Der SPD-Parteitag hat am Sonntag, 29. Juni, die Vorbereitung eines möglichen AfD-Verbots einstimmig beschlossen. „Die AfD greift die Grundwerte unserer Demokratie gezielt an. Wenn die Voraussetzungen für ein Parteiverbot vorliegen, dann – und das ist entscheidend – muss das geprüft und vorbereitet werden, unabhängig von Umfragewerten und Wahlergebnissen“, kommentierte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, den Beschluss in
einer Stellungnahme.
Die SPD beruft sich laut dem Parteitagssticker auf ihrer Website auf die Einschätzung des Verfassungsschutzes, der die AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft hatte. „Wer Vielfalt angreift, das Parlament missbraucht und gezielt Hass sät, stellt sich außerhalb des Grundgesetzes“, heißt es weiter.
Rechtsextremismus bezeichnet die SPD als „größte Gefahr“ für die Demokratie in Deutschland. Ein Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht kann jedoch nur dann eingeleitet werden, wenn der aggressive und kämpferische Charakter der Partei nachgewiesen werden kann. Das Bundesverfassungsgericht schreibt dazu auf seiner Website:
„Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügt alleine die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideen hierfür nicht. Hinzukommen müssen eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung, auf deren Abschaffung die Partei abzielt, sowie konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheint.“
Daraus ergibt sich, dass das Gutachten des Verfassungsschutzes für ein AfD-Verbot nach juristischen Maßstäben nicht ausreicht. Daher verweist die SPD darauf, dass eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe erst einmal belastbares Material sammeln soll. Im zweiten Schritt sollen dann Gutachter die Erfolgsaussichten eines Verbotsverfahrens klären.
3.600 Beweismittel für ein AfD-Verbot
Das Künstlerkollektiv „Zentrum für Politische Schönheit“ (ZPS) ist nach eigenen Angaben schon einen Schritt weiter.
ZPS hat nach eigenen Angaben 3.663 „Beweise“ gegen die AfD zusammengetragen. Diese sind auf der eigens eingerichteten Website
afd-verbot.de öffentlich einsehbar. Das Kollektiv, das durch umstrittene Aktionen wie die Errichtung eines Holocaust-Mahnmals neben Björn Höckes Wohnhaus bekannt geworden ist, versteht die Sammlung als „das erste von der Zivilgesellschaft finanzierte Beweissammlungsverfahren“ für ein Verbot der AfD.
Die Beweise bestehen zum Großteil aus Aussagen und Äußerungen von AfD-Mitgliedern, ehemaligen Mitgliedern und Politikern von verschiedenen Ebenen – von der kommunalen bis zur Bundespolitik. Die Materialien sind in fünf inhaltliche Kategorien gegliedert:
- Ausgrenzung
- Demokratiefeindlichkeit
- Freiheit & Individuum
- Gewaltenteilung
- Holocaust
Laut Angaben des ZPS belegen diese Beweise problematische, teilweise verfassungsfeindliche Positionen.
Der Gründer und Kopf des Künstlerkollektivs,
Philipp Ruch, hatte im vergangenen Jahr das Buch
„Es ist fünf vor 1933: Was die AfD vorhat und wie wir sie stoppen“ herausgebracht, in dem er sich für ein AfD-Verbot aussprach. Dort hatte er damals „2.000 Beweise für die Verfassungsfeindlichkeit“ der AfD zusammengetragen. Ruch zitierte aus bekannt gewordenen Chats, Videos und E-Mails, berief sich aber auch auf Parteitage und öffentlich gehaltene Reden.
Quellen teils falsch oder nicht prüfbar
Das ZPS verfährt auf seiner Website ähnlich. Allerdings machen sich die Betreiber der Website nicht die Mühe, ihre Quellen für den Besucher ausreichend nachvollziehbar zu machen. So wird etwa unter der
Handakte 25132 ein Zitat des „Landesvorstandes Baden-Württemberg“ als Beweismittel angeführt, das laut ZPS auf Facebook veröffentlicht sein soll:
„Je mehr Migranten ersaufen, desto eher begreifen selbst afrikanische Ziegenhirten, dass es sich nicht lohnt, nach Europa aufzubrechen.“
Ob es eine Aussage des Landesvorstandes oder ein Kommentar unter einem Post auf Facebook ist, kann man nicht erkennen. Auch hat der Besucher nicht die Möglichkeit, mittels einer Verlinkung oder eines Bildschirmfotos den Beitrag selbst einzusehen und sich selbst ein Bild zu machen.
Wie fehlerbehaftet manche Quellen des Künstlerkollektivs sind, zeigt ein anderes Beispiel. Unter
Handakte 61652 wird der AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich, gegen den in seiner Partei gerade ein Parteiausschlussverfahren läuft, wie folgt zitiert: „Heilchen“: „Du hast noch meine gesamte Rassenkunde-Literatur, du jüdischer Langfinger.“
Als Quelle weist das ZPS die soziale Plattform X aus und erweckt damit den Eindruck, Helferich hätte sich in dieser menschenverachtenden Form in der Öffentlichkeit geäußert. Das ist aber nicht der Fall.
