Hessen: Staatsgerichtshof muss über Verfassungsklage der AfD-Fraktion entscheiden
Das Urteil des hessischen Staatsgerichtshofs zu einer Verfassungsklage der AfD-Fraktion, die sich für eine thematisch breitere Ausgestaltung des Untersuchungsausschusses zur Coronapolitik einsetzt, wird wohl frühestens in ein paar Wochen vorliegen. Der Ausschuss bereitet derweil seine nächste Sitzung vor.
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Das Pressefoto zeigt Schloss Chermann in Wiesbaden, den Sitz des hessischen Landtags. Der dortige Corona-Untersuchungsausschuss will bald mit seiner Arbeit fortfahren.
Foto: Hessischer Landtag, Kanzlei - Fotograf Hermann Heibel
Der Staatsgerichtshof des Landes Hessen hat am 11. Juni 2025 mehrere Stunden lang über eine Verfassungsklage der AfD-Fraktion zum Corona-Untersuchungsausschuss verhandelt. Das Urteil des Gerichtspräsidenten Dr. Wilhelm Wolf wird wohl frühestens in ein paar Wochen fallen. Womöglich könnte es sogar Monate dauern, bis in Wiesbaden Rechtssicherheit herrscht (Aktenzeichen: P.St. 2974).
„Die Terminierung der Entscheidung ist freie Sache des Gerichtes. Ein Termin wurde heute nicht genannt“, bestätigte Yanki Pürsün (FDP), der Vorsitzende des Corona-Untersuchungsausschusses, am Mittwochabend auf schriftliche Anfrage der Epoch Times.
Parlamentarier glaubt an Teilerfolg
Sascha Herr, jener fraktionslose Abgeordnete, dessen Unterschrift den AfD-Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Frühjahr 2024 erst möglich gemacht hatte, hält eine Wartezeit von einigen Monaten für realistisch.
„Es ist aus meiner Sicht zu erwarten, dass es ein Urteil gibt, in welchem der Antrag definitiv als legitim eingeschätzt wird und einige der derzeit von den ‚Antragsgegnern‘ gestrichenen Fragen wieder freigegeben werden“, antwortete er auf Nachfrage der Epoch Times. „Was aber definitiv meiner Einschätzung nach nicht im Untersuchungsausschuss im Landtag behandelt werden wird, sind alle Punkte, welche sich auf Bundesbehörden wie das RKI beziehen.“
Volker Richter, der Obmann der AfD im Untersuchungsausschuss Corona, hält den Antrag seiner Fraktion jedenfalls nach wie vor verfassungsgemäß. Die Gründe dafür habe man in der mündlichen Verhandlung dargelegt, betonte er auf Nachfrage der Epoch Times.
AfD kämpft um 20-Prozent-Anteil und breiteren Fragenkatalog
Um was geht es? Die AfD-Landtagsfraktion will vor dem höchsten hessischen Gericht unter anderem durchsetzen, dass der U-Ausschuss Corona nur noch mit 15 statt mit 16 Mitgliedern bestückt wird: In diesem Fall würden die drei AfD-Mitglieder genau 20 Prozent der Gremiumsplätze ausmachen. Das würde für sie nach Angaben der „Hessenschau“ das Recht bedeuten, eigenständig Beweisanträge stellen und Zeugen laden zu dürfen.
Hauptsächlich aber beharren die AfD-Abgeordneten darauf, dass der Untersuchungsausschuss möglichst viele jener 43 Punkte abarbeiten soll, die im ursprünglichen Einsetzungsantrag standen (PDF). Demnach sollen auch Fragen nach der wissenschaftlichen Grundlage der Lockdowns, der Impfzulassungen oder zur Maskentragepflicht zur Sprache kommen.
Vier Fraktionen halten AfD-Wünsche für verfassungswidrig
Genau das will die Gegenseite der vier übrigen Landtagsfraktionen (CDU, SPD, Grüne, FDP) bereits seit Mitte Mai 2024 verhindern. Als Grund verwiesen die AfD-Gegner immer wieder auf die mutmaßliche Verfassungswidrigkeit mancher Punkte im AfD-Einsetzungsantrag, die von mehreren Gutachtern festgestellt worden war.
