Politologe Patzelt: Die CDU will jene Probleme lösen, welche die Grünen nur zum Ausdruck bringen können

Mit dem Ausscheiden Angela Merkels als deutsche Kanzlerin kann die Union im Wahlkampf nicht mehr auf den Merkel-Bonus setzen. Ob sie als Regierungspartei bestehen bleibt, hängt also auch von ihrem Wahlprogramm ab. Wird die CDU gegenüber den Grünen punkten können? Epoch Times sprach mit Politik-Professor Werner Patzelt.
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Foto: André Wirsig für die TU Dresden (Mit freundlicher Genehmigung von W. Patzelt)
Von 25. Juni 2021

Epoch Times: Herr Patzelt, in unserem letzten Gespräch sagten Sie, die Union könne den kommenden Wahlkampf nur mit dem richtigen Wahlprogramm gewinnen. Jetzt ist es da. Wie ist Ihr Gesamteindruck?

Werner Patzelt: Ich würde sagen, mit „Stabilität und Erneuerung“ wurde eine Richtung gewiesen, die einer halbwegs konservativen Partei durchaus angemessen ist. Die zentrale Frage lautet nun nicht mehr einfach, ob Angela Merkels Kurs – worin auch immer er zu welcher Zeit bestand – fortgesetzt werden soll oder nicht. Vielmehr ist jetzt inhaltlich zu erkennen, was die Partei im Wesentlichen will. Insofern ist das ein Programm, mit dem die Union gut in den Bundestagswahlkampf ziehen kann.

ET: Inwiefern unterscheidet es sich von früheren Wahlprogrammen unter Angela Merkel?

Patzelt: Die CDU definiert sich nicht mehr nach ihrer Haltung zur Kanzlerin, sondern greift inhaltlich das meiste von dem auf, was in Deutschland an Problemen eben da ist – von der Energiepolitik bis hin zur Wirtschaftspolitik, von der Sozialpolitik bis zur Sicherheitspolitik. Dabei beharrt die Union darauf, dass sie ihre maßvoll formulierten Ziele auch umsetzen kann. Das mag bei der Schönheitskonkurrenz mit anderen Parteien im Wahlkampf durchaus hilfreich sein. Und weil die CDU inzwischen schon wieder 16 Jahre lang regiert hat, kann sie ohnehin nicht sagen, dass allzu viel allzu falsch war und es deshalb einen großen Neubeginn brauche.

Die Aussage ist vielmehr: Wir haben vieles richtig gemacht, müssen aber weitergehen. Und das, was offensichtlich nicht richtig war, das betont man eben nicht. Etwa ist zur Migrations- und Integrationspolitik sehr wenig zu lesen, obwohl diesbezüglich die CDU-Kanzlerin Deutschland besonders stark verändert hat, und zwar nicht bloß zum Vorteil des Landes. Jetzt steht im Wahlprogramm da eigentlich nur, dass gegen Clankriminalität vorgegangen werden muss, und dass es gilt, Fluchtursachen zu beseitigen. Das ist nicht verkehrt, trifft aber nicht wirklich die innenpolitisch verursachten und deshalb innenpolitisch abzustellenden Fehler.

ET: Die Grünen gelten als stärkster Konkurrent für die Union. Ist das Programm ein Gegenentwurf zur Politik der Grünen, oder ist man sich hier weitgehend einig?

Patzelt: Natürlich sucht die CDU Profilierung auch gegenüber jenen Grünen, denen man sich programmatisch sehr angenähert hat. Das läuft dann auf die Aussage hinaus: Die Grünen haben gewiss auch gute Ideen, die man selbst teilt; doch es wäre dieser Partei nicht zuzutrauen, dass sie aus ihren Ideen tragfähige politische Wirklichkeit gestalten könne. In vielen Zielen sei man sich also einig; doch anders als die grüne Konkurrenzpartei stelle man in Aussicht, jene Ziele auch so zu erreichen, dass Deutschland dabei nicht deindustrialisiert werde. Das eigene Profil besteht dann darin, dass man als CDU verspricht, jene Probleme auch zu lösen, welche die Grünen bloß publikumswirksam zum Ausdruck brächten.

ET: Keine Steuererhöhungen und möglichst schnell zur schwarzen Null. Wie soll das konkret aussehen?