Eine dieser Mails beginnt nach Angaben des Mediums mit „Heilchen“, und dort heißt es dann weiter: „Du hast noch meine gesamte Rassenkunde-Literatur, du jüdischer Langfinger.“ Laut „Spiegel“ wird hier aus der Korrespondenz des heutigen AfD-Politikers zitiert.
Das Zitat des AfD-Mannes stammt also nicht, wie das Zentrum für Politische Schönheit anzuspielen scheint, aus dem X-Kanal des Bundestagsabgeordneten, sondern aus einer E-Mail, die weit vor seiner Zeit als AfD-Bundestagsabgeordneter verfasst wurde. Die Echtheit dieser E-Mails lässt sich derzeit nicht überprüfen.
Nach Bekanntwerden der E-Mails hatte Helferich, wie mehrere Medien damals übereinstimmend berichteten, abgestritten, Verfasser dieser Mails zu sein. Der
WDR zitiert aus einem Schreiben Helferichs an den Landesvorstand der AfD in NRW, das dem Sender vorliegen soll. In dem Schreiben heißt es:
„Wie bereits gegenüber dem ‚Spiegel‘ erklärt, stammen die Mails nicht von mir. […] Hoffen wir, dass das BKA bei seinen Ermittlungen erfolgreich ist.“
Das verschweigt allerdings die ZPS-Website. Und sie geht sogar noch weiter.
Aufgelöste Bundeswehreinheit soll NS-Glorifizierung belegen
Als Beleg für die Glorifizierung der NS-Verbrechen zitiert das ZPS unter der
Handakte 74415 aus dem
„Informationsdienst zur AfD in Sachsen“. Dort wird in einem Liveticker über den Bundesparteitag der AfD in Kalkar, NRW, im November 2020 berichtet. Das ZPS legt als Beweis für die „Glorifizierung von NS-Verbrechen“ folgendes Zitat vor: „Der 11. Bundesparteitag endet mit dem Absingen der Nationalhymne. Vom Band kommt die Melodie. Es ist eine Marschversion, eingespielt durch die 11. Panzer-Grenadier-Division.“
Tatsächlich lässt sich diese Version auch auf
YouTube abrufen. Das Spannende dabei: Es ist eine Version, wie sie während des Großen Zapfenstreichs der Bundeswehr gespielt wurde.
Der Große Zapfenstreich ist das höchste militärische Zeremoniell der Bundeswehr und wird bei besonderen Anlässen wie der Verabschiedung von Bundespräsidenten und Bundeskanzlern durchgeführt. Es ist ein feierliches Ritual mit Musik, Fackelträgern und einer Ehrenformation. Zum Ablauf gehören der Einmarsch der Truppen, ausgewählte Musikstücke, das geistige Gebet „Ich bete an die Macht der Liebe“ sowie die Nationalhymne. Das Zeremoniell wird heute als demokratisch legitimierte Ehrung verstanden.
Auch ein Blick auf die 11. Panzergrenadierdivision lässt keine Nähe zum Nationalsozialismus erkennen. Diese Division der Bundeswehr bestand von 1959 bis 1994. Neben ihren militärischen Aufgaben war sie auch bei zivilen Katastropheneinsätzen wie der Nordseeflut 1962 oder dem Heidebrand 1975 aktiv.
Zur Division gehörte auch das Heeresmusikkorps 11, das bei militärischen Zeremonien, öffentlichen Konzerten und offiziellen Anlässen für die musikalische Begleitung sorgte. Mit der Auflösung der Division im Jahr 1994 wurde auch das Musikkorps aufgelöst oder anderen Einheiten zugeordnet.
Auf seiner Website schreibt das Zentrum für Politische Schönheit:
„Seit mehreren Jahren sammeln wir im Auftrag der abwehrbereiten Zivilgesellschaft gerichtsfestes Beweismaterial gegen die AfD.“
Die drei aufgeführten Beispiele lassen allerdings Zweifel daran aufkommen, dass alle aufgeführten Beweise des ZPS am Ende einer gerichtlichen Überprüfung standhalten würden.
Verfassungsschutz sieht verfassungsfeindliche Bestrebungen
Das Bundesamt für Verfassungsschutz stufte die AfD Anfang Mai als „gesichert rechtsextremistisch“ ein. Die Verfassungsschützer hatten sich in der Einstufung auf ein Gutachten berufen, dieses aber aus Gründen des Quellenschutzes nicht veröffentlicht. Später wurde es von „Cicero“ und „
Nius“ veröffentlicht.
Wie das Bundesamt damals in einer mittlerweile wieder entfernten Pressemitteilung mitteilte, kam die Behörde zu dem Ergebnis, dass in der AfD als Gesamtpartei ein „ethnisch-abstammungsmäßige[s] Volksverständnis“ vorherrsche, das mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes nicht vereinbar sei.
Kurz darauf erklärte das Amt allerdings eine sogenannte Stillhaltezusage im laufenden Eilverfahren, nachdem die AfD gegen die Feststellung geklagt hatte, wodurch die Einstufung bis zu einer gerichtlichen Entscheidung vorläufig nicht umgesetzt wird. Derzeit gelten daher nur die Landesverbände in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt offiziell als gesichert rechtsextremistisch.