Am 18. Juni 2024 beschloss die Mehrheit im Landtagsplenum, die Untersuchung, Aufklärung und Beurteilung der hessischen Coronapolitik lediglich anhand von sieben größeren Kernpunkten aufarbeiten zu lassen (PDF). Woraufhin sich die AfD-Fraktion entschied, den Staatsgerichtshof anzurufen.
Nach Informationen des Nachrichtenportals „n-tv“ war es wegen der nicht abschließend geklärten Rechtslage bislang zwar zu mehreren Zusammenkünften, aber zu keiner inhaltlichen Arbeit im Untersuchungsausschuss gekommen, obwohl das Gremium bereits vor einem Jahr formal eingesetzt worden war.
Rolle der WHO zu hinterfragen, fördere Verschwörungstheorien
Für den deutlich kürzeren Einsetzungsantrag aus den Reihen der CDU, der SPD, der FDP und der Grünen warb im Staatsgerichtshof nun noch einmal deren Prozessbevollmächtigter Dr. Christoph Henckel.
Der Jurist argumentierte nach Angaben von „n-tv“, dass es nicht zu den Aufgaben eines Landesuntersuchungsausschusses gehöre, die Arbeit von Einrichtungen wie der EU-Kommission oder der Weltgesundheitsorganisation WHO zu hinterfragen und damit „wilden Vermutungen“ oder „Verschwörungstheorien“ Raum zu gewähren. Die Landesanwältin Monika Böhm habe die Klage der AfD-Fraktion ebenfalls als „inhaltlich unbegründet“ kritisiert.
Gerichtspräsident Wolf erinnert an öffentliches Interesse beim Thema Impfnebenwirkungen
Ob Gerichtspräsident Wolf der Seite der AfD-Gegner vollumfänglich folgen wird, bleibt vorerst die spannende Frage. Nach Informationen von „n-tv“ reagierte Wolf auf die Forderung Henckels, das Thema Impfnebenwirkungen zuständigkeitshalber nicht im Untersuchungsausschuss behandeln zu lassen, mit einer rhetorischen Frage: „Das interessiert die Leute doch?“
Der Hessische Staatsgerichtshof, zuständig für Fragen der Landesverfassung, tagte am 11. Juni 2025 zur mündlichen Verhandlung anlässlich einer Verfassungsklage der AfD-Fraktion zum Corona-Untersuchungsausschuss.
Henckel habe daraufhin erneut angemerkt, dass Fragen nach der Zulassung oder dem Ankauf von COVID-19-Impfpräparaten nicht in der Zuständigkeit des Landes Hessen lägen und von daher im Ausschuss keine Rolle spielen dürften.
Wie geht es jetzt weiter? Yanki Pürsün, der Vorsitzende des hessischen Corona-Untersuchungsausschusses, erklärte gegenüber Epoch Times, dass man demnächst gemeinsam einen Ablauf- und Zeitplan für die nächsten Treffen erarbeiten werde. Die Ausschussmitglieder hätten sich außerdem bereits darauf geeinigt, Akten anzufordern und Sachverständige anzuhören. Wenn die Unterlagen eingetroffen seien und die Obleute sich verständigt hätten, solle die nächste Sitzung terminiert werden.
Das bestätigte auch AfD-Obmann Volker Richter. In den bisherigen Sitzungen sei es „im Wesentlichen um Verwaltungsfragen und um die weitere Vorgehensweise“ gegangen. Nun warte man auf die angeforderten Akten, „damit wir mit der eigentlichen Arbeit beginnen können“.
Nach Angaben der „Hessenschau“ hatten die übrigen Fraktionen eigentlich so lange pausieren wollen, bis der Staatsgerichtshof Rechtssicherheit hergestellt haben würde. Doch das sei nach Ansicht eines Gutachters, den der Landtag beauftragt habe, nicht erlaubt: Ausschussarbeit im Parlament dürfe nicht einfach gegen den Willen einer Minderheit unterbrochen werden.
