Immer mehr Kinder und Jugendliche in Therapie wegen Corona-Lockdown

Epoch Times18. April 2021

Kinder und Jugendliche in Deutschland werden deutlich häufiger als vor dem Lockdown in Notaufnahmen von Kinder- und Jugendpsychiatrien (KJP) vorstellig.

Schwere Depressionen, Angststörungen, akute suizidale Gefährdungen und andere Krankheitsbilder haben bei ihnen vor allem ab dem vierten Quartal 2020 zugenommen, wie es aus Anfragen der „Welt“ bei deutschen Kinder- und Jugendpsychiatrien hervorgeht. Professor Tobias Renner, Ärztlicher Direktor der KJP am Uniklinikum Tübingen, sagte der „Welt“, im vierten Quartal 2020 sei seine Notfallversorgung „so stark beansprucht wie nie zuvor“ gewesen.

Es habe dort „eine Steigerung der Aufnahmen von mehr als 30 Prozent“ gegeben. Die Notfallquote betrage für diesen Zeitraum 86 Prozent. „Das heißt, 86 Prozent der stationär behandelten Kinder und Jugendlichen kamen in der akuten Krise.“ Die meisten seien „akut suizidgefährdet“ gewesen. Bei akut behandlungsbedürftiger Magersucht „lag der Anstieg bei 100 Prozent gegenüber dem Vorjahr“.

Reta Pelz, Chefärztin in der KJP der Mediclin-Klinik in Offenburg, sagte: „Seit Januar sind wir durchweg um 110 bis 120 Prozent überbelegt.“ Die Schwere der Störungsbilder habe zugenommen. „Kinder, die aus einer tiefen Traurigkeit nicht mehr rauskamen, die keinen Grund zum Weiterleben, keine Perspektive entwickeln können, sahen wir mehr als sonst.“

Und: „Momentan erleben wir eine massive Zunahme von Essstörungen, vor allem bei Mädchen. Von 2020 auf 2021 hat sich das verdoppelt, wenn nicht verdreifacht. Im stationären Bereich macht dieses Störungsbild 40 Prozent der Patienten aus.“ Ähnliches berichten Chefärzte weiterer Kinder- und Jugendkliniken etwa in Berlin, Leipzig, München, Klingenmünster in der Pfalz, Westfalen/Lippe oder dem niedersächsischen Königslutter.

Krankenkassen und Mediziner warnen im Lockdown bei Kindern und Jugendlichen vor hohen gesundheitlichen Risiken. „Fast jedes zehnte Kind unter 14 Jahren, das bisher normalgewichtig war, hat im vergangenen Jahr Übergewicht entwickelt“, sagte Berthold Koletzko von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin der „Welt am Sonntag“. Besonders betroffen seien Kinder aus sozial schwachen Familien.

Jugend neigt im Lockdown verstärkt zu Adipositas und Magersucht

„Mit jedem Monat, den der Lockdown länger anhält, steigt die Zahl der betroffenen Kinder“, warnte der Vorsitzende der Ernährungskommission. Seit Beginn der Coronakrise im März 2020 findet für viele Schüler kaum oder gar kein Sportunterricht mehr statt. Auch die Vereine haben ihr Angebot aus Gründen des Infektionsschutzes stark oder vollständig heruntergefahren.

Daten der Techniker Krankenkasse zufolge steigt die Diagnose Adipositas bei Kindern und Jugendlichen bereits seit mehreren Jahren mit einer jährlichen Wachstumsrate von durchschnittlich rund 25 Prozent. Hochgerechnet gelte das auch für 2020. Ein „Corona-Peak“ ist demzufolge bisher zwar nicht erkennbar, jedoch sei nicht auszuschließen, dass Corona diese Entwicklung langfristig verstärke.

„Zu wenig Bewegung bei Kindern kann langfristig zu schweren gesundheitlichen Folgen führen. Wir beobachten die aktuelle Entwicklung mit Sorge. Wir hoffen, dass, sobald die Krise vorüber ist, schnell gegengesteuert wird“, sagte Thomas Brahm, Chef des Koblenzer Versicherers Debeka. Gleichzeitig wirken sich das fehlende Sportangebot und die mangelnde Tagesstruktur auch auf die seelische Gesundheit der Heranwachsenden aus.

„Viele beschäftigen sich den ganzen Tag mit ihrer Figur und ihrem Gewicht und haben so stark Angst zuzunehmen, dass sie eine Essstörung entwickeln“, sagte Beate Herpertz-Dahlmann, Direktorin der Aachener Uniklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters. Allein im vergangenen Quartal sei die Zahl der Magersüchtigen um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen: „Viele Patienten befinden sich in einem beängstigenden Zustand.“ Neben Magersucht litten viele unter Essattacken oder Bulimie.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach setzt sich dafür ein, dass der Sportunterricht in den Schulen deutlich ausgebaut wird. „Wir brauchen ein bis zwei Stunden mehr pro Woche als bisher in den Lehrplänen vorgesehen. Außerdem fordere ich, dass Sportvereine finanziell deutlich stärker unterstützt werden“, sagte Lauterbach der Zeitung.

Es fehle überall an Geld. Das mache sich insbesondere an der unzureichenden Ausrüstung und den Sporthallen bemerkbar, die in sehr schlechtem Zustand seien. Hier müsse dringend nachgebessert werden. Angesichts der aktuellen Infektionslage plädiert er aber dafür, zunächst abzuwarten und erst in einigen Monaten mit dem Ausbau des Sportangebots für Kinder zu starten. „Nun gilt erst mal, die Pandemie mit so wenig wie möglich Infektionen zu überstehen.“ (dts)



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