Ukraine-Krieg: Was der deutschen Wirtschaft jetzt droht

Neben dem unermesslichen Leid für die Menschen schädigt der Krieg gegen die Ukraine vor allem Russland selbst. Die genauen ökonomischen Folgen für Deutschland hängen zwar davon ab, wie sich der Konflikt weiterentwickelt, doch schon zeichnet sich ab, dass es weniger Wachstum und mutmaßlich noch mehr Inflation geben dürfte.
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Eine Tankstelle in Berlin. Archivbild.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 5. März 2022


Der Ukraine-Krieg ist nicht nur eine geopolitische und militärische Zeitenwende. Er beeinflusst auch die wirtschaftliche Lage.

„Die Weltwirtschaft zerfällt in einen westlichen und einen chinesisch dominierten Block, mit Russland als Juniorpartner“, blickt Clemens Fuest, Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo) in München, voraus. „Größter Verlierer ist Russland, aber auch in Deutschland wird der Wohlstand sinken.“

Nach Ansicht des Professors an der Ludwig-Maximilians-Universität droht Stagflation, also eine Kombination aus schwachem Wachstum und hoher Inflation. Preistreibend wirken vor allem die weiter steigenden Notierungen für Öl und Gas, die bereits vor dem russischen Überfall auf die Ukraine deutlich gestiegen waren. 

Die Folge ist, dass künftig Verbraucher nicht nur fürs Heizen und an der Zapfsäule tiefer ins Portemonnaie greifen müssen. Auch andere Güter werden knapper – und damit teurer – weil viele Firmen höhere Produktions- und Transportkosten haben, die sie über Preiserhöhungen an ihre Kunden weitergeben.

Erschwerend kommt hinzu: Deutsche Unternehmen und Haushalte haben ein Klumpenrisiko (eine Häufung von Ausfallrisiken) bei der Energieversorgung, das stark von Russland abhängig ist. Im Jahr 2020 etwa bezog Deutschland 55 Prozent seines Erdgases aus dem flächenmäßig größten Land der Erde. Umso stärker würden sich russische Gegensanktionen in Form gedrosselter Lieferungen auswirken – selbst wenn sich das Land damit einer wichtigen Einnahmequelle berauben würde.

Auch über das Kriegsende hinaus dürfte die für eine höhere Versorgungssicherheit unabdingbare Diversifizierung der Energieversorgung zu steigenden Energiekosten führen. Zugleich droht Deutschland als Standort für energieintensive Industrien an Boden zu verlieren. „Die Energiepreise werden der wesentliche Faktor sein, über den sich der Konflikt auf Europa und auf die gesamte Weltwirtschaft auswirkt“, bringt Christian Keller, Chefvolkswirt der britischen Großbank Barclays, die angespannte Lage den Punkt.

Deutlich abnehmende Handelsvolumen 

Für die generelle Entwicklung der Weltwirtschaft sind die Ukraine und selbst Russland eher von geringem Gewicht. Die Folgen für den Güteraustausch dürften vor diesem Hintergrund weniger gravierend sein. Bereits nach der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 und den deswegen verhängten Sanktionen ist der Handel zurückgegangen. Im vergangenen Jahr legten die Importe aus Russland nach einem Einbruch im Pandemiejahr 2020 zwar wieder stark zu. Das Handelsvolumen von 2012 und 2013 hat der deutsch-russische Handel dennoch nie wieder erreicht.

Das Statistische Bundesamt beziffert den Wert des Warenhandels zwischen beiden Ländern für 2021 auf knapp 60 Milliarden Euro. Dabei verkauften deutsche Exporteure Güter im Wert von knapp 27 Milliarden Euro in Russland. Gemessen am gesamten deutschen Außenhandel war der Anteil Russlands mit 2,3 Prozent jedoch deutlich geringer als jener von China mit 9,5 oder den USA mit 7,5 Prozent.

Ähnlich präsentiert sich die Lage bei den Direktinvestitionen, wo Deutschland deutlich aktiver in Russland ist als umgekehrt. Selbst Länder wie Schweden, Polen, Australien oder Kanada tätigen hierzulande mehr Projekte als russische Unternehmen. Beim Spitzenreiter USA waren es mit 1.370 sogar 25-mal so viele, bei der zweitplatzierten Schweiz noch das 15-Fache. Gerade einmal 1,9 Prozent des Umsatzes sämtlicher auslandskontrollierten Unternehmen in Deutschland entfallen auf Betriebe mit russischem Eigentümer, rechnet das Statistische Bundesamt für das Jahr 2019 vor.

