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Pressekonferenz offenbart Bedrohungslagen

Deutschland im Abwehrmodus: Verfassungsschutzbericht 2024 zeigt wachsende Gefahr

Der Verfassungsschutzbericht 2024 zeigt ein deutlich verschärftes Bild der Bedrohungslage in Deutschland. Bundesinnenminister Dobrindt und Verfassungsschutz-Vize Selen mahnten bei der Vorstellung des Berichts für 2024 vor einer zunehmenden ideologischen, digitalen und physischen Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

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Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) stellt den Jahresbericht zusammen mit BfV-Vizepräsident Sinan Selen vor.

Foto: Kay Nietfeld/dpa

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Lesedauer: 7 Min.

Online war das vollständige Dokument erst am frühen Dienstagnachmittag, 10. Juni, abrufbar. Bereits am späten Vormittag hatten Bundesinnenminister Alexander Dobrindt und der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Sinan Selen, den Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2024 vorgestellt. Dem Minister zufolge steht die freiheitlich-demokratische Grundordnung stärker denn je unter Beschuss – physisch, digital und ideologisch.
Der Verfassungsschutz müsse in dieser Situation seiner Rolle als „Frühwarnsystem und Schutzwall“ gerecht werden. Seine Aufgabe sei es, den Bedrohungen durch Analyse, Aufklärung und Abwehr entgegenzuwirken. Derzeit, so Dobrindt, sei die verfassungsmäßige Ordnung „fast täglich Angriffen ausgesetzt“. Eine Eskalation drohe durch zunehmende Spionage ebenso wie durch eine wachsende Radikalisierung, besonders unter Jugendlichen. Dazu komme eine alarmierende Verdichtung extremistischer Milieus.

Dobrindt: Mehr als 50.000 Menschen dem Rechtsextremismus zugeordnet

Das Personenpotenzial, das dem Rechtsextremismus zugeordnet wird, ist Dobrindt zufolge erstmals auf mehr als 50.000 Menschen angestiegen. Das seien mehr als doppelt so viele wie 2015 – was eine dynamische Entwicklung verdeutliche. Dabei entfielen 20.000 auf die AfD – gegenüber 11.300 im Jahr davor. Angesichts des anhängigen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Köln führt der Bundesverfassungsschutz diese weiter als Verdachtsfall. Die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten sei nicht in diesem Ausmaß, aber doch auf mittlerweile etwa 15.300 Personen angewachsen.
Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten hat im Laufe des Vorjahres die Marke von 37.835 erreicht. Im Beobachtungsjahr 2023 waren es noch 25.660 gewesen. Mit 24.177 sind 63,9 Prozent von diesen sogenannten Propagandadelikten. Die Zahl der Gewalttaten in diesem Segment ist von 1.148 auf 1.281 angestiegen. Einen leichten Rückgang der Straftaten war hingegen im Milieu der sogenannten Reichsbürger und „Selbstverwalter“ zu verzeichnen – von 1.292 auf 992.
Erstmals hat der Verfassungsschutz des Bundes das österreichische Medium „AUF1“ als Verdachtsfall in den Bericht aufgenommen. Dieses verbreite zum einen selbst minderheiten- und islamfeindliche Inhalte und beziehe sich auf antisemitisch konnotierte Verschwörungstheorien. Zudem stelle es „eine Plattform für extremistische Inhalte im Sinne der eigenen Agenda bereit, ohne diese kritisch zu hinterfragen oder einzuordnen“.

Linksextremismus mit weniger Gewalttaten – aber deutlich mehr Sachbeschädigungen

Im Bereich des Linksextremismus ist die Zahl der politisch motivierten Straftaten von 4.248 auf 5.857 gestiegen. Die Zahl der Gewaltdelikte sank in diesem Segment von 727 auf 532. Der Zuwachs an Delikten insgesamt liegt vor allem am Plus bei den Sachbeschädigungen. Hier stieg die Zahl im Vorjahr von 2.301 auf 3.143. Die „Propagandadelikte“ spielen im linksextremistischen Spektrum traditionell eine geringere Rolle.
Das als linksextremistisch eingestufte Personenpotenzial ist im Jahr 2024 um rund 1.000 auf mittlerweile 38.000 Menschen angewachsen. Von diesen gelten weiterhin etwa 11.200 als gewaltbereit. Der religiöse Extremismus – hauptsächlich sind dabei dschihadistische Bestrebungen gemeint – habe die Zahl ihm zuzurechnender Anhänger auf mehr als 28.000 ausgebaut. Von diesen sei etwa ein Drittel gewaltaffin.
Die Zahl der Straftaten mit religiöser Ideologie als Hintergrund stieg dem Verfassungsschutzbericht 2024 zufolge von 1.250 auf 1.694 an. Von diesen waren 71 Gewalttaten – gegenüber 72 im Beobachtungszeitraum des Jahres zuvor. In allen extremistischen Phänomenbereichen spiele der Nahostkonflikt eine Rolle bei Mobilisierung und Agitation.