Patzelt: Die Strategie der Union läuft wie immer darauf hinaus, der Wirtschaft solche Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen sie florieren, auch Arbeitsplätze schaffen kann, weshalb sie dann solche Profite machen werde, aus denen dem Staat üppige Steuern und Sozialabgaben zufließen könnten. Sobald das so komme, wäre auch wieder eine „schwarze Null“ möglich. Steuererhöhungen brauchte es dann ebenso wenig wie während der Jahre vor der Corona-Krise. Und angesichts der Finanzrisiken, die unser Land zur Bewältigung der Euro-Begleitschäden inzwischen eingegangen ist, wäre es ohnehin illusorisch, jetzt obendrein Steuersenkungen in Aussicht zu stellen.

ET: SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sprach von „sozialer Kälte“ im Programm der CDU. Stimmt das?

Patzelt: Ich kann diesen Vorwurf nicht nachvollziehen. Er stimmte wohl nur, wenn soziale Wärme in Steuer- und Abgabenerhöhungen samt anschließender Ausweitung der Staatstätigkeit bestünde. Doch in Wirklichkeit ist die CDU hinsichtlich ihrer Wählerschaft inzwischen zur Partei der kleinen Leute geworden und genießt gerade bei diesen Vertrauen – im Unterschied zu den Grünen, die inzwischen die Partei der akademisch gebildeten Besserverdienenden sind.

Der CSU-Teil der Union will sogar die Mütterrente stärker ausbauen und stellt damit eine Forderung, die es nicht ins CDU-Wahlprogramm geschafft hat. Doch auch dort findet sich etwa die Absicht, Alleinerziehende besserzustellen und entsprechende Steuerfreibeträge anzuheben. Allenfalls fehlt im CDU-Programm jene „Rhetorik der sozialen Wärme“, an der man oft SPD-Texte erkennt. Doch ansonsten verwechselt mancher SPD-Politiker offenbar die sozialdemokratisierte CDU mit der FDP.

ET: Wie ist in dem Zusammenhang der staatliche Rentensparplan für Kinder einzuordnen? Demnach soll der Bund für Kinder monatlich Beträge in Fonds oder auf persönliche Konten einzahlen. Das klingt doch auf den ersten Blick sehr sozial, aber ist das auch umsetzbar?

Patzelt: Irgendwann und von irgend jemand müssen die Renten ja bezahlt werden! Jetzt schon müssen aus dem Bundeshaushalt, also aus Steuermitteln, sehr große Zuschüsse in die Rentenkasse geleistet werden. Auch wird das Zahlenverhältnis zwischen Rentenzahlern und Rentenempfängern immer ungünstiger. Also muss man für die Zukunft besser vorsorgen als bislang.

In diesem Zusammenhang ist das staatliche Ansparen von Rentenbeiträgen natürlich eine vernünftige Problemlösung. Sie gibt es – zumindest auf dem Papier – längst im Bereich der Beamtenpensionen. Beamte bekommen nämlich in ihren jüngeren Dienstjahren weniger Geld, als ihnen fiktiv zusteht; und die Differenz soll vom Staat eigentlich für die Pensionskasse zurückgelegt werden. Die Frage ist nur, ob das auch immer so geschieht, dem Prinzip also die Praxis entspricht.

Im Grunde kann sich der Staat hier aber sogar vom Verfassungsgericht leiten lassen. Dieses nämlich hat unlängst der Politik auferlegt, jetzt schon Klimaschutzpolitik so zu betreiben, dass deren Kosten auch für die nachrückende Generation erträglich sind. Diese Pflicht lässt sich gut in den Rentenbereich übertragen. Und tatsächlich ist Politik gut beraten, wenn sie heute schon auf die Bewältigbarkeit künftiger Aufgaben hinwirkt, sich also am Prinzip der Nachhaltigkeit ausrichtet.

ET: Weniger Bürokratie, mehr Polizei – kann man damit Wähler von der AfD zurückgewinnen?

Patzelt: Weniger Bürokratie ist doch auch ein altes Ziel der FDP, sogar ein altes Ziel der Union aus Oppositionszeiten! Und starke Polizeipräsenz in Problemgebieten und zu Problemzeiten ist ebenfalls ein altes Unionsanliegen. Da muss man also keine „Anbiederung an die AfD“ wittern, sondern erkennt allenfalls die Einsicht in unterlaufene eigene Fehler. Der Kanzlerkandidat Armin Laschet fährt ohnehin seit einigen Jahren einen sehr konsequenten Kurs gegen die sich ausbreitende Clankriminalität.