Als der Streit um den Umfang der hessischen Corona-Aufarbeitung im Frühjahr 2024 aufgekeimt war, hatte die AfD-Fraktion zunächst vorgeschlagen, dass man auf Grundlage eines Gutachtens der Rechtsprofessorin Dr. Sophie Schönberger einen Kompromiss für einen neuen Einsetzungsantrag finden könnte. Doch darauf wollten sich die übrigen Fraktionen nicht einlassen.
Rechtsanwalt hält Nachfragen auf Bundesebene unter bestimmten Umständen für zulässig
Der Rechtsanwalt Sebastian Lucenti hält Sachfragen im Landesuntersuchungsausschuss unter bestimmten Voraussetzungen auch mit Sachfragen mit Bundesbezug für zulässig. Er hatte auch die Ausschussmitglieder schriftlich über seine Rechtsauffassung zur Situation informiert (PDF).
Aus seiner Sicht wird der ursprüngliche AfD-Einsetzungsantrag von anderen Fraktionen des Landtages insbesondere deshalb beanstandet, weil gegen eine erhebliche Anzahl der Fragen verfassungsrechtliche Bedenken bestehen und eine kompetenzwidrige Ausweitung des Untersuchungsgegenstandes außerhalb der Zuständigkeit des Landes Hessen gesehen wird. Die rechtlichen Einwendungen richteten sich unter anderem gegen die „mangelnde Bestimmtheit der Fragen“ und „Verstöße gegen die Ermittlungskompetenz“, die nun Frage für Frage durch den Staatsgerichtshof auf Zulässigkeit geprüft werden, erläuterte Lucenti auf Nachfrage der Epoch Times.
Noch keineswegs rechtlich geklärt sei, so Rechtsanwalt Lucenti, ob sämtliche Fragen kategorisch ausgeschlossen werden dürften, die sich im AfD-Einsetzungsantrag auf das Robert Koch-Institut (RKI) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) beziehen. Das sei aus seiner Sicht „nicht zulässig“, sofern die Formulierung den verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge.
Es sei zwar grundsätzlich zutreffend, so Lucenti, dass Bund und Länder in ihren jeweiligen Untersuchungsausschüssen lediglich solche Vorgänge untersuchen dürften, die in ihren jeweiligen Kompetenzbereich fielen. Wenn aber beispielsweise eine vorherige Aufklärung von Landessachverhalten notwendig sei, um danach Fragen auf Bundesebene klären zu können, bestehe der statthafte Ausnahmefall einer sogenannten „mittelbar landesgerichteten“ Untersuchung von Sachverhalten auf Landesebene als notwendige Vorfrage für den Untersuchungsgegenstand auf Bundesebene.
Insoweit könne dieses Prinzip auch im Umkehrschluss zugunsten eines Untersuchungsausschusses auf Landesebene gelten. Dann wäre auch auf Landesebene die „Vorfrage“ danach erlaubt, ob Fachinformationen und amtliche Auskünfte von Bundesbehörden wie dem RKI oder dem PEI richtig und vollständig gewesen seien.
Ob und in welchem Umfang das weisungsbefugte Bundesgesundheitsministerium oder gar die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzleramtes Einfluss auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der behördlichen Fachinformationen und Auskünfte hatte, auf die sich die Landesregierung und die zuständigen Landesbehörden bei ihren Entscheidungen zu den Corona-Maßnahmen stützten, bilde daher eine unmittelbar kausale Vorfrage für die Untersuchung der Corona-Maßnahmen auf Landesebene. Hierzu gehören ebenso der Inhalt der in den Bund-Länderkonferenzen mitgeteilten amtlichen Auskünfte dieser Bundesbehörden.
Patrick Reitler, geboren in den späten Sechzigerjahren am Rande der Republik. Studium der Komparatistik, Informationswissenschaft und Sozialpsychologie. Seit der Jahrtausendwende als Journalist hauptsächlich in Online-Redaktionen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und als Fußballkommentator unterwegs. Seit Ende 2022 freier Autor. Bei Epoch Times vorwiegend für deutsche Politik zuständig.