Verfassungsschutzbericht widmet Antisemitismus und Nahost-Bezügen eigenes Kapitel

Im dschihadistischen Spektrum bleibe die Bedrohungslage angespannt. Neben dem IS, der den Nahostkonflikt gezielt in sein Narrativ einbaut, verzeichnet der Verfassungsschutz eine verstärkte Aktivität von Einzeltätern, oftmals jüngeren Alters. Der Kreis der Gefährder umfasst mittlerweile über 28.000 Personen. Der Inlandsgeheimdienst sieht im Antisemitismus zunehmend auch eine Scharnierfunktion, die linksextreme und radikal-religiöse Gruppierungen in Aktionseinheit bringe.
Dazu komme eine hohe Bedeutung des Antisemitismus im Bereich des nicht-religiösen ausländisch-ideologischen Extremismus. Hier stieg die Zahl der Straftaten insgesamt von 3.092 auf 4.534 – darunter 607 Gewalttaten (plus 278). Von diesen seien 1.776 antisemitisch motiviert gewesen, eine Steigerung um 70,1 Prozent. Die Zahl antisemitischer Gewalttaten im ausländisch-ideologischen Bereich stieg von 65 auf 75.
Der Antisemitismus verbinde auf der einen Seite Extremisten aller Phänomenbereiche, erläutert der Verfassungsschutz. Allerdings zeichneten sich fallweise entlang der Positionierung zu Israel auch Spaltungstendenzen ab. Dies betreffe die extreme Rechte, in Teilen auch als linksextremistisch eingestufte Teile der „Antifa“-Bewegung. Bei einigen Exponenten bewirke die religiös-extremistische Ausrichtung der Hamas eine Solidarisierung mit Israel.

„Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ verliert an Bedeutung

Während die Zahl der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ im Beobachtungszeitraum um 1.000 auf 26.000 angestiegen sei, widmet der Verfassungsschutz dem „Delegitimierungsspektrum“ weniger Aufmerksamkeit. Die Zahl der Personen, die der „Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ zuzurechnen seien, sei von 2023 auf 2024 um rund 100 auf 1.500 gesunken.
Von diesen seien weiterhin etwa 250 Personen als gewaltorientiert einzustufen. Eine bundesweit relevante Gruppierung mit entsprechender Mobilisierungsfähigkeit existierte dem Verfassungsschutz zufolge im Berichtszeitraum nicht. Allerdings bestünden Überlappungen mit „Reichsbürgern“ und traditionellen Rechtsextremisten.
Jenseits des im Inland verankerten Extremismus blieben jedoch auch vom Ausland ausgehende Angriffe ein Grund zur Alarmbereitschaft. So setze die Russische Föderation, wie Vizepräsident Selen betonte, eine „hohe Bandbreite“ an Instrumenten ein, um ihre Interessen in Deutschland zu fördern. Diese reichten von „Spionage, Sabotage und Einflussnahme“ bis zu APT-Truppen und „Desinformations-Ökosystemen“.

China und Russland greifen vermehrt auf „Low-Level-Agenten“ zurück

Auch China bleibt laut Selen weiterhin ein aktiver Player in der Spionage. Ein besonders brisanter Fall war der Angriff auf das Bundesamt für Kartografie. Weitere Anklagen wegen Agententätigkeit im wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Umfeld unterstreichen die Ernsthaftigkeit der Bedrohung.
Beide bedienten sich zunehmend sogenannter Los-Level-Agenten. Dabei handele es sich um ungeschulte Einzeltäter, die leicht manipulierbar und oftmals finanziell motiviert seien. Drei solche mutmaßliche Agenten stünden derzeit in München vor Gericht.
Reinhard Werner schreibt für die Epoch Times zu Wirtschaft, gesellschaftlichen Dynamiken und geopolitischen Fragen. Schwerpunkte liegen dabei auf internationalen Beziehungen, Migration und den ökonomischen Folgen politischer Entscheidungen.

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