Stärker als andere Branchen von den Folgen des Krieges und den Sanktionen betroffen werden könnte der deutsche Maschinen- und Anlagenbau. Besonders betroffen sind Hersteller von Agrartechnik, die im vergangenen Jahr sowohl bei den Ausfuhren nach Russland (zehn Prozent) als auch bei denen in die Ukraine (34 Prozent) den größten Anteil an den Gesamtexporten hatten. 

„Es wird keine Rezession geben“

Unter dem Strich dürfte das Wachstum in Deutschland niedriger ausfallen als bislang erwartet. „Die dadurch geringeren Steuereinnahmen und die potenziell höheren Ausgaben für den Verteidigungsetat werden den Staatshaushalt belasten und zu einer möglichen höheren Neuverschuldung führen“, prognostiziert Ökonom Alexander Kriwoluzky vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Konsequenzen für die Tragfähigkeit der deutschen Staatsschulden wird der Krieg in der Ukraine aber nicht haben.“

Wie stark sich der Krieg in der Ukraine auf die deutsche Volkswirtschaft auswirken könnte, prognostiziert das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) anhand zweier Modellsimulationen. Ein erstes Szenario geht davon aus, dass der Gaspreis in diesem Jahr auf dem Niveau des vierten Quartals 2021 bleiben wird. In diesem Fall würde die Inflationsrate auf 4,3 Prozent in diesem und 4,5 Prozent im Jahr 2023 steigen. Da dies den privaten Konsum dämpfen würde, würde das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 0,2 Prozent und 2023 um 0,7 Prozent geringer ausfallen.

Das zweite Szenario unterstellt einen Anstieg der Gaspreise um weitere 50 Prozent. Dies könnte laut IW eine Inflationsrate von 6,1 Prozent in diesem und fünf Prozent im kommenden Jahr nach sich ziehen. Das BIP würde 2023 um 1,4 Prozent geringer ausfallen. Diese Simulationen betreffen indes lediglich die Folgen eines höheren Gaspreises. Unberücksichtigt bleiben das schwindende Vertrauen von Investoren, potenzielle Handelssanktionen sowie Produktionsausfälle.

„Es wird keine Rezession geben, die Auftragsbestände sind hoch und die Weltwirtschaft nicht von Russland abhängig“, glaubt Michael Hüther. Für die deutsche Wirtschaft seien die Folgen verkraftbar.

Auswirkungen auf deutsche Sparer

In ein Dilemma bringt der Einmarsch Russlands in die Ukraine indes die Notenbanken, da sie steigende Preise und einen drohenden Konjunkturabschwung gleichzeitig bekämpfen müssen.

Das eine erfordert eigentlich höhere Zinsen, das andere spricht für eine anhaltende Nullzinspolitik. „Viele werden jetzt von der EZB fordern, den Abbau der Anleihekäufe weiter zu verschieben, aber auch das löst die Probleme nicht“, glaubt ifo-Chef Clemens Fuest. Da die US-Wirtschaft von der Krise weniger betroffen sei, werden die US-Währungshüter ihre Geldpolitik weiter straffen, vermutet der Ökonom. 

„Wenn die EZB in die Gegenrichtung steuert, wird der Außenwert des Euros sinken. Das würde die Inflation im Euro-Raum weiter in die Höhe treiben“, sagt Fuest. Die Entwicklung in den nächsten zwei Wochen werde zeigen, ob die EZB trotz der negativen wirtschaftlichen Auswirkungen einen Kurswechsel zu einer restriktiveren Geldpolitik einleiten kann.

Unabhängig vom weiteren Kurs der Währungshüter könnten sich die verschärften Sanktionen gegen Russland auch auf deutsche Sparer auswirken. Die europäischen Tochtergesellschaften der russischen Sberbank werden nach Ansicht der Europäischen Zentralbank „wahrscheinlich“ zahlungsunfähig.

Mit vergleichsweise attraktiven Zinssätzen auf Tagesgeld und Festgeld hatte das mehrheitlich vom russischen Staat kontrollierte Finanzhaus in den vergangenen Jahren auch um deutsche Sparer geworben. Die Sberbank Direct, ein Ableger der Sberbank Europe, lockte die Kunden zuletzt mit Zinszahlungen von bis zu 1,5 Prozent. Da diese in Wien ansässig ist, fällt sie unter die österreichische Einlagensicherung. In der Europäischen Union sind grundsätzlich alle Einlagen bis 100.000 Euro pro Kunde und Bank geschützt.

Der Artikel erschien zuerst in unserer Wochenendzeitung Ausgabe 34 vom 5. März.



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