Allerdings muss man schon hinzufügen, dass auch CDU-geführte Landesregierungen um der Stabilisierung der Staatsfinanzen willen bei der Polizei einen gewaltigen Stellenabbau betrieben haben. Das kritisieren die Polizeigewerkschaften schon lange mit Recht. Und was die Bürokratie betrifft: Deren Wuchern hat viel mit dem Streben nach Einzelfallgerechtigkeit sowie dem Wunsch nach Kontrolle über die Wirtschaft zu tun. Das Verlangen nach beidem wird aber auch in Zukunft nicht abnehmen.

ET: Die SPD sagt, das Wahlprogramm der CDU sei vom Wirtschaftsflügel um Carsten Linnemann und Friedrich Merz geschrieben worden, statt vom Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Kann man das so stehen lassen?

Patzelt: Nachdem Deutschland eine große Wirtschaftsmacht ist und unser Wohlstand vom Florieren unserer Wirtschaft abhängt, wäre es völlig verantwortungslos, wenn gerade eine Dauerregierungspartei wie die CDU nicht die programmatische Berücksichtigung von wirtschaftspolitischem Sachverstand sicherstellen würde. Dafür ist in der Union vor allem die Mittelstandsvereinigung zuständig – und hat die CDU in Person von Friedrich Merz nun wieder einen an die Spitze strebenden Politiker, dem Wirtschaftskompetenz nicht wirklich abzusprechen ist. Um die SPD stünde es vermutlich besser, wenn auch sie solcher Kompetenz mehr Raum gäbe. Im Übrigen sind in der CDU auch weiterhin die Herz-Jesu-Sozialisten stark und werden dafür sorgen, dass gerade die kleinen Leute mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Union halbwegs zufrieden sind.

ET: Ist die Zeit der „Konservativen“ vorbei oder erleben sie gerade einen neuen Aufschwung?

Patzelt: In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit samt der Aufrechterhaltung bisheriger Klima- und Biotopverhältnisse ganz oben stehen, wird man nicht wirklich vom Fehlen einer konservativen Grundstimmung sprechen können. Das gleiche gilt beim von fast allen Parteien geführten Ringen um die Sicherung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, also des bestehenden politischen Systems. Tatsächlich sind Grüne und Sozialdemokraten viel konservativer, als sie das zugeben wollen.

Der Grund liegt darin, dass sie ein sehr verzerrtes Feindbild von Konservatismus öffentlich durchgesetzt haben, das natürlich auch in der Union niemand mit sich verbunden haben will: Konservativ wäre, wer hierzulande eine männerdominierte, homogene weiße Gesellschaft wünscht, in der gesellschaftliche Ungleichheit als normal und technischer Fortschritt als ein Übel angesehen wird. Die Zeit eines solchen Konservatismus — wenn er denn je mehr als ein Zerrbild war – ist tatsächlich vorbei. Auch in der Union vertritt ihn niemand.

ET: Noch ein paar Worte zur Rolle der AfD im Wahlkampf ?

Patzelt: Diesmal gelingt es anscheinend nicht, die Haltung der CDU zur AfD zu einem zentralen Wahlkampfthema zu machen. Erstens gibt es ohnehin keine realistische Möglichkeit einer Koalition aus Union und AfD oder einer Minderheitsregierung der Union, der die AfD Unterstützung leisten könnte. Zweitens geht es gar nicht mehr um Angela Merkel, deren scharfe Ablehnung sehr viele weg von der Union und hin zur AfD getrieben hat. Drittens haben die Ergebnisse der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt gezeigt, dass eine überzogene Dämonisierung der AfD für die politische Linke sogar schädlich sein kann.

Damals haben nämlich – ausweislich der Wählerwanderungsanalysen – Tausende von ehemaligen Wählern der SPD und sogar der Linken die CDU als das „kleinere Übel“ gewählt, nachdem Spukgeschichten dahingehend verbreitet worden waren, die AfD könne sogar zur stärksten politischen Kraft werden. Das wird sie auf Bundesebene ohnehin nicht, und vielleicht kehren in diesbezüglich hysterisch gewordene öffentliche Debatten sogar allmählich wieder Vernunft und Augenmaß zurück.

ET: Herzlichen Dank, Prof. Patzelt. 



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