen Gesetzen auch ein Vetorecht.
Tusks Koalition verfügt nicht über eine ausreichend große parlamentarische Mehrheit, um ein Veto des Präsidenten aufzuheben. Tusk konnte viele seiner Wahlversprechen bisher nicht einhalten, teilweise weil der amtierende konservative Präsident Duda sein Veto gegen die Gesetzgebung der Tusk-Regierung einlegte.
Ein Sieg von Trzaskowski am 1. Juni würde die Regierungsarbeit von Tusk beträchtlich entspannen. Im Verteidigungsfall übernimmt der Präsident zudem das Oberkommando über die polnischen Streitkräfte.
Die Konservativen
Der PiS-Politiker Karol Nawrocki warb genau mit dieser Sorge: Tusk müsse daran gehindert werden, in Polen die vollkommene Macht zu erlangen. Deshalb forderte er in der Wahlnacht die Anhänger zweier ebenfalls konservativer Kandidaten, Sławomir Mentzen, der Dritter wurde und 14,8 Prozent der befragten Stimmen laut Umfragen gewann, sowie Grzegorz Braun, der mit 6,3 Prozent Vierter wurde, dazu auf, „Polen vor Tusk zu retten“.
Insbesondere an Mentzen, der viele junge Wähler mobilisieren kann, gewandt, sagte Nawrocki laut
polnischer Presse: „Es ist Zeit, Polen zu retten. Wir beide wollen ein souveränes, starkes, reiches und sicheres Polen.“ Es sei nun wichtig, die Wahl am 1. Juni zu gewinnen, damit „kein Machtmonopol entsteht, damit es in Polen keine monolithische Macht gibt“.
Braun gilt als Antisemit, denn er sorgte 2023 für Schlagzeilen, als er nach einer Zeremonie zum Chanukkafest die Kerzen einer jüdischen Menora im polnischen Parlament mit einem Feuerlöscher löschte. Braun nannte das Chanukkafest „satanisch“.
Während einer Wahlveranstaltung im vergangenen Monat hatte er zahlreiche antiisraelische und antijüdische
Äußerungen von sich gegeben, darunter „dass Juden in polnischen Angelegenheiten zu viel, definitiv zu viel zu sagen hätten“. Die Bezirksstaatsanwaltschaft Warschau-Praga hat daraufhin eine Untersuchung gegen Braun eingeleitet.
Worauf es in der Stichwahl ankommt
In der Stichwahl wird viel davon abhängen, welcher Kandidat welche Wählerschaft mobilisieren kann. Nawrocki war landesweit unbekannt, bevor die PiS ihn zum Kandidaten kürte. Er gilt als katholisch-religiös und vertritt eine konservative Familienpolitik. Der PiS haftet allerdings auch das Image einer sozialistischen Wirtschaftspolitik mit großzügigen Staatsleistungen an.
Der Warschauer Bürgermeister Trzaskowski hingegen ist bei Weitem bekannter und kann möglicherweise auf die Stimmen der Anhänger jener Kandidaten zählen, die in der Tusk-Koalition bereits Juniorpartner sind: die Linken um Magdalena Biejat und die Partei Poland 2050 um den ehemaligen Journalisten Szymon Hołownia, der derzeit das Amt des Parlamentspräsidenten ausübt.