Gewalttaten gegen Juden nehmen zu: Wie teilen sich diese auf?

Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, äußert Besorgnis über zunehmenden Antisemitismus in Deutschland und fordert ein Verbot von israelfeindlichen Parolen. Laut Bundesregierung wurden im letzten Jahr insgesamt 2.639 antisemitische Straftaten registriert. Eine Studie untersucht den Antisemitismus unter Migranten in Deutschland.
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Kriminalstatistik zeigt Zunahme von Gewalttaten gegen jüdische Menschen.Foto: Christophe Gateau/dpa
Von 2. Mai 2023

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Mit Sorge schaut der israelische Botschafter Ron Prosor auf die steigenden Zahlen von antisemitischen Anschlägen in Deutschland. „Antisemitismus ist ein großes Problem“, sagte Prosor im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP.

Antisemitismus in allen Bereichen der Gesellschaft

Alle drei Stunden gebe es in Deutschland einen antisemitischen Vorfall; dass jüdische Einrichtungen wie Synagogen und Schulen geschützt werden müssten, sei „nicht normal“. „Bei Kirchen und Moscheen sehe ich das auch nicht“, so Prosor im Interview weiter.

Der Botschafter verortet Antisemitismus in allen Bereichen der deutschen Gesellschaft – sowohl im linken als auch im rechten Spektrum sowie unter Muslimen. Er fordert ein Verbot von antisemitischen und israelfeindlichen Parolen wie jüngst auf einer Palästinenser-Kundgebung in Berlin. Prosor betont, dass dies strafbar sein muss.

An Ostern wurden bei einer Demonstration mit dem Motto „Solidarität mit Palästina“ in den Bezirken Kreuzberg und Neukölln israelfeindliche Parolen gerufen. Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, reagierte darauf, indem er die Strafverfolgungsbehörden aufforderte, einzuschreiten.

Gewalttaten gegen jüdische Menschen angestiegen

Tatsächlich ist die Anzahl von Gewalttaten gegen jüdische Menschen im vergangenen Jahr angestiegen, wie eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Petra Pau (Linke) an die Bundesregierung belegt. Im Februar hatte die „Welt“ darüber berichtet.

So gab die Bundesregierung an, dass judenfeindliche Gewalttaten von 63 Delikten im Jahr 2021 auf 88 Delikte im Jahr 2022 gestiegen sind. Unter die Kategorie Gewalttaten fallen in der Statistik des Bundeskriminalamts etwa gefährliche Körperverletzung, räuberische Erpressung, Brandanschläge und Volksverhetzungsdelikte.

Die Gesamtzahl aller registrierten antisemitischen Straftaten gab das Innenministerium in der Antwort mit 2.639 an. Diese Zahl könnte aber noch steigen, da in der Regel Nachmeldungen beim Bundeskriminalamt eingehen. Im Vorjahr 2021 hatte das Amt insgesamt 3.028 antisemitische Straftaten registriert.

Wie sich die Straftaten aufteilen?

Spannend ist ein Blick darauf, wie sich der Anteil von antisemitischen Straftaten auf rechte, linke und muslimische Straftaten aufteilen.

Von den in der Anfrage angegebenen 88 Gewalttaten sind 61 Taten den entsprechenden Bereichen zugeteilt. Die restlichen 27 Gewalttaten sind offensichtlich Nachmeldungen, die keinem Phänomenbereich zugeteilt wurden.

Laut Angaben der Bundesregierung seien 39 Gewalttaten aus dem rechten Lager und zwei aus dem linken Lager. Muslimisch motivierte Kriminalität erfasst das Bundeskriminalamt (BKA) nicht. Hier unterscheidet die Behörde zwischen Straftaten aus „ausländischer Ideologie“ und „religiöser Ideologie“. Im ersten Bereich gab es im vergangenen Jahr sechs und im Bereich der religiösen Ideologie wurden vier Gewalttaten gemeldet. Zehn weitere in der Statistik aufgeführte Gewalttaten können keinem Bereich zugeordnet werden.

Die Gesamtanzahl antisemitischer Straftaten inklusive der Gewalttaten von 2.639 verteilt sich demnach mit 1.305 Straftaten auf rechte Täter, vier auf linke Straftäter, 38 auf ausländische Ideologie und 29 auf religiöse Ideologie. 242 Straftaten können keinem Deliktbereich zugeordnet werden und zu 1.021 Straftaten werden keine Angaben gemacht.

Die Internetseite des BKA erklärt, was unter dem Deliktbereich „ausländische Ideologie“ zu verstehen ist:

Der PMK -ausländische Ideologie- werden Straftaten zugerechnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine aus dem Ausland stammende nichtreligiöse Ideologie entscheidend für die Tatbegehung war, insbesondere wenn sie darauf gerichtet ist, Verhältnisse und Entwicklungen im In- und Ausland zu beeinflussen.“

So werden unter anderem Straftaten von Palästinensern gegen jüdische Menschen in diesem Bereich erfasst.

Antisemitismus unter Muslimen größer als unter Nichtmuslimen

Der Blick allein auf die Kriminalstatistik reicht allerdings nicht aus, wenn man sich mit antisemitischen Einstellungen in Deutschland auseinandersetzen möchte. Vor allem steht immer wieder die Frage im Raum, wie groß ist der Antisemitismus unter Migranten verbreitet? Gerade erst ist zu diesem Thema eine Studie veröffentlicht worden.

Die Ethnologin Sina Arnold hat im Auftrag des Mediendienstes Integration (MI) eine Zusammenfassung des Standes der Forschung zum Thema Antisemitismus unter Muslimen in Deutschland veröffentlicht. Dabei unterscheidet sie zwischen drei Formen des Judenhasses: klassischem, sekundärem sowie israelbezogenem Antisemitismus.

Laut Arnolds Zusammenfassung sind Vorurteile bis hin zu Hass bei Muslimen in Deutschland in Bezug auf den klassischen und israelbezogenen Antisemitismus weitaus ausgeprägter als bei der nichtmuslimischen Bevölkerung. Bei sekundärem Antisemitismus, der sich auf die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit bezieht, ist das hingegen nicht der Fall. Migranten mit deutschen Wurzeln haben in diesem Bereich tendenziell weniger Vorurteile als solche ohne deutsche Staatsangehörigkeit.

Der Aufenthalt in Deutschland wirkt sich in der Regel positiv auf die Einstellungen von Zuwanderern gegenüber Juden aus, da sie hier das „Einhalten der sozialen Norm gegen Antisemitismus“ lernen und deutsche Schulen besuchen. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass Antisemitismus unter Muslimen nicht aus Angst vor der Reproduktion rassistischer Zuschreibungen bagatellisiert werden darf. Die religiöse Orientierung und die Herkunft von Menschen spielen eine Rolle, und in zahlreichen mehrheitlich muslimischen Ländern finden sich höhere Zustimmungswerte zu Antisemitismus als in nichtmuslimischen Ländern.



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